"Erinnerungen einer Nation"

Dresden zeigt deutsche Vergangenheit

Ein Mitarbeiter des British Museum in London installiert am 13. Oktober 2014 ein Stück der Berliner Mauer als Teil der Ausstellung "Germany: memories of a nation".
Ein Stück der Berliner Mauer wurde im British Museum in London als Teil der Ausstellung "Germany: memories of a nation" installiert. Auszüge davon sind jetzt in Dresden zu sehen. © dpa / picture alliance / Andy Rain
Hartwig Fischer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 19.10.2015
Die Londoner Deutschland-Ausstellung des Briten Neil MacGregor ist nun in Dresden zu sehen. In ausgewählten Kapiteln werden Aspekte der deutschen Vergangenheit beleuchtet. Warum es gerade jetzt wichtig ist, auch an dunkle Zeiten zu erinnern, sagt der Dresdner Museumsdirektor Hartwig Fischer.
Im Londoner British Museum sorgte die von Museumsdirektor Neil MacGregor kuratierte Ausstellung "Deutschland – Erinnerungen einer Nation" für Furore. Sein gleichnamiges Buch und die von der BBC produzierte Radio-Reihe ebenso. Jetzt ist eine etwas veränderte Variante der Schau im Dresdner Residenzschloss zu sehen. MacGregor, der die Leitung des Berliner Humboldt Forums übernimmt, ist zur Eröffnung anwesend.
Die sechs thematisch aus dem Buch ausgewählten Kapitel zeigen den Aufstieg und Niedergang der Moderne, beginnend mit dem Buchdruck und dem damit einhergehenden Zugang zu Wissen. Die Graphik Albrecht Dürers spannt den Bogen von der Renaissance ins 20. Jahrhundert zum Bauhaus.
Im Zentrum: Gewalt, Verlust und Trauer
Hartwig Fischer, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der Neil MacGregor als Direktor des British Museum folgt, sagte: Aus verschiedenen Gründen hätten er und MacGregor sich entschlossen, nur einen Teil der Ausstellung zu zeigen. "Uns lag aber sehr daran, zu zeigen, was Neil mit dieser Ausstellung geleistet hat." So sei die Auswahl zustande gekommen, die auf das kürzlich auch auf Deutsch erschienene Buch und die Radio-Produktion Bezug nehme.
Der bisherige Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Hartwig Fischer
Der bisherige Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Hartwig Fischer wird neuer Direktor des Londoner British Museum© picture alliance / dpa / Matthias Hiekel
Im Zentrum der Ausstellung steht Gerhard Richters Bild seiner Tochter Betty, die sich von uns, den Betrachtern, abwendet und gleichsam der Vergangenheit zuwendet − aber im nächsten Augenblick uns und damit zugleich der Zukunft entgegen schauen wird. . Käthe Kollwitz' Pietà und das Tor des Konzentrationslagers Buchenwald mahnen an die Zeiten menschlichen Versagens und an unfassbare Grausamkeit und Gewalt, Verlust und Trauer.
Pegida erinnert an dunkle Zeiten
Und anlässlich des ersten "Geburtstages" der islam- und fremdenfeinlichen Initiative Pegida, deren Anhänger heute durch Dresden ziehen wollen, scheinen Erinnerungen an die dunkle Seite der deutschen Geschichte mehr als angemessen, meint Hartwig Fischer. Pegida erlebe er "als etwas außerordentlich Frustrierendes, als eine Herausforderung für uns alle - ein Problem, das wir noch nicht gelöst haben. Ich glaube, dass sich in diesen Montagsumzügen eine enorme Wurt, auch Frustration, ein Hass manifestiert und sich verfestigt hat. Und es ist außerordentlich schwierig mit den Menschen, die sich dem anschließen, ins Gespräch zu kommen."
Nicht genug Leute gingen als Gegenbewegung auf die Straße, um sich klar abzugrenzen. Pegida hätte in Dresden eindeutig wieder an Kraft gewonnen.

