Erhöhte Lernbereitschaft

Von Martin Reischke · 11.04.2007
In den 70er Jahren hat das Professorenpaar Gerlinde und Hans-Georg Mehlhorn in der DDR ein Reformschulkonzept entwickelt, das schon kurz vor der Wende in Kindergärten und Grundschulen erprobt wurde. 1997 eröffnete die erste Kreativitätsschule in Leipzig. Grundidee ist die Schaffung einer anregungsreichen Umgebung für die Kinder.
Im Gegensatz zu anderen privaten Bildungseinrichtungen propagiert die Kreativitätsschule kein neues Menschenbild, sondern ergänzt das staatliche Programm durch den kreativen Ansatz. Mittlerweile gibt es in ganz Ostdeutschland sieben Kindergärten, drei Vorschulen, neue Grundschulen, ein Gymnasium und bald auch die erste Kreativitätshochschule. Nun wird die Idee sogar zum Exportschlager: In Bayreuth wird schon bald die erste Kreativitätsschule in den alten Bundesländern eröffnet.

Hossam Saber läutet zum Unterricht: In der Hand hält er eine kleine Glocke, die er klingeln lässt. Die Kinder rücken auf ihren Plätzen zurecht und gucken den jungen Lehrer erwartungsvoll an. Saber begrüßt die Schüler, und die grüßen zurück – auf Arabisch, versteht sich.

Für die Klasse 4a der Kreativitätsgrundschule in Leipzig ist es die erste Arabischstunde nach den Ferien. Die Kinder erzählen von ihren Erlebnissen.

Seit der ersten Klasse lernen die Kinder an der Kreativitätsgrundschule schon Arabisch. Für sie sind die fremden Schriftzeichen längst Alltag, erzählt Arabischlehrer Hossam Saber.

"Was ich gemerkt habe, dass die Kinder hier an der Schule ohne Probleme, ohne Vorurteile, ohne Schwierigkeiten die Sprache, die Kultur, alles drum und dran um Arabisch ohne Probleme lernen."

Arabisch und Englisch ab der ersten Klasse, vom dritten Schuljahr an kommt sogar noch Französisch dazu. Die Grundschüler haben ein Fremdsprachenpensum wie Gymnasiasten. Doch auch sonst ist an der Kreativitätsgrundschule vieles anders als an staatlichen Schulen. Darstellendes Spiel, Schach, Tanz, kreatives Schreiben und der richtige Umgang mit dem PC stehen für die Kinder auf dem Programm – alles zusätzlich zum herkömmlichen Lehrplan. Trotzdem müssen sich nicht alle Schüler zu Kunstgenies entwickeln, erklärt Schulleiterin Karola Schöppe. Ihr Ziel ist ein anderes.

"Was wir möchten, ist, dass Kinder die Schule verlassen oder woanders hingehen, die dann sich nicht einfach in einen Mechanismus oder in eine bestimmte Struktur einpassen, sondern ihren eigenständigen Beitrag leisten, also sie sollen sich ständig selbst Gedanken machen, wie kann man was weiter entwickeln, verbessern, welchen Beitrag kann ich leisten, die keine Angst haben vor irgendwelchen Problemen, sondern die offen gegenüber all dem sind, was ihnen entgegen tritt."

Eigenständig denkende Menschen, die auch Problemen nicht aus dem Weg gehen - so wünscht sich Karola Schöppe ihre Schüler. Dabei waren es genau solche Menschen, die das Kreativitätskonzept erdacht und umgesetzt haben. Erfunden wurde es schließlich vom ostdeutschen Professorenehepaar Gerlinde und Hans-Georg Mehlhorn. Er ist 66, sie zwei Jahre jünger.

Seit 40 Jahren interessieren sich die zwei Bildungsforscher für die Themen Hochbegabung und Kreativität. Ihre Forschungen brachten sie auf eine einfache Idee, erzählt Hans-Georg Mehlhorn.

"Wir haben immer wieder festgestellt: ausschlaggebende Jahre, nach Forschung, nach Selbstaussagen solcher Leute – wir haben selber Interviews gemacht – liegen immer vor der Schule und in frühester Schulzeit. Und daraufhin haben wir gesagt: Was würde denn passieren, wenn alle Kinder eine solche Umwelt erhalten wie die Mehrheit der Leute, die später hochbegabt und hochkreativ waren?"

