Eric Cantona: "Ich bin ein Spieler"

Eric Cantona im Gespräch mit Holger Hettinger · 03.11.2009
Mit dem Fußball und der Schauspielerei habe er zwei Leidenschaften, die eines verbinde: beides seien Spiele, bei denen es um Emotionen gehe, und er sei ein Spieler, sagt der Ex-Manchester-United-Fußballer Eric Cantona zu seinem Film "Looking for Eric", der ab morgen in die deutschen Kinos kommt.
Susanne Führer: Auch wer kein Fußballfan ist, hat sicher schon mal von dem französischen Fußballspieler Zinédine Zidane gehört – spätestens seit seinem Kopfstoß bei der WM 2006 gegen den italienischen Spieler Materazzi. Dieses Foul machte ihn weit über die Fußballwelt hinaus berühmt. Ähnlich liegt der Fall bei Eric Cantona. Der Franzose spielte rund zehn Jahre zuvor, nämlich in den 90er-Jahren, in England und wurde allseits bekannt, als er einem Zuschauer im Kung-Fu-Stil mit den Füßen gegen die Brust trat. Heute ist Zidane Eigentümer eines Fußballvereins und Cantona ist Schauspieler. Übermorgen kommt der Film "Looking for Eric" in unsere Kinos.

Noemi Schneider über den Fußballer Eric Cantona in einem Film von Ken Loach, "Looking for Eric". Und das haben wir auch getan, und Eric Cantona dann auch gefunden, nämlich in Berlin. Mein Kollege Holger Hettinger hat mit ihm über Fußball, Film und ganz am Ende auch über Fischkutter gesprochen.

Holger Hettinger: Glückwunsch, Eric Cantona! Ihre Trompetenkenntnisse, die Sie in dem Film "Looking for Eric" zeigen, sind sehr, sehr beachtlich. Wie kam’s dazu?

Eric Cantona: Das war in der Zeit, als ich für Manchester gespielt habe und eine neunmonatige Sperre abzusitzen hatte, und in dieser Zeit habe ich sehr, sehr viel trainiert, eigentlich mehr denn je. Aber am Sonntag hatte ich ja dann spielfrei und da brauchte ich auch ein neues Ziel für mich. Und Trompetespielen war dann eins dieser Ziele. Ich muss natürlich dazusagen, dass diese Sperre damals durchaus berechtigt war, aber man braucht dann eben ein Ziel. Und vielleicht habe ich jetzt nicht so große Fortschritte mit der Trompete gemacht, aber es war eben dieses Ziel, was über das Training hinaus dann noch hatte, weil es ist ja schwer, wenn man eine so lange Zeit nicht spielen darf.

Hettinger: Eine der schönsten Szenen in diesem Film "Looking for Eric", Eric Cantona, ist die, als sich die alten Fußballkumpels um den Postboten Eric Bishop zusammenrotten, um diesen Kriminellen, die gerade dabei sind, die Söhne dieses Postboten hier ins Milieu abgleiten zu leiten, die sie versuchen zu verführen, um denen eine Lektion zu erteilen. Und die ganze Bande chartert sich dann Busse, fährt zum Haus dieses Kriminellen und legt dort alles in Trümmer. Und das Lustige ist, sie tun das alle und haben Eric-Cantona-Masken auf. Und am Ende, als sie die Masken dann abziehen, dann sieht man hinter einer dieser Masken, da sind Sie, Eric Cantona. Wie hat sich das angefühlt für Eric Cantona mit einer Eric-Cantona-Maske zu spielen?

Cantona: Klar, das ist eine sehr, sehr schöne Szene, weil das ist eine Szene, die sehr viel Menschlichkeit ausstrahlt, sehr viel Solidarität zeigt – es sind eben die Freunde, die helfen, und das ist ja schon auch etwas, was so ein bisschen am Verschwinden ist, diese Solidarität unter Menschen. Und sie kämpfen für ihn, und das ist etwas, was ich sehr stark finde. Und dann das natürlich mit der Maske, das sieht einfach stark aus, wenn alle die gleiche Maske tragen. Da ist es relativ unwichtig, ob das nun meine Maske ist oder die eines anderen, aber es ist einfach ein starkes Bild. Und da kommt einfach eine emotionale Kraft herüber. Und natürlich ist das Ganze auch nicht ohne Humor inszeniert.

