Erler plädiert für EU-Beitritt der Türkei

Gernot Erler im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 06.04.2009
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, hat sich für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ausgesprochen. Die Einwände aus CDU und CSU wies der SPD-Politiker mit dem Hinweis auf den Koalitionsvertrag zurück: "Da steht nichts von privilegierter Partnerschaft drin."
Birgit Kolkmann: Die Vision einer besseren Welt ohne Atomwaffen – Barack Obama hat in der Gipfelwoche von London bis Prag klare Zeichen gesetzt, und er hat sich präsentiert als großer Kommunikator, der vermittelt zwischen den unterschiedlichsten Interessengruppen, zwischen den Weltmächten USA und Russland, im Verhältnis der Türkei zur EU zum Beispiel. Und er will alle schwelenden Konflikte entschärften, ob in Afghanistan, ob im Atomstreit mit dem Iran. Er lässt keines der großen Themen aus, auch nicht den globalen Klimaschutz, eine gerechtere Welt insgesamt. Gernot Erler (SPD) ist Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen in Deutschlandradio Kultur!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Erler, Sie haben Obamas Auftritte bei dem Gipfeltreffen in Prag natürlich verfolgt, seine Rede und Statements analysiert. Waren Sie überrascht von dem, was er sich alles vorgenommen hat?

Erler: Ich war vor allen Dingen beeindruckt von dem Mut, mit dem er ein neues Amerika präsentiert hat, das viele Dinge plötzlich angeht, die vorher nicht möglich schienen, besonders im Abrüstungsbereich. Ich denke, das war eine sehr konkrete Rede mit der Vision über eine Welt ohne Atomwaffen, mit der Bereitschaft, jetzt mit der Russischen Föderationen einen Nachfolgevertrag für das letzte große Atomwaffen-Begrenzungsabkommen START I zu schließen und sogar den Atomtestversuchsvertrag, also dem CTBT beizutreten. Das ist beeindruckend.

Kolkmann: Haben Sie den Eindruck, dass er die Führungsrolle der USA neu bekräftigt hat?

Erler: Er hat Führungsbereitschaft und Führungsfähigkeit gezeigt, und er versucht glaube ich nicht zu punkten durch die Betonung der Stärke der USA, sondern durch die Ausstrahlung von seiner persönlichen Politik. Das ist ein Paradigmenwechsel.

Kolkmann: Hat er sich als US-Präsident, aber auch als Mensch und Politiker Obama an die Spitze einer Weltbewegung gesetzt, was den globalen Umweltschutz, was aber auch die Sicherheitspolitik angeht?

Erler: Ich glaube, es ist etwas zu früh, schon zu sagen, dass er das getan hat, aber er scheint dazu bereit zu sein. Und wie er das kommuniziert, das ist ja auch bemerkenswert. Wenn man etwa an den NATO-Gipfel denkt, wo er mit vielen jungen Menschen, mit Schülern diskutiert hat, bevor er dann die eigentliche Rede in Prag gehalten hat, das ist professionell.

Kolkmann: Er hat sich sehr, sehr viel vorgenommen. Wenn man sich aber die diplomatischen Schwierigkeiten anschaut, die allein die Besetzung des NATO-Generalsekretär-Postens begleiteten am Wochenende, kann das klappen, die vielen Vorhaben umzusetzen, vor allen Dingen in so kurzer Zeit, die er sich vorgenommen hat?

Erler: Also das wird sicherlich schwierig, aber ich denke immer, das Wichtige ist, dass die Schritte, die gemacht werden, die konkret gemacht werden, in die richtige Richtung gehen. Und dazu scheint er entschlossen zu sein. Natürlich muss das alles noch bei der Klimapolitik etwa konkretisiert werden, und wir werden ja sehen, ob hier es tatsächlich gelingt, mit der anderen großen Atommacht, mit der Russischen Föderation, tatsächlich zu Vereinbarungen zu kommen. Das ist übrigens die einzige Stelle, die noch etwas unklar ist, wie sich das künftige Verhältnis von den Vereinigten Staaten zu Russland gestalten wird. Hier ist substanziell eigentlich noch nicht alles deutlich geworden, wie Obama an dieses Thema rangehen will.

