Erinnerung an Günter Grass

"Er wird als politische Stimme fehlen"

Günter Grass während der Leipziger Buchmesse im März 2015.
Günter Grass während der Leipziger Buchmesse im März 2015. © Imago / Star-Media
Moderation: Katja Schlesinger und Frank Meyer · 13.04.2015
Günter Grass habe es immer geschafft, Diskussionen in Gang zu setzen, sagt Literaturkritiker Jörg Magenau. Das sei seine Qualität gewesen, seine Literatur habe allerdings ästhetisch ein bisschen stagniert - heute Vormittag ist der Literaturnobelpreisträger verstorben.
Katja Schlesinger: Wenn Sie es noch nicht gehört haben, Günter Grass ist heute Vormittag gestorben in einer Klinik in Lübeck. Wir sind jetzt im Gespräch mit dem Literaturkritiker Jörg Magenau, der Günter Grass gut kannte und außerdem Bücher geschrieben hat über andere große deutsche Autoren, über Martin Walser, Gottfried Benn, Christa Wolf, und der auch "Lesart"-Kollege ist hier im Haus bei Deutschlandradio Kultur.
Herr Magenau, wann sind Sie Günter Grass eigentlich zum letzten Mal begegnet?
Stark eingemischt
Jörg Magenau: Ich bin ihm immer wieder begegnet im Rahmen des Döblin-Preises, der alle paar Jahre vergeben wird. Diesen Preis hat Grass ja selber ins Leben gerufen und benannt nach Döblin, der sein großer Autor war, dem er viel zu verdanken hat, ästhetisch und politisch. Da war er selber auch zu erleben, hat immer teilgenommen. Das ist gebaut, dieser Döblin-Preis, ein bisschen nach der Gruppe 47, als Werkstattlesung, dass also sechs Autoren eingeladen werden, dann um einen Preis konkurrieren. Und über die einzelnen Texte wird dann diskutiert mit dem Auditorium. Und da saß Günter Grass immer dabei und hat sich auch sehr stark eingemischt in die Diskussionen, so wie er das früher auch in der Gruppe 47 getan hat. Da war er nicht nur Autor, sondern auch einer der führenden Kritiker.
Er hat sich immer dafür interessiert, was andere tun, und hat das gefördert und war, wie ich fand, bei diesen Treffen auch immer sehr offen verschiedenen Schreibweisen gegenüber. Er hatte wirklich ein dezidiert literarisches Interesse an den Texten und konnte da auch, glaube ich, ganz gute Tipps geben, wo etwas handwerklich funktioniert, wo was nicht funktioniert.
Frank Meyer: Ich muss sagen, einmal saß ich auch dabei bei diesem Döblin-Preis. Und wie ich Grass da erlebt habe, gar nicht so als Besserwisser, als den man ihn sonst ja auch gerade im politischen Leben so wahrgenommen hat, sondern tatsächlich so als neugierigen Kollegen, der den jüngeren, die ja da meistens ihre Texte vorgestellt haben, auch durchaus eben als gleichrangiger Kollege gegenüber getreten ist. Wenn man auf Jüngere schaut, was würden Sie sagen - welche Rolle hat Grass für die jüngeren deutschen Autoren gespielt?
Eine Kumulationsfunktion
Magenau: Er hatte ja durchaus so was Väterliches und Förderndes auch, und er hatte auch politisch eine Kumulationsfunktion, das es jüngere Autoren wie Eva Menasse, Michael Kumpfmüller und andere, Juli Zeh, versucht haben, mit Grass zusammen dann noch mal so was wie den engagierten Autor in die Welt zu setzen, und sich getroffen haben und politisch Stellungnahmen fabriziert haben. Das ist allerdings natürlich ein Modell, das so in der heutigen Welt nicht mehr funktioniert, für das aber Grass sehr stand.
Ästhetisch haben sich viele auch an ihm gerieben natürlich, da war er der Alte, der Platzhirsch, der, der die Diskussionen und Debatten zusammen mit seinem Generationsgenossen Enzensberger weiter bis heute prägt und besetzt und wo viele jüngere sich natürlich auch ärgern, dass sie nicht mehr diese Meinungsbildungsfunktion haben, die diese Generation besitzen konnte, und dass man da als junger Autor heute einfach nicht mehr rankommt.