Eine anregende Umwelt für alle Kinder. Die Idee war geboren, doch die Umsetzung in der DDR nicht ganz einfach. 1988 beginnen sie, ihr Konzept an vier Leipziger Kindergärten zu testen, vier weitere dienen zur Kontrolle der Ergebnisse. Die Kinder bekommen kreative Angebote, und der Versuch läuft gut. Ein Jahr später wollen die Mehlhorns die Anzahl verdoppeln. Nur das Ministerium für Volksbildung in Ostberlin darf davon nichts erfahren.

"Und da hat der Bezirksschulrat gesagt, das wird wieder so eine typische Mehlhornsche Piratenaktion: Dieses Jahr 16, nächstes Jahr 32, dann 64, lasst euch nicht erwischen, aber ich bin nicht dagegen."

Doch auf die Dauer kommen selbst die gewieften Mehlhorns nicht am Volksbildungsministerium vorbei. Am 5. Oktober 1989 schickt Ostberlin Inspektoren nach Leipzig. Was sie sehen, sind offene und neugierige Kinder, die sich gut entwickelt hatten. Zu gut für das Ministerium.

"In dem Moment, wo das Ministerium das mitgekriegt hat und die Inspektion gemacht hat und die Kindergärtnerinnen alle geschwärmt haben, wie gut sich die Kinder entwickeln, kam als Argument: Die Kinder entwickeln sich zu positiv, die passen nicht mehr ins normale Schulsystem, wenn die mit diesem Vorsprung aus dem Kindergarten kommen, das heißt die wussten, ich brauche für die Kinder eigentlich eine ganz andere Schule, ich muss eigentlich Schule verändern. Und davor hatten sie Angst, und deshalb haben sie gesagt: ‚Die Kinder entwickeln sich zu positiv, das muss eingestellt werden.’"

Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Vier Tage nach der Inspektion gehen am 9. Oktober 1989 in Leipzig rund 70.000 Menschen auf die Straße und demonstrieren für Reformen und Demokratie. Die Regierung in Ostberlin beginnt zu wackeln.

"Und da haben wir gesagt: ‚Wer lässt sich von Berlin noch was verbieten?’"

Auch für das Kreativitätskonzept der Mehlhorns ist die politische Wende in der DDR ein echter Glücksfall. Die Arbeit geht weiter – leichter wird sie allerdings nicht. Denn nun ist es vor allem das fehlende Geld, das eine schnelle Entwicklung des Projekts verhindert. Noch acht Jahre sollte es dauern, bis 1997 schließlich die erste Kreativitätsgrundschule in Leipzig eröffnet wird. Ihr Konzept nennen die Mehlhorns kurz und bündig BIP – Begabung, Intelligenz, Persönlichkeit.

Laut ihren Forschungen sind es die ersten zehn Lebensjahre, die für die spätere Entwicklung der Kinder entscheidend sind. Deshalb gibt es auch heute noch schon im Kindergarten kreative Angebote für die Kinder, die ihre Entwicklung fördern sollen.

Freitagmorgen im Leipziger Kreativitätskindergarten. Mit 16 Kindern zwischen vier und sechs Jahren übt Erzieherin Heidrun Brauer das Schachspiel. Eben sind die Kinder noch auf einem großen, schwarz-weißen Stofftuch herum gesprungen, das mit dem Muster eines Schachbretts bedruckt ist. Nun sollen sie Puzzleteile aus einem Arbeitsblatt ausschneiden und zu Schachfiguren zusammensetzen. Die Kinder sind begeistert.

Schnell setzen sich die Kinder an die kleinen Tische, greifen sich eine Schere und fangen an zu schneiden.

Dann ist das kreative Training erst einmal vorbei. Mittagspause. Doch zu Hause üben viele Kinder weiter – und werden manchmal sogar selbst zum Lehrer, sagt Erzieherin Heidrun Brauer.

"”Die Arbeitsblätter nehmen sie mit nach Hause, weil leider ist es so, dass sehr wenig Eltern Schach spielen können und dann können sie zu Hause mit den Kindern noch mal gucken was sie heute gemacht haben und da lernen dann auch viele Eltern Schach spielen über ihre Kinder.""

