Erkenntnisse aus der Bayern-Wahl

Mehr Polarisierung führt zu hoher Wahlbeteiligung

Ein älterer Wähler betritt die Tür zum Wahllokal. Er trägt einen Hut mit Gamsbart.
14.10.2018, Bayern, Schwangau: Ein Mann in bayerischer Tracht betritt ein Wahllokal für die Landtagswahl in Bayern. © Karl-Josef Hildenbrand / dpa
Thorsten Faas im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 16.10.2018
Wie auch immer man die Ergebnisse der Landtagswahl in Bayern bewerten mag, einen Gewinn gab es bereits: Die Wahlbeteiligung ist gestiegen. Das sei ein Zeichen dafür, dass unsere repräsentative Demokratie funktioniere, sagt Wahlforscher Thorsten Faas.
Liane von Billerbeck: Wenn man die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern bewertet, wie man die bewertet, das kommt wahrscheinlich auf den parteipolitischen Standpunkt an, könnte man sagen. Sind sie desaströs, katastrophal, wenn man auf die Zahlen der SPD schaut oder auch der CSU?
Oder kann man die Wahlergebnisse auch ganz anders sehen, als ein gutes Ergebnis, als ein gutes Zeichen, dass die Wähler klüger entschieden haben und die Demokratie viel stabiler ist als gedacht? Darüber will ich jetzt reden mit Thorsten Faas. Er ist Politikwissenschaftler und Wahlforscher am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Thorsten Faas: Hallo, schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Die SPD im Sturzflug, die CSU auf Rekordtief, die AfD zweistellig im Landtag. Das Wahlergebnis in Bayern hat ja bei vielen Entsetzen ausgelöst. Können Sie dem Ergebnis auch was Positives abgewinnen?

Wahlen erfüllen Funktion als demokratisches Kernelement

Faas: Wenn man auf so ein Ergebnis aus parteipolitischer Perspektive schaut, dann wird es immer Gewinner und Verlierer geben, und die einen werden es ganz toll finden und die anderen ganz desaströs.
Aber wir dürfen natürlich nicht vergessen, Wahlen sind auch ein ganz integraler Bestandteil von Demokratie. Und insofern müssen wir immer auch schauen, ob Wahlen diese Funktion als Kernelement der Demokratie erfüllen. Und dann fällt einem im ersten Schritt natürlich ein, dass die Wahlbeteiligung gestiegen ist bei dieser Wahl. Wir haben es auch bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr gesehen, auch bei früheren Landtagswahlen der jüngeren Vergangenheit. Wir sehen wieder steigende Wahlbeteiligungsraten, nachdem wir viele Jahre hatten, in denen die Wahlbeteiligung eher zurückgegangen ist. Und das ist erst mal eine gute Sache.
Kann man sich im zweiten Schritt fragen, was sollen Wahlen eigentlich für eine Funktion erfüllen. Na ja, sie sollen Wählerinnen und Wählern vielleicht eine Option verschaffen, auch Unzufriedenheit zu artikulieren. Und auch das ist ja, glaube ich, am Sonntag vielen sehr gut gelungen. Die Unzufriedenheit mit der CSU, aber eben auch mit der SPD im Land, aber auch auf Bundesebene, ist sehr deutlich geworden. Könnte man auch sagen, Funktion erfüllt.
Und was den konstruktiven Blick nach vorn betrifft – was war jetzt eigentlich die Botschaft, wie es so genau mit Bayern weitergehen soll? Na ja, da könnte man vielleicht schon ein kleines Fragezeichen dran machen. Personell scheint es bei der CSU ja erst mal so weiterzugehen.
von Billerbeck: Schau 'n wir mal …
Faas: Ja. Eine Koalition mit den Freien Wählern, da wird sich vermutlich auch gar nicht so viel ändern. Insofern, wie sich Bayern jetzt verändern soll und was da eigentlich die ganz genauen Wünsche der Wählerinnen und Wähler waren, das ist vielleicht gar nicht so klar geworden. Das ist aber auch mit einer einzigen Stimmabgabe natürlich schwierig zu übermitteln.
von Billerbeck: Sie haben die hohe Wahlbeteiligung gelobt. Die war ja allerorten deutlich höher als bei der vorigen Wahl. Was sagt das eigentlich darüber aus? Also von der Politikmüdigkeit oder sagen wir Politikermüdigkeit keine Spur mehr?

Ein Mehr an Zuspitzung führt zu steigender Wahlbeteiligung

Faas: Man kann schon sehr deutlich erkennen, dass diese Wahlbeteiligungsraten wieder steigen, seit es eigentlich wieder mehr Polarisierung im Land gibt. Man kann das noch weiter zuspitzen, man kann sagen, seit es die AfD gibt. Das heißt nicht unbedingt, dass nur die AfD diejenige Partei ist, die von steigender Wahlbeteiligung profitiert. Aber zumindest sehen wir seitdem wieder ein Mehr an Zuspitzung, ein Mehr auch an sozusagen Alternativen, an thematischen Angeboten, die es in Wahlen und Wahlkämpfen gibt. Und damit wird Wählen plötzlich für mehr Menschen auch wieder attraktiver, und das führt dann zu steigenden Wahlbeteiligungsraten.
Und da würde ich immer sagen, wir dürfen Wahlbeteiligungsraten jetzt nicht davon abhängig machen, ob die Menschen "die Richtigen" oder "die Falschen" wählen, sondern das ist erst mal per se eine gute Sache, weil dadurch einfach sichtbar wird: Was denken die Menschen im Land. Und das ist erst mal die Voraussetzung dafür, dass Politik, Politikerinnen, Politiker dann auch darauf reagieren.
von Billerbeck: Analysten oder Beurteiler nach solchen Wahlen sprechen ja dann, wenn es eine hohe Wahlbeteiligung gegeben hat, immer davon, dass der Wähler, die Wählerin sich als mündig erwiesen hat. Was sagen Sie denn auf solche Sätze?
Faas: Manche sind da immer tatsächlich sehr kühn in Interpretationen von diesen Wahlergebnissen. Manchmal ist das gar nicht so leicht, die unmittelbare Verbindung zwischen Wahl, Nichtwahl und Mündigkeit herzustellen. Auch das ist vielleicht gar nicht so leicht. Es mag ja durchaus im Einzelfall gute Gründe geben, warum jemand nicht zur Wahl geht, bis hin zu profanen Dingen, wie dass jemand krank gewesen ist oder so.
Aber trotzdem, wir wünschen uns natürlich, dass an Wahltagen viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Insofern kann man sagen, na ja, wenn sie diese Aufgabe annehmen, wenn sie diesen demokratischen Job erfüllen, dann erfüllen sie eben auch das Bild von Bürgerinnen und Bürgern, das wir haben. Und insofern ist das schon ein gutes Zeichen.
von Billerbeck: Nun hat die CSU einen Dämpfer bekommen, aber einen – zehn Prozent weniger, das ist heftig, aber sie kann weiter regieren, muss sich einen Koalitionspartner suchen, hat schon einen sich auserkoren, die Freien Wähler. Die SPD ist abgestraft worden, die Grünen belohnt. Die AfD ist im Landtag, im fünfzehnten. Was sagt das alles? Sind das alles Zeichen dafür, dass unsere repräsentative Demokratie funktioniert, dass sie viel stabiler ist, als manchmal behauptet?

"Das funktioniert schon alles sehr gut"

Faas: Das denke ich in jedem Fall. Es gibt ja gerade sehr häufig sehr düstere, skeptische Ausblicke auf die Zukunft. Auch die kreisen dann häufig um ein Erstarken der Ränder. Aber wir dürfen bei alldem nicht vergessen, dass die allergrößte Mehrheit von Wählerinnen und Wählern weiterhin ihre Stimme A) mehr denn je abgibt und B) sozusagen sie auch von ganz demokratisch selbstverständlich im politischen System agierenden Parteien, dass sie dort ihr Kreuzchen machen. Insofern sollte man auch immer so ein bisschen vorsichtig sein mit diesen Abgesängen auf die repräsentative Demokratie.
Das funktioniert schon alles sehr gut, und gerade das konnten wir ja am Sonntag erleben. Es ist klar und deutlich geworden, mit welchen Personen und Parteien die Menschen im Land gerade unzufrieden sind, und es ist auch klar geworden, in welche Richtung es vielleicht an der einen oder anderen Stelle stattdessen gehen soll.
Ein kleines Problem bei Landtagswahlen ist häufig, dass wir sozusagen diese Überlagerung durch den Bundestrend sehen. Da könnte man jetzt sagen, das ist so ein bisschen problematisch. Warum werden die Politikerinnen und Politiker in Bayern eigentlich dafür abgestraft, dass sozusagen Politik in Berlin ihnen nicht gefällt? Aber das ist dann vielleicht doch des Guten zu viel, zu erwarten, dass Menschen das ganz genau ausziselieren und da ganz präzise Verantwortung zuschreiben.
von Billerbeck: Thorsten Faas war das, Politikwissenschaftler und Wahlforscher vom Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, über die positiven Seiten des Ergebnisses der bayerischen Landtagswahlen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Faas: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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