Schlesinger: Das Buch von Günter Grass, das ist natürlich "Die Blechtrommel", immerhin aus dem Jahr 1959. Was sind denn außerdem für Sie ganz wichtige Bücher von Günter Grass?
Debatten in Gang gesetzt
Magenau: Günter Grass hatte natürlich ein bisschen das Problem, dass er mit der "Blechtrommel" seinen großen Roman gleich in jungen Jahren geschrieben hat und er später vergeblich versucht hat, sich darin zu imitieren. Der Grass-Ton, der dann auch ein bisschen was Manieriertes kriegt, vor allem, wenn man ihn dann auch lesen hörte, in diesem kaschubischen Deutsch-Tonfall, der ja auch immer zu seiner Literatur dazugehört.
Die großen Bücher von ihm waren meiner Meinung nach deshalb dann diejenigen, die politisch vor allem Debatten in Gang gesetzt haben nach der "Blechtrommel". Die "Danziger Trilogie" vielleicht ausgenommen, das ist, glaube ich, sein wirkliches Meisterwerk. Aber was dann danach kam, da sind dann vielleicht, würde ich vor allem nennen einen Roman, der ganz heftig umstritten war, nämlich "Ein weites Feld", Anfang der 90er-Jahre ...
Schlesinger: Wir erinnern uns an den berühmten Kritiker ...
Magenau: ... wo er die deutsche Einheit in ihrem Verlauf kritisiert hat aufs Schärfste, und, wie ich finde, auch mit durchaus treffenden Argumenten. Und ein zweites Buch, was auch politisch sehr viel bewirkt hat, war "Im Krebsgang" dann kurz nach 2000, ist, glaube ich, 2002 erschienen, in dem er die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten thematisiert hat. Und auch das war neu, dass da ein Thema literarisch angesprochen werden konnte, was lange Zeit ein Tabu war, also, über die Deutschen als Opfer zu sprechen.
Das ist eine dann durchaus von Grass auch mit in Gang gesetzte breite Bewegung geworden literarisch. Grass war immer so ein bisschen auch seiner Zeit voraus. Er hatte eine Nase für Themen. Das kann man an seinen Romanen sehen, das kann man aber auch an seinen politischen Statements sehen, nicht zuletzt auch mit dem doch hart kritisierten Israel-Gedicht, aus dem wir gerade eingangs was hörten
Meyer: Wenn Sie auf dieses Israel-Gedicht, "Was gesagt werden muss", das stammt ja aus dem Jahr 2012, das gab ja eine erbitterte Debatte, und bis heute ist Günter Grass ja in Israel wegen dieses Gedichtes eine Art Persona non grata. Wie schauen Sie denn jetzt zurück auf die Kontroverse um dieses Gedicht von heute aus?
Eine politische Stimme
Magenau: Dieses Gedicht ist natürlich einigermaßen läppisch als Gedicht, das ist ein miserables Gedicht. Aber es hat eine politische Botschaft, die äußerst diskussionswürdig ist und war. Und das hat Grass immer wieder geschafft, eine Diskussion in Gang zu setzen. Dass man Israel kritisieren muss und darf in seiner Rolle als Aggressor, als Militärmacht im Nahen Osten - mehr hat er in diesem Gedicht im Grunde nicht gesagt. Und diese Diskussion muss möglich sein, und die hat er angestoßen. Und das war seine Qualität, bei allem, was man über seine Literatur pro und kontra sagen kann, und die vielleicht auch ein bisschen stagnierte ästhetisch, war er doch politisch einer, der immer sich eingemischt hat und der als politische Stimme in Deutschland fehlen wird.
Schlesinger: Jörg Magenau war das, unser Kollege und Literaturkritiker hier bei Deutschlandradio Kultur, zum Tod von Günter Grass, der heute Vormittag verstorben ist. Herzlichen Dank dafür!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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