Erlebnisshopping statt Kauf-per-Klick

Wir verkaufen Emotionen

26:55 Minuten
Eine junge Frau mit Taucherausrüstung im Test-Wasserbecken eines Outdoor-Ausrüsters.
Einkaufen mit Tauchgang inklusive: Erlebnisshopping soll Emotionen wecken. © picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Mirko Heinemann · 19.03.2019
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Um der Online-Konkurrenz zu begegnen, müssen sich Händler neue Kniffe einfallen lassen. Als Gegentrend zum bequemen Internet-Einkauf erweist sich das Erlebnisshopping mit Verkaufspartys, Haustürgeschäften und ungewöhnlich eingerichteten Läden.
"So, nun sind das natürlich nicht die einzigen Stoneware-Produkte. Wir haben noch ein weiteres, was wirklich der Renner ist. Und zwar ist das unser großer Ofenmeister."
Es ist Dienstag, früher Abend. Ein Reihenhaus im Berliner Stadtbezirk Neukölln. Ich sitze gemeinsam mit einem Dutzend anderer Gäste um einen langen Esstisch. Fast alle sind Frauen, überwiegend im mittleren Alter. An der Stirnseite des Tisches steht Anke Kirschbaum, eine Frau in den Vierzigern. Sie ist die Hauptperson des heutigen Abends.
"Das ist unser Pizzastein. Den habe ich schon seit zwei, drei Monaten in Gebrauch, relativ regelmäßig. Man sieht, der bekommt langsam eine dunkle Patina. Ich brauch in meinem Ofen kein Backblech mehr. Ich kann alles auf diesem Stein backen. Er ersetzt das Backblech."

Produkte beim Kochen gleich ausprobieren

Anke Kirschbaum arbeitet als selbstständige Verkaufsberaterin für die Marke "Pampered Chef". Das US-amerikanische Unternehmen handelt mit Küchenutensilien für anspruchsvolle Hobbyköche und setzt ausschließlich auf den Direktvertrieb.
Die Gäste erhalten zur Begrüßung einen Katalog mit den Produkten der Firma und eine Bestellliste. Hier können sie sofort eintragen, was sie kaufen möchten.
"Wir haben zwei Grundsets. Die würde ich euch gerne mal vorstellen. Und zwar gibt es da ein Set, mit dem ich auch gleich Geld spare. Da hab ich einmal diese Pizzaplatte mit dabei und dann habe ich unser zweitbeliebtestes Produkt dabei. Wir verkaufen tatsächlich am meisten Stoneware und gleich danach kommt der Teigroller, den Janine unbedingt braucht."

Anke Kirschbaum präsentiert die Produkte nicht nur, sondern zeigt sie in Aktion. Den Teig knetet sie mit Hilfe einer weichen Teigmatte und rollt ihn darauf auch aus. Nichts klebt an. Schon bald duftet es aus der Küche nach frisch gebackenem Brot. Anke Kirschbaum geht in die Küche, holt zwei Brote aus dem Ofen und stellt sie auf den Tisch. Sie sehen aus wie gemalt.
"Ah, mit Herz! Ist das schön aufgegangen? Das nächste. Oh! Wunderbar!"
Jedes Produkt hat einen besonderen Dreh. Der Backpinsel hat einen Haken, Anke Kirschbaum hängt ihn einfach an die Schüssel. Die Backformen, die aus besonders heiß gebranntem Ton bestehen, werden zur Reinigung einfach unter heißem Wasser abgespült, Reste abgeschabt. Die Messer verfügen über einen speziellen Schliff.
Teilnehmerinnen einer Verkaufsparty kochen gemeinsam.
Gemeinsam kochen und dabei neue Küchengeräte gleich ausprobieren: bei einer Verkaufsparty.© picture alliance / dpa / Daniel Naupold
"Wer möchte unser Brot anschneiden?"
"Wow! Wahnsinn! Super! Ist ja nicht so, dass es quetscht oder man es mehr drücken muss."
Inzwischen steht auch der Flammkuchen auf dem Tisch. Die Gäste sind begeistert.
"Ich finde die Präsentation toll. Und dass ich sofort live gesehen habe, wie es funktioniert. Ja, das Sehen, das Riechen, das Haptische, das ganze Komplettpaket. Und dass es funktioniert, das Produkt, dass eben das Brot braun ist und nicht nur behauptet wird, die Kruste ist da. Und ich konnte sofort feststellen, wie der Schneider schneidet. Da ist das unmittelbare Ausprobieren, das geht ja mit Internet nicht."