Hettinger: Humor ist eines der Markenzeichen dieses Films. Ken Loach hat wieder einmal so ein ganz zartes, anrührendes Drama gestaltet, das voll ist mit Menschlichkeit, mit sehr vielen positiven Botschaften, mit ganz kleinen, zarten Momenten, und ich habe das mit großer Freude gesehen, wie sehr Sie dazu beitragen, diesen, ja, humanitären Anspruch dieses Films auch zu tragen. Wie ist diese Zusammenarbeit mit Ken Loach überhaupt zustande gekommen?

Cantona: Also das war eigentlich relativ einfach, wie man sich kennengelernt hat. Das war so, dass ich mit meinen Brüdern – wir haben eine Idee für einen Film gehabt, die haben wir einfach nur auf zwei Seiten zusammengetragen, und dann sind wir zu einer Produktionsfirma, zu einer französischen, gegangen, die solche Filme dreht, wie er uns vorschwebte, und hatten eine Liste von Regisseuren vorgeschlagen. Und der erste Name auf dieser Liste war Ken Loach. Und es kam dann auch relativ spontan zu einem Treffen, zusammen mit Paul Laverty, mit dem Drehbuchautor von Ken Loach, und sie sahen sich unsere Idee an und meinten, ja, das ist eine ganz interessante Geschichte, eine ganz gute Geschichte, vielleicht nicht die Geschichte, die wir erzählen wollen, aber darauf können wir aufbauen, da können wir sehen, ob uns dazu etwas einfällt. Und sie waren auch ganz ehrlich, sie haben gesagt, also wenn es uns innerhalb weniger Wochen nicht gelingt, daraus eine wirkliche Geschichte zu machen, dann wird es vielleicht auch nichts. Also es sind nicht nur großartige Künstler, sondern sie sind auch menschlich absolut in Ordnung.

Hettinger: Eric Cantona, Sie sind mittlerweile ein richtig alter Hase im Filmgeschäft. Ich habe mal nachgeschaut, seit 14 Jahren dabei, Ihr erster Film 1995, "Le bonheur est dans le pré". Was hat sich geändert in Ihrer sagen wir schauspielerischen Haltung seitdem?

Cantona: Ja, wenn Sie die Frage jetzt ein bisschen auch darauf beziehen, wie das mit meiner vorherigen Karriere als Fußballspieler zusammenhängt, was sich da verändert hat, dann würde ich sogar sagen, da sind die Unterschiede gar nicht so groß. Ich bin ein Spieler – erst habe ich Fußball gespielt, jetzt stehe ich am Filmset zur Verfügung als Spieler und spiele da auch was, was man von mir verlangt. Im nächsten Januar werde ich sogar auf der Bühne stehen und Theater spielen. Wichtig ist, dass man diesen Job sehr ernsthaft macht, aber ihn nicht so ernst nimmt. Also ich stehe diesem ganzen Milieu des Kinos, der Schauspielerei doch ein bisschen distanziert gegenüber, versuche das alles nicht so ernst zu nehmen, aber natürlich muss ich meine Arbeit gut machen. Weil es geht ja auch darum, Emotionen herüberzubringen. Aber Sie dürfen einfach nicht das Spiel dabei vergessen, beides sind Spiele. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich dabei um dramatische Szenen handelt oder vielleicht auch sogar um eine Tragödie handelt – es ist mein Spiel, und bei diesem Spiel geht es um Emotionen. Und das sind ganz einfache Gleichungen. Wenn ich gewinne, lebe ich, wenn ich verliere, sterbe ich. Das sind so die Dinge, die etwas sehr Spielerisches haben.

Hettinger: Ich fand es deswegen auch bemerkenswert, weil – gut, wenn Sie als Eric Cantona bei ManU auf dem Platz stehen, die "7" tragen, dann johlen Ihnen die Massen in Old Trafford deswegen zu, weil Sie Eric Cantona sind. Und ja, auf der Leinwand, wenn man jemand anderes darstellt, ja, da wird man bewundert, weil man jemand anderen gibt, aber nicht unbedingt sich selbst.