Mit kleinen Belohnungen wie dem Springerdiplom oder Läuferdiplom versucht Heidrun Brauer die Kinder für das Schachspiel zu interessieren. Die Regeln verpackt sie sogar in Reime, damit die Kinder sie besser behalten. Doch auch im Kindergarten wird nicht nur Schach geübt – sondern auch getanzt, gemalt, experimentiert oder Theater gespielt. Für Kita-Leiterin Monika Bartsch eine logische Entwicklung.

"Sie fangen immer zeitiger an, Dinge zu hinterfragen, zu untersuchen – und das ist eigentlich eine recht schöne Entwicklung. Es hat schon immer Kinder gegeben, die neugierig sind, aber es werden immer mehr Kinder und die Kinder werden immer jünger, dass sie wirklich Dinge hinterfragen, und das muss man einfach unterstützen."

Alle Kinder, die bei Monika Bartsch in den Kindergarten gehen, bekommen später einen Platz in der Kreativitätsgrundschule – wenn die Eltern das wünschen. Die meisten nehmen das Angebot an. Grund dafür sind auch die bemerkenswerten Leistungen der Schüler: Mehr als 80 Prozent eines Jahrgangs bekommen am Ende der 4. Klasse die Empfehlung für das Gymnasium. Auch dort könne das Kreativitätskonzept den Schülern bei ihrer Entwicklung helfen, sagt Hans-Georg Mehlhorn.

"Nach allen Forschungen ist es so: Entscheidend sind die ersten Jahre, bloß wir merken momentan, dass im Gymnasium das in eine neue Qualität umschlägt – die explodieren, was vorher vielleicht isoliert war an Fähigkeiten, das kommt dann in einer Persönlichkeit zusammen."

Deshalb haben die Mehlhorns 2001 das Leipziger Kreativitätsgymnasium gegründet, das im selben Gebäude wie die Grundschule untergebracht ist. Auch hier lernen die Schüler, dass Unterricht mehr sein kann als nur abstraktes Denken.

"Die kreative Persönlichkeit nach unseren ganzen Forschungen ist eben so ausgeprägt, dass eben neben dem intellektuellen neben dem abstrakten Denken das ganze Konkrete funktioniert und ein Erfinder, der scheitert, wenn er seiner Erfindung keine gute Gestalt geben kann, als er braucht das Ästhetische, der scheitert, wenn er seine Erfindung nicht erst mal mit der Hand machen kann, deswegen gibt es bei uns im Gymnasium auch eine integrierte Berufsvorbereitung, die sollen auch mit der Hand lernen was zu arbeiten, der Kreative scheitert auch, wenn er nicht in der Lage ist, andere in seine Denk- und Arbeitsprozesse einzubeziehen."

Es sind die verschiedenen Dimensionen der geistigen Entwicklung, die die Mehlhorns mit ihrem Schulkonzept besser abdecken wollen als staatliche Schulen. So sollen beide Hirnhälften optimal entwickelt werden: Die linke durch abstraktes Lernen, die rechte durch anschauliches Denken.

Das zeigt sich auch im Physik-Unterricht.

Physiklehrer: "Ja, einen Flaschentaucher wollen wir basteln, ich hatte euch den schon mal gezeigt."

Die Schüler der Klasse 5e erklären, wie ein Flaschenteufel funktioniert. Dann holt Physiklehrer Horst Hunecke eine Figur hervor, die den Kindern als Experimentiervorlage dienen soll.

"So, jetzt müssen wir uns mal wieder konzentrieren, es sieht so aus, als ob der ein Tauchgerät aufhätte, stimmt’s? …und das wollen wir jetzt auch experimentell umsetzen."

Nun dürfen die Kinder selber experimentieren. Bis zur nächsten Physikstunde wird jeder einen eigenen Flaschenteufel basteln. Alles ist erlaubt – vorausgesetzt, es funktioniert. Physiklehrer Horst Hunecke freut sich auf die Ideen seiner Schüler.
"Und die sind also unwahrscheinlich technisch interessiert, natürlich auch sehr lebhaft, aber wenn man das richtig führt, dann kann man eigentlich Interesse an der Technik, an den Naturwissenschaften, an der Erkennbarkeit der Welt unwahrscheinlich entwickeln und das alles mit dem Alter entsprechend wissenschaftlichen Begründungen."

Die 5e ist eine besondere Klasse. Sie haben schon Physik, obwohl das Fach in Sachsen erst ab Klasse sechs auf dem Lehrplan steht. In der 5e sind all die Schüler, die schon weiter sind als ihre Altersgenossen – weil sie spezielle Interessen oder Begabungen haben. Die müsse man auch besonders fördern, findet Gerlinde Mehlhorn.