"Ich habe immer was gekauft, immer"

Die Gäste füllen fleißig den Bestellbogen aus. Auch ich überlege mir zuzuschlagen. Die Messer haben mich beeindruckt. Es wäre zwar mein erster Einkauf auf einer Verkaufsparty, aber die Gruppendynamik ist mitreißend. Das findet meine Nachbarin auch. Sie besitzt inzwischen eine beachtliche Tupperware-Sammlung, wie sie erzählt.
"Ich bin immer zu solchen Partys gegangen mit der Maßgabe: Ich kaufe nichts. Und ich habe immer was gekauft, immer. Das funktioniert einfach."
Ein Mädchen hält ein Stück Pizza in der Hand.
Kochen, Pizza essen... und dabei shoppen.© picture alliance / dpa / Kachroo/ NurPhoto
Ja, das funktioniert. Warum, das weiß Markus Preißner, wissenschaftlicher Leiter am Institut für Handelsforschung, dem IFH Köln.
"Die direkte Kommunikation zwischen dem Verkäufer, demjenigen, der das Produkt am besten kennt, und dem Kunden auf der anderen Seite – das hat die Beratungskomponente und eine gewisse Erlebniskomponente. Insbesondere dann, wenn ich sofort Antworten liefern kann auf die Fragen der Verbraucher. Und wenn das zusammenfällt, das Produkterlebnis und das Einkaufserlebnis, dann ist es eigentlich die beste Ausgangssituation, die ich im Vertrieb realisieren kann."

Auf den direkten Kontakt kommt es an

Die Umsatzzahlen der Direktvertriebsbranche sprechen für sich. Sie haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Auch die Zahl der "Vertriebspartner", wie sich die selbstständigen Vertreter nennen, steigt. Laut Studie der Universität Mannheim, erstellt im Auftrag des Bundesverbandes Direktvertrieb, arbeiten heute 885.000 Menschen im Direktvertrieb, jedes Jahr kommen mehrere Zigtausend dazu. Hinter dem Erfolg steht ein Paradox.
"Wir beobachten insgesamt, dass der Handel sich den letzten Jahren durchaus positiv entwickelt hat, sprich die Umsätze sind dort angestiegen. Wir stellen aber auch fest, dass die Wachstumsraten im Online-Handel insgesamt höher sind als im stationären Handel, sprich: Wir haben hier schon einen gewissen Verdrängungswettbewerb."

Markus Preißner beobachtet seit Jahren die wachsende Konkurrenz aus dem Internet. Inzwischen werden bereits 14 Prozent der Non-Food-Umsätze im deutschen Einzelhandel ausschließlich Online erwirtschaftet, so der Handelsverband Deutschland – ohne Lebensmittel, Apotheken und alle Produkte rund ums Auto.

