Erich-Salomon-Preis an Rolf Nobel

Politische Fotografie als Storytelling

Der Fotograf und Professor Rolf Nobel - hier in seiner Funktion als Leiter des 4. Lumix Festivals für jungen Fotojournalismus an der Fachhochschule Hannover.
Der Fotograf und Professor Rolf Nobel - hier in seiner Funktion als Leiter des 4. Lumix Festivals für jungen Fotojournalismus an der Fachhochschule Hannover. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Jochen Stöckmann · 05.04.2016
Rolf Nobel begann als Demo-Fotograf. Für den "Stern" ließ sich der heutige Professor für Fotografie von den Zeugen Jehovas missionieren und reiste mit der Kamera in das Welthauptquartier nach Brooklyn. Jetzt erhält Nobel den Erich-Salomon-Preis für Fotografie.
Der Kunstkritiker sitzt dem Fotografen gegenüber. Zum Interview bei Rolf Nobel, der vor vielen Jahren ebenfalls Juror für einen Fotopreis war. Da gab es hitzige Diskussionen über Form versus Inhalt. Hier die Kunstfraktion, in Galerien und Museen auf dem Vormarsch – mit "kreativer" Bild-Ästhetik. Dort Fotojournalisten, denen die Magazine immer weniger Platz einräumen – trotz aussagekräftiger, "authentischer" Reportagen.
Doch darüber zu streiten, scheint diesmal wirklich nicht der rechte Moment. Es klopft an der Tür, jetzt ist es amtlich: Rolf Nobel erhält den Erich-Salomon-Preis, eine der wichtigsten Auszeichnungen für Fotografen. Gratulation – und schon macht sich der Preisträger wieder stark für "seine", für die journalistischen Fotografen:
"Wir alle wissen, dass es viele Fotografen gibt, die wirklich richtig gut sind. Aber die keine Chance haben, jemals in diesen Kunstmarkt zu kommen. Also, der Kunstmarkt, der hat was sehr surreales. Da ist mir einfach die journalistische Fotografie viel, viel näher."

Bei den Seetangsammler auf den Orkneyinseln

Verständlich, bei dieser Biografie: erst Mitglied, später Teilhaber der Agentur VISUM. Dann nach Hannover berufen als Professor für "Fotojournalismus und Dokumentarfotografie". Ein erfolgreicher Studiengang, den Rolf Nobel auf- und ausgebaut hat. Beispielhaft, in eigener Person: möglichst niemandem, keinem Auftraggeber und keiner noch so gut gemeinten Ideologie verpflichtet. Sondern dem eigenen, ebenso sorgfältigen wie subjektiven Blick auf die Welt. Genauer: auf die Arbeits- und Alltagswelt.
Rolf Nobel: "Die eigene Selbstfindung, die hat eigentlich stattgefunden mit Geschichten wie für 'Mare' die Seetangsammler auf den Orkneyinseln, die Kleinminen in New Wales, also Bergarbeiter in ganz kleinen Minen zu zweit, zu viert, zu sechst. Was auch damit zu tun hat, dass ich selbst aus einer Arbeiterfamilie komme. Mein Vater hat mich einfach die Sprache dieser Menschen gelehrt."
Mit Gesten und Gebärden konnte der Fotograf sich selbst in Indien auf Anhieb verständigen. Es zog ihn aber nicht nur in exotische Länder, den ersten journalistischen Erfolg verdankt Rolf Nobel einer ganz alltäglichen Begegnung:
"Ich hab eine Geschichte gemacht über die Zeugen Jehovas, die irgendwann mal bei mir vor der Tür standen und die der 'Stern' sofort haben wollte. Und ich bin wirklich rein in die Organisation, hab' mich missionieren lassen, hab' mich taufen lassen. Bin im Welthauptquartier der Zeugen Jehovas in Brooklyn gewesen."
Darüber hat der Fotograf für die Illustrierte "Stern" geschrieben. Stift und Notizblock gehören für ihn zur Profi-Ausrüstung.

Die Bilderserie als Lehrstück

Keine High-Tech kann die Bild-Vorstellung, die journalistische – ja: Imagination ersetzen. Der gute Fotoreporter braucht über Anlässe, Ereignisse hinaus immer neue Ansätze, originelle Zugänge zu seinem Thema:
"Wir haben hier auch sehr, sehr politische Studenten, die keine Demonstration auslassen. Auch ich war mal so ein 'Demo-Fotograf'. Aber ich habe schnell gemerkt, dass das ständig sich wiederholende Bild-Konstruktionen sind. Das ist doch eine sehr engstirnige Sicht auf die Welt – und ich hab' dann mich mehr für Geschichten, für das Geschichtenerzählen interessiert."
Genau das, "Storytelling", unterrichtet Rolf Nobel. Politische Fotografie nicht in Gestalt plakativer Botschaften, sondern als einfühlsame Erzählung, mit sorgsam recherchierten, gut gebauten Fabeln. Die Bildserie – ein Lehrstück.
Und am Ende nichts anderes als – Kunst. Solides Handwerk, ohne vorgefertigte Klischees – und zwischendurch immer wieder improvisiert:
"Ich wünsche mir auch in der Fotografie mehr und mehr Jazz. Also, es ist auch ganz gut, wenn in Geschichten Bilder dabei sind, die wie Popmusik sind. Aber wir brauchen eben auch Bilder, wo es schwerer ist reinzukommen, aber die einen dann ganz, ganz lange halten im Bild."
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