"Erinnerungen einer Nation – Neil MacGregors Buch über Deutschland", Ausstellung im Dresdner Residenzschloss, 20. Oktober 2015 bis 17. Januar 2016, www.skd.museum/de/sonderausstellungen/erinnerungen-einer-nation



Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es war eine hoch gelobte Deutschland-Ausstellung, die Neil MacGregor, der Chef des British Museum kuratiert hat, ein Buch ist daraus entstanden und eine Fernsehserie, "Deutschland. Erinnerungen einer Nation". Diese Ausstellung kommt jetzt nach Dresden ins Residenzschloss. Und wie man in Dresden und für Dresden diese Ausstellung präsentiert, darüber will ich jetzt mit Hartwig Fischer reden. Er ist Direktor der Kunstsammlung in Dresden und wird Neil MacGregor im British Museum folgen an der Direktionsspitze. Und wir wollen heute reden an dem Tag, da PEGIDA seit einem Jahr Montag für Montag auf die Straße geht. Herr Fischer, schönen guten Morgen! Hartwig Fischer: Guten Morgen, ich grüße Sie! von Billerbeck: Heute Abend spricht Neil MacGregor in der Dresdner Frauenkirche und auch durch Dresdens Innenstadt ziehen wie seit nunmehr einem Jahr die Demonstranten von PEGIDA mit ausländerfeindlichen Parolen und es wird auch wieder Gegendemonstrationen geben. Wie erleben Sie das? Fischer: Als etwas außerordentlich Frustrierendes, eine große Herausforderung für uns alle und ein Problem, das wir noch nicht gelöst haben. Ich glaube, dass in diesen Montagsdemonstrationen ... von Billerbeck: Man möchte das Wort gar nicht benutzen, was? Fischer: ... ja, Montagsaufzügen, -umzügen sich eine enorme Wut, auch Frustration, ein Hass manifestiert und sich verfestigt hat. Und es ist außerordentlich schwierig, mit den Menschen, die sich dem anschließen, ins Gespräch zu kommen. Das ist eine vielfältige Gruppe, das ist klar, mit einem gut organisierten, harten Kern, aber es gehören eben zu viele Menschen dazu. Es gehen zu viele Menschen mit, die sich nicht sofort abwenden, wenn Naziparolen gegrölt werden – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gehen nicht genug Leute jeden Montag auf die Straße, um klarzumachen, dass diese Bewegung nicht die Mehrheit dieser Stadt oder des Freistaates Sachsen oder der Bundesrepublik repräsentiert. Und das ist einer der Gründe, denke ich, dafür, dass anders als in deutschen Städten diese Demonstrationen hier nicht ... Sie sind abgeflaut, aber sie sind nicht verschwunden und sie haben jetzt wieder an Kraft gewonnen. MacGregors Buch zur Geltung bringen von Billerbeck: Die Ausstellung, die da heute eröffnet wird, von Neil MacGregor kuratiert, über die Deutschen und ihre Geschichte, die hat ja in Großbritannien für große Furore gesorgt, hat sich mit deutscher Geschichte im Detail und auf eine neue Art befasst und auch einen neuen Blick auf Deutschland ermöglicht, einen britischen Blick, wohl gemerkt. Jetzt ist die Ausstellung in Dresden zu sehen, allerdings in abgewandelter Form. Was wurde denn da verändert? Hat das möglicherweise mit der politischen Situation in Dresden zu tun? Fischer: Nein, das hat damit nichts zu tun. Ich hatte Neil MacGregor schon am Abend der Eröffnung gefragt, ob wir die Ausstellung in Dresden zeigen könnten. Ihn hat diese Idee sofort interessiert, wir haben aber dann aus verschiedenen Gründen beide beschließen müssen, dass wir die Ausstellung nicht in toto, so wie sie in London zu sehen war, hier zeigen können. Uns lag aber sehr daran zu zeigen, was Neil mit dieser Ausstellung geleistet hat. Und so haben wir jetzt sechs Kapitel ausgewählt, das heißt, wir haben Objekte, die diesen sechs Kapiteln entsprechen, die auch in London zu sehen waren, in Dresden versammelt und geben zugleich die Möglichkeit für die Besucher, den anderen Teil der Ausstellung wahrzunehmen. Das heißt, einmal das Buch und die Radiosendung, die Neil MacGregor zu dieser Ausstellung gemacht hat, so wie er es auch schon für "Geschichte der Welt in 100 Objekten" gemacht hat. Das war einer der Gründe, warum diese bemerkenswerten Ausstellungen, sehr klug ausgewählten, arrangierten Ausstellungen eine so fantastische Öffentlichkeit gefunden haben. Er hat in kurzen Kapiteln über das Radio wesentliche Aspekte seiner Themen entwickelt, indem er selbst sprach und indem er Spezialisten beteiligt hat. Und das wollen wir hier nachvollziehbar machen in der Ausstellung, der wir einen etwas anderen Titel gegeben haben, bei uns heißt es jetzt "Erinnerungen einer Nation. Neil MacGregors Buch über Deutschland". von Billerbeck: In London hatte MacGregor sich ja nicht gescheut, die Brüche der deutschen Geschichte aufzuzeigen, und zwar auch in Fragmenten und Erinnerungsstücken, und da war ja dann vom Bierseidel übers Bauhaus, VW Käfer, Wagner, Menzels Germania, Georg Baselitz' kopfüber stürzender Bundesadler alles dabei. Welche Objekte sind es denn, die sie für Dresden passend fanden und für Dresden ausgewählt haben? Fischer: Nun, wir haben uns auf, wie gesagt, sechs Kapitel konzentriert, die uns wesentlich scheinen. Alle Kapitel sind wesentlich in diesem Buch und das, was MacGregor mit diesem Buch, mit dieser Ausstellung geleistet hat, ist tatsächlich ein neuer Zugang, wie mir scheint, zur deutschen Geschichte, indem er sich darauf konzentriert, wie historische Leistungen und Erfahrungen möglich wurden, wie sie sich entwickelt haben und welche Folgen sie hatten und wie sie erinnert wurden, und wie diese Erinnerung zugleich eingesetzt wird, genutzt wird, um ein Gefühl der gemeinsamen Kultur herzustellen, die nicht unbedingt identisch ist mit einem gemeinsamen Staat. Kollwitz, Richter, Buchenwald Und wir haben uns auf die Kapitel Gutenberg, Dürer, das Bauhaus in Weimar, Käthe Kollwitz mit ihrer Pietà auf Buchenwald und dann auf Gerhard Richter konzentriert und zum Teil ein Objekt, zum Teil mehrere Objekte zu diesen sechs Kapiteln versammelt. Das zentrale Dreieck in dieser Ausstellung bildet die Pietà von Kollwitz, und eine Trauerskulptur zu den Verwüstungen der Kriege, das Tor von Buchenwald, das von einem Bauhaus-Künstler, Franz Ehrlich, gestaltet wurde mit der Inschrift "Jedem das Seine", eine ganz perverse Form der Belehrung eines mörderischen Regimes, und als Drittes Gerhard Richters "Betty", ein Bild seiner Tochter, die sich von ihm abwendet, einem seiner Bilder zuwendet, also auf eine merkwürdige Weise zu uns gehört, anwesend ist, aber den Blick abwendet von uns – und das beschließt das Buch von MacGregor –, im nächsten Moment sich uns zuwendet, also im Grunde von der Geschichte ihres Vater sich abwendet und der Zukunft sich zuwendet. von Billerbeck: Hartwig Fischer war das, Direktor der Staatlichen Kunstsammlung, über die Ausstellung von Neil MacGregor, "Deutschland. Erinnerungen einer Nation", die ab heute in Dresden zu sehen ist. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, und wenn wir das nächste Mal miteinander sprechen, dann müssen wir eine Nummer in London wählen, denn Hartwig Fischer wird Neil MacGregors Nachfolger als Direktor des British Museum. Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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