Persönliche Beratung, Emotionen, Erlebnisse

Allerdings: Die Zeiten, da die wachsende Konkurrenz aus dem Internet vom traditionellen Handel zwangsläufig als schicksalhaft hingenommen wurde, sind vorbei. Immer mehr Händler besinnen sich auf ihre Stärken und bieten ihren Kunden das, was sie im Internet nicht bekommen: persönliche Beratung, Emotionen, Erlebnisse.
Frauen sitzen während einer Verkaufsparty beim Essen um einen Tisch.
Haben alle gemeinsam gekocht, geht es ans Essen und die Bestellzettel werden ausgefüllt.© picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Die Stimmung auf der Verkaufsparty wird immer besser. Wir kommen miteinander ins Gespräch, entdecken Gemeinsamkeiten und tauschen Erfahrungen aus. Anke Kirschbaum muss viele Fragen beantworten. Für sie läuft der Abend blendend.
Ob "Tupperware", "Vorwerk", "Avon" oder "Pampered Chef" – die Direktvertriebsmodelle sind sich recht ähnlich. Der Verkauf läuft exklusiv über die Mitarbeiter, die in der Regel als Selbstständige arbeiten. Die Verkaufspartys finden nicht bei den Vertrieblern zu Hause statt, sondern bei externen Gastgebern. Sie laden die Gäste ein und stellen ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. Das Gastgeberprinzip sorgt dafür, dass sich das Netzwerk immer weiter vergrößert. Bei manchen Direktvertrieben erwerben die Vertriebspartner die Produkte beim Händler und verkaufen sie mit Gewinn weiter. Damit tragen die Verkäufer das Risiko, auf den bestellten Waren sitzenzubleiben.
Bei "Pampered Chef" ist das anders. Das Unternehmen zahlt seinen Vertriebspartnern eine Provision.
"Auf dem Bestellzettel gibt es zwei Kreuze. Über das erste würde ich mich besonders freuen, nämlich, dass ihr alle nochmal Gastgeber werden wollt. Je nach Umsatz würde es dann Geschenke geben. Dazu gibt es je nach Umsatz der Gäste auch noch Halbpreisprodukte, bis zu drei Stück. Da kann man sich die Sachen aussuchen, die richtig viel Geld kosten und die dann nur noch für die Hälfte kaufen, was dann richtig, richtig schön ist."

"Man muss wirklich dranbleiben"

Manche Gäste entscheiden sich dafür, selbst in den Direktvertrieb einzusteigen. Auch Anke Kirschbaum war zunächst Gast einer Koch-Show von "Pampered Chef". Das Konzept mit den Verkaufspartys entspreche ihrem Charakter und ihren Vorstellungen.
"Ich finde diesen persönlichen Kontakt zu den Menschen toll. Dass man sich ein bisschen ein freundschaftliches Verhältnis aufbaut, dass man ein Vertrauen in den Leuten erweckt und aufbaut und dass man die Chance hat, Produkte auch wirklich zu erklären und ihre Vorteile darzustellen, was man im Vorbeilaufen im Einzelhandel nicht hat."
Die leidenschaftliche Hobby-Bäckerin hatte bereits Erfahrung im Direktvertrieb, als Vertreterin der Küchenmaschine "Thermomix" der Firma Vorwerk. Aber auch im Direktvertrieb wächst das Geld nicht auf Bäumen. Anke Kirschbaum warnt davor, sich falsche Vorstellungen zu machen:
"Von allein kommt sehr wenig. Man muss wirklich dranbleiben. Man muss an Leuten dranbleiben, die sich schon mal interessiert haben. Die vielleicht gerade keine Zeit hatten. Da muss man hinterher sein. Man muss wieder telefonieren. Man muss nachfassen bei Leuten, die schon mal gekauft haben – und dann passiert es auch, dann klappt es auch und dann ist es abhängig davon, wie viel an Arbeit man reinsteckt, und dann kann man entsprechend den Umsatz steigern."

Haustürgeschäfte haben einen schlechten Ruf

Heute Nachmittag bin ich mit Enrico Stenzel im Leipziger Bezirk Schleußig unterwegs. Wir steigen die Treppenhäuser von Mietshäusern hinauf, von ganz unten bis hinauf in das fünfte Stockwerk. An jeder Tür wird geklingelt.
"Nicht erschrecken. Wir kommen von 'Lichtblick'. Schon mal gehört? Ja? Wir sitzen in Leipzig, wenn irgendeine Frage ist, kannst du uns immer erreichen. Das ist in der Käthe-Kollwitz-Straße 68, also nur einen Katzensprung entfernt."
Enrico Stenzel ist Verkäufer bei "Lichtblick", einem Anbieter von ökologisch erzeugtem Haushaltsstrom.
"Ist halt, wie gesagt, bei uns 100 Prozent Ökostrom, 100 Prozent Wasserkraft aus Deutschland. Dann haben wir einen einzigen Tarif, das ist der hier. Wir bieten dazu kostenlos noch Energieberatung an, das heißt, ich kann euch sogar helfen, euren Verbrauch zu senken, ohne dass ihr Lebensqualität einbüßt, sondern indem man sogenannte Blindverbräuche findet."

Es ist ein mühsames Geschäft.
"Wir haben kein Interesse."
Ein Mann öffnet an einer Haustür in seine Aktentasche.
Nicht gleich mit der "Tür ins Haus fallen", sondern eine persönlichen Kontakt aufbauen - darum geht es bei Haustürgeschäften.© picture alliance / dpa
"Aha, na gut. Alles klar. Schönen Tag noch."
"Ich habe alles."
"Okay. Schönen Tag."
Einen Vertrag schließen wir heute nicht ab. Einen Abschluss an der Haustür strebt Enrico Stenzel aber auch gar nicht an. Die Stornoquote wäre zu hoch.
Bei sogenannten Haustürgeschäften haben Verbraucher das Recht, den Vertrag ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen. Seriöse Vertreter loten daher an der Haustür aus, ob es grundsätzlich Interesse gibt. Dann erst vereinbaren sie einen Termin zum Vertragsabschluss.
Immerhin kommt es mehrmals zu längeren Gesprächen an der Tür.
"Ich bin generell skeptisch, wenn mir Leute an der Tür etwas verkaufen wollen, ob das Staubsauger, Religion oder Strom ist. Aber die persönliche Sache – da ist auf jeden Fall mehr Vertrauen da, als wenn man mit jemandem am Telefon spricht, der reden kann und der einem sonst was erzählt, gerade bei Telefonanbietern."

Persönlichen Kontakt herstellen statt zum Kauf drängen

Der Bewohner ist vor wenigen Wochen erst eingezogen und am Thema Energie durchaus interessiert.
"Ich habe einfach so einen Fußschalter, wo ich einfach die Dose ausmache."
"Verteiler und Kippschalter. Ja, das ist die ideale Lösung, damit trennt man es vom Netz."
"Macht Sinn, ja. Hier scheint auch so schön die Sonne rein, da brauch ich auch kaum heizen, obwohl es draußen kalt ist."
"Alles klar, danke schön."
Enrico Stenzel verabschiedet sich mit dem Hinweis, dass er in der kommenden Woche einen Infostand vor dem Supermarkt an der Ecke betreibt.
"Schau nochmal rein, wenn du magst und Zeit hast."
"Oder ich geh am Konsum vorbei."
"Komm am Konsum vorbei, genau."
"Danke schön. Schönen Tag euch!"
Wir verabschieden uns mit dem Gefühl, jemanden kennengelernt zu haben. Wir haben zwar keine Zusage, aber eine persönliche Beziehung ist hergestellt. Unsere Laune wird immer besser. Dann tritt der Idealfall ein.
"'Lichtblick' finde ich super, aber ich muss gleich zum Arzt. Wir würden gern zu ‚Lichtblick‘ wechseln."
"Wollen wir gleich einen Termin ausmachen?"
"Ja, gerne."

Persönliche Ansprache statt Werbung

Manchmal melden sich Kunden auch später bei Enrico Stenzel. Oder sie besuchen die Leipziger "Lichtblick"-Zentrale. Die Firma sitzt in einer Jugendstilvilla. Teamleiterin Sybille Ernst erklärt, warum sie ihre Arbeit trotz aller Mühen liebt.
"Jeder Tag ist neu. Ich weiß früh nicht, wen lerne ich kennen, was habe ich für Gespräche? Dann ist es auch faszinierend, in welche Häuser man kommt, was es für Milieus gibt. Dann geh ich dort mal klingeln, das interessiert mich, wie das so ist. Die Neugier muss man haben, Leute kennenzulernen und sie von einer guten Sache zu überzeugen. Jeden Tag ein bisschen die Welt retten, sagen wir."

Die Vertriebsart muss zum Produkt passen. "Lichtblick" verzichtet auf Werbung und setzt stattdessen auf persönliche Ansprache und Infostände. Das hat etwas Alternatives, Kampagnenhaftes. Es geht um ein emotionales Produkt. "Lichtblick" verkauft ja nicht nur ökologisch erzeugten Strom, sondern damit auch das Versprechen einer besseren Welt.
Ein Windrad am blauen Himmel
Den Stromanbieter wechseln und ein wenig "die Welt retten", das versprechen Ökostromanbieter.© picture alliance / dpa / blickwinkel

"Der Kunde muss in den Mittelpunkt gerückt werden"

Generell genießt das Haustürgeschäft keinen guten Ruf. Klar, es gibt sie, die Vertreter, die den Fuß die Tür stellen und potentielle Kunden mit aggressiven Methoden unter Druck setzen. Das Bild des Vertreters in der Öffentlichkeit werde aber zu stark durch Vorurteile und Klischees geprägt, findet Handelsexperte Markus Preißner.
"Das kommt darauf an, wie ich meine Rolle ausfülle. Wenn ich ein gewisses Hardselling an den Tag lege, wo es nur darum geht, einen Verkaufsabschluss herbeizuführen, dann hat es nicht so ein positives Image. Wenn es aber darum geht, sich mit dem Produkten zu identifizieren, sich mit den Kunden zu identifizieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, dann ist dieser Beruf eine große Erfüllung und wird auch sehr, sehr wertgeschätzt von den Verbrauchern."
Das aktuelle Schlagwort im Handel lautet: "Customer Centricity".
"Der Kunde muss in den Mittelpunkt gerückt werden und alle Entscheidungen müssen aus dieser Perspektive getroffen werden."
Entscheidend dafür sind die Faktoren Beratung und Service. Und, zum Dritten, das Erlebnis oder auch: die "Inspiration". Hier spielt der Direktvertrieb seine Stärken aus. Die zunehmende Vielfalt der Shopping-Kanäle führt dazu, dass sich Konsumenten sehr bewusst aussuchen, wann sie wo einkaufen. Die Ansprüche steigen. An den Außendienstler. An den Internethändler. Und an den "stationären Handel", das Ladengeschäft.
"Auf der einen Seite möchten die Leute den Einkauf so bequem wie möglich haben, auf der anderen Seite muss der Gang in den stationären Handel mit Erlebnissen verbunden sein."

Mit dem Poncho in die Regenkammer

Als Vorbild in Sachen Erlebnis-Shopping im stationären Handel taucht in Bewertungsportalen und in Internetforen ein Name besonders häufig auf: "Globetrotter München". Ich fahre hin.
Die Münchner Filiale des Ausrüstungshändlers entpuppt sich als ein in helles Licht getauchtes, farbenfrohes Kaufhaus auf vier Stockwerken, mit weiten Räumen, viel Glas und einem Atrium in der Mitte. Hunderte Fotos an den Wänden des Treppenhauses zeigen fröhliche Menschen beim Kanufahren, Mountainbiken oder Bergwandern.
Ich verknüpfe den Besuch mit einem Einkauf. Ich brauche Regenkleidung. Die Wahl fällt schwer. Soll ich die Eco-Shell-Jacke für 400 Euro nehmen? Die Verkäuferin weist mich auf eine preisgünstige Alternative hin: den Poncho.
"Mit einer Regenjacke geht man besser in die Berge, und mit einem Poncho läuft man besser auf Strecke."
Sie bietet mir an, einen Poncho in der Regenkammer zu testen. Ich streife mir das zeltartige Plastikstück über den Kopf, lege Gummistiefel an und gehe hinein. Die Regenkammer ähnelt einer überdimensionierten Dusche. Ich betätige den Auslöser: "Um Gottes Willen."

Das Wasser prasselt von allen Seiten mit Wucht auf mich ein. Ich habe Angst um mein Aufnahmegerät. Das kann nicht gut gehen. Nach zwei, drei Minuten ist der Spuk vorbei. Erschöpft ziehe ich den Poncho aus. Die Überraschung: Ich bin bis zu den Stiefeln absolut trocken geblieben.
"Mein Mann ist mit Poncho gegangen. Ich geh mit so einem Ding nicht. Ich habe eine Regenjacke genommen. Mein Mann hat es ausgezogen. Er war gesamt trocken und ich hatte überall nasse Stellen."
Sie erklärt mir, warum ein Poncho für sie nicht infrage käme.
"Man läuft rum wie so ein Wichtelmännchen."
Weniger Eitelkeit spart dem Freiberufler viel Geld. Ich entscheide mich für den Poncho.
Ein Kunde testet einen Regenponcho in der Regenkammer eines Outdoor-Ladens.
Einkaufen mit "Tropensturm-Feeling" - in der Regenkammer.© picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd

Lesungen und Vorträge im Laden

Dann schaue ich mich weiter im Geschäft um. "Globetrotter" versteht sich als Sortimenter für jeden Geldbeutel, darunter sind auch hochpreisige Markenartikel. Im Erdgeschoss befindet sich die Buchabteilung mit einer großen Auswahl an Reiseliteratur, Reiseführern und Landkarten. Aushänge kündigen Lesungen, Vorträge und Multivisionsshows an.
Auf Stehtischen in Brusthöhe werden Taschenlampen präsentiert, Ferngläser und Kocher. Alles kann angefasst und ausprobiert werden. In einer Höhen- und Kältekammer können sich Bergwanderer professionell auf eine Tour ins Hochgebirge vorbereiten. Im zweiten Obergeschoss hangelt sich eine junge Frau an der Kletterwand entlang. Sie testet ihre neuen Kletterschuhe. In der Abteilung für Schlafsäcke probiert ein Kunde aufblasbare Isomatten aus.
"Man kann sie auch ein bisschen praller aufpusten. Na, na, die ist eigentlich prall genug. Ich muss sie ja noch ein bisschen anpassen."
Im ersten Obergeschoss betreiben Tropenmediziner eine Praxis. Im Souterrain liegen Kanus und Boote. Man kann sie in einem Wasserbecken mit Gegenstromanlage sofort testen. Das geht aber erst ab dem Frühjahr wieder. Das Becken ist abgedeckt.

140 Menschen arbeiten in der Münchner Filiale. "Globetrotter", das zum schwedischen Konzern "Fenix Outdoor" gehört, wächst. 2019 erweitert die Marke ihr Netz um fünf weitere City-Filialen auf dann 17 Standorte in Deutschland – und das trotz der wachsenden Konkurrenz von Discountern.
Ich möchte wissen, wie die Beratung funktioniert. Ich frage einen Verkäufer von Rucksäcken.
"Ein Großteil hat irgendwo mal was gesehen und sagt: Ja, da habe ich die Werbung gesehen. Den Rucksack will ich. Nun ist aber gar nicht klar, ob der zum Vorhaben passt. Manche sind da sehr kooperativ, manche muss man ein bisschen anschubsen, dass sie einem erzählen, was sie vorhaben. Und dann probieren wir aus. Und wenn ein Kunde partout auf dem 80 Liter Rucksack besteht für seine Mehrtageshüttentour in den Voralpen, dann lade ich ihn dem auch mal voll. Und dann setz ich ihm den auf. Und dann wird er bei den ersten Schritten schon merken: Das ist etwas anderes."
Ein Kunde probiert an der Kletterwand in einem Outdoor-Laden seine neuen Schuhe aus.
Drückt der Schuh? - Das kann sofort an der Kletterwand getestet werden.© picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini

Gut beraten statt Produkte aufschwatzen

Statt auf dauerhaft niedrige Preise setzt man hier offenbar auf ein hochwertiges Ambiente und eine ausführliche Beratung. Die Verkaufsberater bei Globetrotter werden vom eigenen Unternehmen geschult, aber zusätzlich noch von den Markenherstellern. Dort können sie an Produktveranstaltungen teilnehmen, sogenannten "Testivals". Auch "Globetrotter München" veranstaltet ein solches Testival. Jedes Jahr am letzten Aprilwochenende lädt der Ausrüster seine Kunden an den Chiemsee ein, wo sie viele Produkte ausprobieren können.
Worauf es im stationären Handel ankommt, fasst Experte Markus Preißner zusammen.
"Da geht es um Atmosphäre, da geht es um Produktvielfalt, da geht es um intensive und empathische Beratung. Da muss der Kunde ernst genommen werden, und da darf er nicht enttäuscht werden."
Oft verkaufen Händler ein Produkt, für das sich der Kunde eh schon entschieden hat. Glaubwürdiger sind Verkäufer, die Kunden auch mal abraten. Dazu braucht es aber fachlich geschulte Berater. Markus Preißner:
"In der Vergangenheit ist es leider oft so gewesen, dass man gesagt hat: Das Thema Kosten spielt eine wichtige Rolle. Wir reduzieren hier das Personal oder setzen nicht wirklich auf Fachkräfte."
Es ist wie überall in der Wirtschaft. Der Erfolg steht und fällt mit den Mitarbeitern.
"Ich muss letztendlich das Personal als Schlüssel, als zentralen Erfolgsfaktor ernstnehmen."