Kolkmann: Da gab es ja ganz interessante Analysen, auch von Gebärdenforschern, die sich Fotos und Videoaufzeichnungen von Obama und Medwedew angeschaut haben und gesagt haben, klar überlegen war Obama, Medwedew war der eher Verkrampfte. Haben Sie auf diese Dinge auch geachtet?

Erler: Ich glaube, dass jeder ein bisschen Schwierigkeiten hat, der sich mit Obama vergleichen lassen muss, eben weil er so perfekt auftritt und weil er so eine Ausstrahlung hat. Also insofern kommt es hier, glaube ich, nicht auf Gebärden an, sondern es kommt auf Signale an. Und die Signale sind noch nicht da, was Russland angeht, aus Washington, da warten wir noch drauf. Und ich hoffe eben, dass auch hier eine Art Neuanfang gesucht wird. Natürlich spielen da auch konkrete Themen wie zum Beispiel die Raketenabwehr der NATO eine Rolle. Hier gibt es vage Anzeichen, dass man zumindest den Dialog fortsetzen will. Aber in welche Richtung das Ganze geht, das ist auch für mich bisher nicht erkenntlich.

Kolkmann: Bei aller Begeisterung, auch bei aller Zustimmung für Obama, es gab ja auch im Verhältnis zu den Europäern durchaus widerstreitende Interessen, das wurde sehr deutlich. Zum Beispiel auch, was die Türkei angeht. Obama ist heute da, er hat sich sehr deutlich geäußert. Nun sagt er, die Türkei solle doch bitte in die EU. Aber da kamen gleich wieder Bedenken der deutschen Bundeskanzlerin und auch des französischen Präsidenten. Hat Obama mehr das große Ganze im Auge, die Europäer auch das Trennende?

Erler: Es ist ja bekannt, dass die Vereinigten Staaten – und das ist jetzt nicht von Obama erfunden – ein Interesse an diese Annäherung und Integration der Türkei in die Europäische Union haben. Der Hintergrund ist der, dass die Amerikaner glauben, dass eine Einbindung des wichtigen islamisch geprägten Landes in eine westliche Wertegemeinschaft den Clash of Civilizations, den Kampf der Kulturen unmöglich machen wird, dass das ein Signal sein wird an die ganze islamische Welt, dass so eine Trennung – hier Islam, dort Westen – nicht funktioniert. Das ist ein geopolitischer Ansatz, den man nachvollziehen kann, den ich persönlich auch für richtig halte und der natürlich auch ein Motiv ist, dass die EU seit Oktober 2005 konkret mit der Türkei mit dem Ziel einer Integration der Türkei in die EU verhandelt. Dass jetzt die Reaktionen auf eigentlich die Wiederholung und Deutlichmachung dieser amerikanischen Positionen so harsch waren, auch in Deutschland, das hat mich doch ein bisschen überrascht, weil wir ja auch in unserem Koalitionsvertrag der Großen Koalition dieses Ziel bekräftigt haben. Da steht nichts von privilegierter Partnerschaft drin, sondern da steht drin, dass weiter verhandelt wird mit dem Ziel des Beitritts. Das ist gemeinsame Position, und da wundert es einen schon, wenn der CSU-Generalsekretär Dobrindt zum Beispiel sagt, das sei jetzt eigentlich angesagt, diese Verhandlungen abzubrechen.

Kolkmann: Sagt der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, von der SPD. Ich bedanke mich fürs Gespräch, Herr Erler!

Erler: Danke Ihnen!

Das Interview mit Gernot Erler können Sie mindestens bis zum 6. September 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio