Erinnerungen an die Weltkunstschau

19.06.2012
Die Kassler documenta ist weltberühmt geworden, und es gibt zahlreiche Erinnerungen an die Ausstellung - auch mit persönlichen Erlebnissen. Harald Kimpel hat sie in einem Sammelband zusammengetragen.
"Mein Leben wäre anders verlaufen, wenn ich die documenta nicht gesehen hätte," urteilte der Kunstkritiker Alfred Nemeczek über die erste Weltkunstausstellung in Kassel 1955. Dem Galeristen Rolf Ricke ging es nicht anders: "Es hat mich ganz unsagbar gepackt damals." Über dreißig Jahre später schreibt Kurator Klaus Biesenbach von "einer Art Ausnahmezustand" auf der documenta 8 (1987), und für den Maler Norbert Bisky stellte die documenta 9 (1992) die Weichen: "Ein halbes Jahr später habe ich mich entschieden, Maler zu werden."

Soviel einhellige Begeisterung – zudem generationsübergreifend – ist selten im Kunstbetrieb. Doch tatsächlich haben die im Fünfjahres-Rhythmus stattfindenden documenta-Ausstellungen viele Akteure der Kunstwelt in besonderer Weise geprägt, wie Harald Kimpel in seiner Dokumentation "documenta emotional" zeigt.

Der Autor versammelt Statements von über 30 Mitwirkenden und Besuchern aus über fünf Jahrzehnten; zusammengestellt aus Biografien, Zeitungsartikeln und anderen Publikationen. Zu Wort kommen unter anderen documenta-Gründer Arnold Bode, die Kunsthistoriker Wieland Schmied und Hans-Kurt Boehlke, der Kurator Harald Szeemann, Künstler wie K. O. Götz, Hans Haacke und die Tochter Bodes E. R. Nele.

Ihre Berichte erzählen von gelungenen Ausstellungen, von beglückenden Begegnungen mit Künstlern und Kunstwerken, aber auch von Pleiten, Finanznöten und nicht zuletzt von Querelen.

So beschreibt Arnold Bode, wie er Kassels Oberbürgermeister 1955 überzeugte, die Ruinen des Fridericianums künstlerisch zu bespielen: "Sind doch keine Fenster drin!" "Macht man eben welche rein." Harald Szeemann erinnert sich an finanzielle Schieflagen und eine gnadenlose Kunstkritik (d5). Wieland Schmied schreibt von seiner Panik angesichts Dauerregens und undichter Dächer (d6), und Hans-Kurt Boehlke weiß vom Glück, mit "Thermoskanne und Stullen" ganz alleine mit der Kunst im Fridericianum übernachten zu dürfen (d1).

Viele Kunstwerke passieren Revue: Die Riesenformate Jackson Pollocks, die für Faszination, aber auch für Raumnot sorgten (d2). Die Skulpturen Alexander Calders, von denen schließlich eine fehlte, weil man versehentlich zwei Werke zu einem verschraubt hatte (d3). Oder die Performance von James Lee Byars – aufgeführt auf einem Baum, von dem der Künstler nur mit Hilfe der Feuerwehr wieder herunter kam (d5).

Es macht Freude, all das zu lesen. Jede Geschichte vermittelt ein dichtes und facettenreiches Bild. Elegant verschmelzen so die Geschichte der documenta und Geschichten über die documenta.

Ein Manko allerdings hat das Buch. Von documenta 8 an geht dem Herausgeber die Puste aus. Den letzten fünf Ausstellungen widmet er deutlich weniger Seiten. Das ist schade. Daher die Einschränkung: eine schöne Dokumentation, aber nur für die ersten 25 documenta-Jahre!

Besprochen von Eva Hepper

Harald Kimpel: documenta emotional. Erinnerungen an die Weltkunstausstellungen
128 Seiten, Jonas Verlag 2012, 20 Euro