Der Kunde ist ein scheues Reh

Um aber noch mehr "Customer Centricity" zu erreichen, muss auch der stationäre Handel umdenken. Die zentrale Frage an den Vertrieb lautet:
"Wie kann ich eigentlich der Customer Journey, dem Suchverhalten des Konsumenten, gerecht werden, um ihn an den unterschiedlichsten Touchpoints, also den Berührpunkten zwischen Unternehmen und dem Kunden, zur Seite zu stehen?"
Mit "Customer Journey" ist der Kontaktverlauf zwischen Kunde und Händler gemeint, von der Entscheidungsfindung über den Kauf bis zum Service und der Ansprache danach. Wie also kann der Händler seinen Kunden über den gesamten Prozess hinweg möglichst eng an sich binden?
"Er darf nicht nur stationär präsent sein, sondern er muss für den Kunden in jeder Phase der Customer Journey vorhanden sein, existieren."
Der Kunde, sagt man im Vertrieb, ist wie ein scheues Reh. Er entschwindet im Nu...
"...wenn ich nicht die Möglichkeit habe, mich über soziale Medien auszutauschen, vorab vielleicht mich über das Produktangebot zu informieren. Vielleicht sogar zu sehen, ob Produkte verfügbar sind in der Filiale, ich die vielleicht sogar reservieren kann und anschließend abholen kann. Ob ich auch bei einem stationären Händler die Option habe, wenn ich es nicht schaffe, in die Stadt zu fahren, es sich dann auch zustellen zu lassen."
Das Rezept: Man nehme das Beste aus allen Welten und bündele es zu einem schlüssigen Gesamtpaket. Bequemlichkeit plus Beratung plus Service plus Erlebnis. Der Trend geht zum so genannten Multi-Channel-Vertrieb.

Einladen in eine virtuelle Fantasy-Welt

Präsenz und Service auf allen Kanälen. Gibt es das? Ich fahre nach Cottbus in der Lausitz. In einem Industriegebiet am Stadtrand sitzt der Online-Versandhändler "Elbenwald", in einem mehrstöckigen Haus mit angeschlossener Lagerhalle.
Auf einer Empore stehen in einer Reihe schwarz gekleidete Männer vor Computerbildschirmen. Sie bearbeiten die Bestellungen und geben sie an die Lagerarbeiter weiter. Die Arbeiter gehen durch die Gänge, nehmen Versandartikel aus den Regalen und stellen sie zu Paketen zusammen. Darunter sind Grillzangen in Form von Laserschwertern, Kapuzenpullis mit Star-Wars-Aufdruck und Superheldenfiguren.
"Roboter gibt es noch nicht. Das ist auch lange nicht ausgereift, die Technologie. Ist noch immer gute Handarbeit hier, die Pakete zu packen."

Neben mir steht Alexander Lapeta, einer der Gründer von "Elbenwald" und großer Fan der Tolkien-Trilogie "Herr der Ringe". Kurz bevor die erste Verfilmung in die Kinos kam, programmierte er gemeinsam mit zwei Kommilitonen einen Webshop für Fanartikel. Was als reines Uni-Projekt geplant war, entwickelte eine starke Eigendynamik.
"Wir wurden damals vollkommen überrascht von dem Erfolg. Wir hatten mit einer Nachfrage zu kämpfen gehabt, die wir nie erwartet hatten und auch kaum erfüllen konnten. Wir haben damals teilweise drei Monate Lieferzeit gehabt."
Heute ist "Elbenwald" ein Unternehmen mit 300 Mitarbeitern, einem Jahresumsatz von über 30 Millionen Euro und Niederlassungen in mehreren europäischen Ländern. "Elbenwald" verkauft Merchandising-Artikel von Fremdfirmen, entwickelt aber auch eigene Produkte.
Als Elb und Zwerg aus dem Roman "Der Hobbit" verkleidete Fantasy-Fans auf der Medieval Fantasy Convention auf Schloss Burg in Solingen.
Die passende Ausstattung, um in eine andere Welt abzutauchen.© dpa/Marius Becker