Cantona: Ja, hier treffen sozusagen beide Leidenschaften, die ich habe, einfach sehr schön aufeinander, und deswegen ist es auch ein sehr, sehr wichtiger Film. Weil ich bin eigentlich nicht jemand, der so sehr in der Vergangenheit schwelgt. Ich hatte eine sehr intensive Vergangenheit, und das waren auch sehr, sehr intensive Momente, die ich dort erlebt habe, aber ich gehöre eigentlich nicht zu den Leuten, die dann immer nur noch die Vergangenheit verherrlichen und nur noch in der Vergangenheit leben. Man muss sich dann einfach auch andere Ziele setzen. Und das Kino hat es mir ermöglicht, mir diese anderen Ziele zu setzen, und natürlich war dieser Film sehr schön für mich, weil es endlich möglich war, diese beiden Leidenschaften, die ich habe, miteinander zu verbinden.

Hettinger: Echt, diese Zeit haben Sie so sehr abgehakt? Also ich hoffe, meine Chefin hört dieses Interview nicht, denn ich habe mir mal einen lustigen Vormittag gemacht und habe in meinem Büro auf YouTube einfach Eric Cantona eingegeben und mir diese ganzen Filmchen, diese ganzen Schnipsel mit ganz wundervollen Spielszenen und wirklich irrsinnigen Toren mal vorführen lassen und mir da einen genussreichen Vormittag gemacht. Fehlt Ihnen das nicht, diese Atmosphäre, dieser Kitzel, die Masse, der Hexenkessel Old Trafford?

Cantona: Ja, natürlich, auf dem Platz zu stehen und von 70.000 Leuten gefeiert zu werden, das ist natürlich schon etwas, was ich auch gerne gemacht habe und was ich auch vielleicht auch gerne mal wieder tun müsste, aber wie ich schon sagte, man hat ja dafür auch sehr hart gearbeitet, man hat ja unglaublich viel auch aufgegeben, ist viele Opfer eingegangen. Und ich habe dann einfach irgendwann gemerkt, dass mir die Leidenschaft gefehlt hat, und deswegen habe ich meine Karriere ja relativ früh beendet. Weil wenn ich ehrlich mit mir war, wusste ich, da fehlt mir so ein bisschen diese Leidenschaft. Gut, diese Gefühle zu erleben, sehr gerne, aber ich war vielleicht nicht mehr bereit, da so viel noch hineinzustecken. Und dann hatte ich auch einfach das Glück, dass es bei mir eine andere Leidenschaft gab und dass ich mich für was anderes interessiert habe, wo ich mich dann ausleben konnte. Und ich habe schon gesagt, man muss sehr, sehr hart arbeiten, um sich eine gewisse Freiheit zu ermöglichen. Und da war ich vielleicht beim Fußball irgendwann nicht mehr bereit dafür, so hart dafür zu arbeiten. Aber ich habe eben Glück, dass in meiner Erziehung ich immer dazu getrieben worden bin, die Welt zu beobachten, andere zu beobachten, und das hat es mir einfach auch ermöglicht, eine andere Leidenschaft ausleben zu können.

Hettinger: Kein Interview mit Eric Cantona, in dem man nicht auf diese legendäre Pressekonferenz zu sprechen kommt, bevor Sie Ihre Sperre angetreten haben. Da haben Sie gesagt: Die Möwen folgen dem Fischkutter, weil sie denken, die Sardinen werden wieder ins Meer zurückgeworfen. Sind aufgestanden und gegangen. Wie meinen Sie das?

Cantona: Nein, es war einfach so, ich habe das so ein bisschen gemacht, so wie man automatisch schreibt, also so was, das man im Französischen Écriture Automatique nennt. Ich wollte nicht reden. Und nun haben mir die Clubverantwortlichen gesagt, du musst aber irgendwas sagen. Und um nichts wirklich sagen zu müssen, habe ich dann diesen Satz eben gesagt. Aber ich habe dem nicht allzu große Bedeutung beigemessen und war dann sehr erstaunt, was man aus diesen Worten alles gemacht hat, und habe gelernt, dass man einen Sinn für alles finden kann, für alle Worte finden kann. Aber letztendlich habe ich doch sehr gelacht darüber.

Hettinger: Ich glaube, da haben sich Generationen von englischen Philosophiestudenten dran abgearbeitet, an diesem Satz.

Cantona: Es gibt schon einen Sinn, aber dieser Sinn lag eben nicht in den Worten. Es ist mehr eine philosophische Haltung als es ein philosophischer Satz ist.

Hettinger: Ein wunderbares Schlusswort. Eric Cantona, je vous remercie.

Cantona: Merci beaucoup!

Führer: Eric Cantona im philosophischen Gespräch mit meinem Kollegen Holger Hettinger. Am Donnerstag kommt der Film "Looking for Eric" in die Kinos.