Dienstag, 16. April 2024

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Ai Weiwei-Austellung in Berlin
Altbekanntes Pathos

Die Ai Weiwei-Retrospektive im Berliner Gropius-Bau bleibt unter ihren Möglichkeiten. Gerne hätte man die verschiedenen Schaffensphasen Künstlers näher kennengelernt. Stattdessen erlebt man den bereits bekannten chinesischen Dissidenten, mit viel Pathos und in der immer gleichen Rolle: als Opfer, Ankläger und Richter in einem.

Von Carsten Probst | 02.04.2014
    Viel wird seit Jahren über Ai Weiwei geredet und geschrieben – über seine Unterstützung durch den westlichen Kunstbetrieb, über seinen Rang als Künstler, politischer Dissident und als Geschäftemacher wurde quer durch die internationale Presse gestritten. Einen wirklichen Überblick über sein Werk hat man aber gerade in Deutschland bisher noch nicht erhalten können. Gerade hier, wo dem Anschein nach Ai Weiweis beflissenste Unterstützer zu Hause sind, konnte ein breiteres Publikum noch nicht wirklich wissen, was Ai eigentlich für ein Künstler ist, wie sein Werdegang verlaufen ist, was hinter seinem sagenhaften Ruhm steckt: Wie er wurde, was er heute ist.
    Diese über 18 Säle und den Lichthof verteilte, riesige Ausstellung im Martin-Gropius-Bau ist somit die Gelegenheit für einen kundigen, unabhängigen Kurator, viele interessante Fragen zu beantworten. Zum Beispiel die Frage, wie sich Ai Weiwei mit der westlichen Moderne auseinandersetzt, die in seinem Werk überall eine so hervorstechende Rolle spielt. Versteht er sie möglicherweise als Modell für eine chinesische Moderne? Für das China der Zukunft? Oder eher als Mahnung? Hinweise gibt es für beides. Ai Weiweis architektonische Entwürfe oszillieren zwischen minimalistischer Plastik und Zitaten chinesischer Tradition, und man kann sich Fragen, ob er da wirklich Übergänge sieht, oder ob diese Übergänge für ihn eher eine Ironie darstellen. Sind andererseits die Zitate westlicher Konzeptkunst für Ai Weiwei ebenso nur ironisch gedacht? Sein frühes fotografisches Werk im New York der Achtzigerjahre lässt einen darüber nachdenken, ob er sich als Vertreter der Street Photography begreift, um soziale Konflikte im westlichen Metropolen wie auch in seiner Heimat aufzugreifen - oder ob er nur seine eigene Fremdheit in der westlichen Kultur inszeniert.
    Keine neue Facette des Künstlers
    Aber eine solche Ausstellung gibt es nicht. Es gibt in Berlin keine Ausstellung eines unabhängigen Kurators, die vielen möglichen und drängenden Fragen nachgeht und die künstlerische Entwicklung AI Weiweis sorgfältig nachzeichnet. Es war im Gegenteil explizit die Absicht der Berliner Festspiele, Ai hier gleichsam von sich selbst kuratieren zu lassen, ganz offenkundig deshalb, weil man davon ausgeht, dass sein Name Programm genug ist und niemand sonst kompetent wäre alle Fragen zu beantworten, als der Künstler selbst. So hat sich auf ein überaus dienstbarer Parcours entwickelt, bei dem zwar im Sinne des Künstlers auf großen Wandtafeln die Bedeutung eines jeden einzelnen Werkes erläutert wird - der sich andererseits jedoch nahezu ausschließlich nur um eines dreht: Ais Selbstinszenierung als Opfer des chinesischen Staates.
    Der Titel der Ausstellung passt daher auch zum Ergebnis: "Evidence" - das heißt sinngemäß so viel wie die gerichtsfeste, unerschütterliche Wahrheit. Ai ist dabei Opfer, Ankläger und Richter in einem. Das entspricht durchaus dem Pathos der Wahrheitssuche, das Ai Weiwei immer dringlicher in den letzten Jahren mit seiner Arbeit und mit seinen Statements beschworen hat. Es ist ein geläufiges Pathos, man kennt es von vielen Künstlern, Schriftstellern, Theatermachern, die unter Diktaturen in ihren Ländern leiden müssen. Aber dieses Wahrheitspathos ist zugleich eines, das gerade in der diskursiven Kunstpraxis des Westens, derer Ai Weiwei sich ja formal in seinem Werk auch bedient, gerade nicht entspricht. Die Anleihen bei Marcel Duchamps Ready Mades oder bei der Pop Art von Andy Warhol, die in dieser Ausstellung angedeutet werden, geben keine Antwort darauf, wie sich Pop Art und Wahrheit im Werk von Ai ästhetisch zueinander verhalten sollen. Im westlichen Diskurs gibt es nicht die eine Wahrheit, erst recht nicht über China oder Ai Weiwei. Ai Weiweis persönliche Wahrheiten sind in Deutschland speziell auch nicht deshalb gefragt, sondern eher, weil die Ermahnung an die Achtung der Menschenrechte zum offiziellen Pflichtprogramm bei Regierungstreffen und in den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen gehört. Deutschland muss Menschenrechte anmahnen, um nicht als gewissenloser Geschäftemacher dazustehen. Ai Weiwei selbst aber weiß, dass wirtschaftliche Beziehungen allein keine Menschenrechte retten.
    Seine politische Kunst, die rebellischen Gesten dieser Ausstellung sind am Ende Illustrationen westlicher Symbolpolitik. Hüben wie drüben ist Ai Weiwei Mittel zum Zweck. Gar so leicht konsumierbar und gefällig wie in dieser Berliner Schau ist sein Werk in Wirklichkeit aber gar nicht. Schade um die vertane Gelegenheit, es besser kennenzulernen.