"Wir geben uns große Mühe, die Leidenschaft hochzuhalten"

Alexander Lapeta ist überzeugt: Der Erfolg hängt in erster Linie von den Menschen im Unternehmen ab.
"Wir geben uns große Mühe, die Leidenschaft hochzuhalten. Das fängt bei den Mitarbeitern an. Wir pflegen intern die Fankultur. Da ist auch notwendig, um unsere Kunden zu verstehen. Wir verkaufen ja hier keine normalen Produkte, die man im Alltag braucht, sondern es geht viel um Emotionen. Und da muss man einfach wissen, wie man seine Kunden anspricht, wie die Bedürfnisse sind. Und das können wir ganz gut."
Da sind sie wieder: die Emotionen. Aber wie lässt sich Erlebnis-Shopping ins Internet übertragen? Bei "Elbenwald" setzt man auf ansprechend fotografierte Produktbilder und locker geschriebene Texte mit Anleihen aus der altertümlichen Sprache von "Herr der Ringe" und "Harry Potter". Und auf möglichst viele "Touchpoints", also Kontakte mit Kunden auf verschiedenen Kanälen.
"Natürlich arbeiten wir auch im Social-Media-Bereich. Gerade YouTube, was Videos angeht, nutzen wir schon viel, um den Kunden Produkte näher bringen. Wir streuen da Content-Elemente mit ein, wie Interviews mit Schauspielern oder Experten. Oder auch selber, dass man mal eine Filmbesprechung macht. Wir machen hin und wieder Live-Lesungen. Natürlich muss man auch Facebook, Instagram und Co. ein bisschen bespielen. Wir versuchen da auch immer eine gute Mischung zu haben."
"Das ist die ultimative Liste zum Thema beliebteste Harry-Potter-Zauberstäbe. Weil die Harry Potter-Fans selbst die Liste bestimmt haben, ohne das zu wissen. Aber kommen wir zum wesentlichen."

Präsent auf allen Social-Media-Kanälen

Dazu kommen Aktionen auf Twitter, Blogger-Wettbewerbe und ein eigener Instagram-Kanal. Irgendwann reichte auch das nicht mehr aus. Und "Elbenwald" wagte den Sprung aus dem Internet in den stationären Handel. 36 Läden in Deutschland und Österreich betreiben die Cottbuser heute. Inzwischen machen die Ladengeschäfte beinahe mehr Umsatz als der Online-Kanal. Doch der Anspruch ist noch weitaus höher.
"Wenn man schon Multichannel macht, dann sollte auch wirklich alles möglich sein. Es geht um Dinge wie: Dinge im Laden nach Hause bestellen oder mir im Online-Shop Sachen in den Laden bestellen. Ich muss sie aber auch nicht kaufen, und ich kann sie bezahlen, wo ich will. Wir versuchen für die Kunden immer eine Lösung zu finden und sie in allen Bedürfnissen befriedigen zu können."
Nach meiner Reise durch die Shopping-Kanäle ist mein Respekt vor der Vertriebsbranche gewachsen. Die Herausforderungen für den Handel sind enorm. Er muss Service und Vertriebskanäle massiv ausweiten, seinen Kunden Erlebnisse bieten und möglichst viele Kontaktpunkte schaffen, sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt.
"Elbenwald" ist da schon ziemlich weit vorn. Vor Kurzem hat der Versandhändler auch noch ein eigenes Fantasy-Festival ins Leben gerufen. Im vergangenen Jahr kamen knapp 5000 Menschen, viele davon ausstaffiert mit den Utensilien ihrer Lieblingsfiguren. Ein weiterer Touchpoint im Multi-Channel-Vertrieb von "Elbenwald" könnte man sagen. Oder auch: Es war ein Erlebnis!
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