"Wir sagen immer: Ein Schüler darf in unserer Schule, wenn er auf einem Gebiet hoch interessiert ist, wenn er weiter ist als andere nicht durch die Organisation angehalten werden zu warten bis die anderen Schüler so weit sind wie er mit seinen Erkenntnissen schon ist, sondern man muss sich’s vielleicht wie einen Kochtopf vorstellen: Der Deckel muss oben offen gehalten werden."

Ein Topf ohne Deckel. Auch Robert Hofmann profitiert von dem Konzept. Schon früh war er mit seinen Gedichten im Deutschunterricht aufgefallen. Während seine Mitschüler büffeln, besucht der 13-jährige den Lyrik-Förderkurs. Den versäumten Stoff muss Robert selbstständig nachholen.

Lehrerin: "Ich würde sagen, wir ignorieren heute einfach mal das Postgeheimnis und wir lesen einfach mal so vor…"

Mit vier Schülern sitzt Deutschlehrerin Steffi Böhning an einem Tisch in der Bibliothek des Gymnasiums. Zu einem gemalten Gesicht und einigen Begriffen sollen die Schüler ein Gedicht improvisieren. Jetzt liest Robert vor.

"Kannst du noch mal die zweite Strophe vorlesen?"

Dann diskutieren die Schüler über das Gedicht.

"Das fand ich ein bisschen mehr episch als lyrisch … das war mehr erzählt."

Trotzdem ist Robert mit dem Ergebnis nicht unzufrieden. Schon vor fünf Jahren hat er angefangen, Gedichte zu schreiben. Dass seine Interessen hier individuell gefördert werden, findet Robert ganz normal – schließlich kennt er es gar nicht anders.

Hofmann: "Ich habe da überhaupt nicht einen Vergleich, ich habe auch schon einmal gesagt, ich müsste mal auf eine andere Schule gehen für eine Weile, um das zu erkennen, was da eigentlich alles Besonderes ist. Zum Beispiel habe ich jetzt neulich erfahren also wir haben so ein Fach DSP, Darstellendes Spiel, wo wir so Theater spielen fest im Lehrplan, das habe ich gar nicht gewusst, das andere Klassen das nicht haben, das war für mich irgendwie selbstverständlich, weil ich das eben seit der ersten Klasse habe."

Was für die Schüler längst Alltag ist, ist für manche Eltern so ungewöhnlich und interessant, dass sie sogar aus anderen Bundesländern nach Leipzig kommen. Damit ihr Sohn Julian an die Kreativitätsschule gehen kann, ist Kerstin Walter mit ihrem Mann sogar von Frankfurt/Main nach Sachsen gezogen.

"Für uns war schnell klar, dass er keine normale Grundschule besuchen wird, weil er dem Entwicklungsstand eines Erstklässlers schon weit voraus war. Wir haben uns auf die Suche gemacht, wir haben internationale Schulen angeguckt, wir haben von Hamburg bis München Schulen angeguckt und sind durch Zufall auf die Schule gestoßen und was wir hier gesehen haben hat uns sehr schnell überzeugt."

Julian ist heute Schüler der Begabtenklasse 5e. Doch von den Höchstleistungen ihres Sohnes erfährt Kerstin Walter mitunter erst aus den Medien, wenn mal wieder über die Kreativitätsschule berichtet wird. Denn zu Hause verhält sich ihr Sohn keinesfalls wie ein Wunderkind.
"Er scheint hier in der Schule zu Hochform aufzulaufen und zu Hause hat er Feierabend. Ich denke, das kann man mit einem Arbeitnehmer vergleichen – die Kinder haben hier einen Acht-Stunden-Tag, und die sind dann erledigt, wenn sie nach Hause kommen und dann schalten sie ab und dann kriegt er zu Hause keinen Vortrag mehr hin, zu Hause möchte er dann einfach spielen."

Abschalten können die Kinder zu Hause – in der Schule dagegen werden sie ständig gefordert. Eine elitäre Kaderschmiede will die Schule dennoch nicht sein – Aufnahmetests gibt es keine. Doch nicht nur der Unterricht ist hier anders. Auch Probleme, die an staatlichen Gymnasien für Diskussionsstoff sorgen, spielen hier noch keine Rolle, erzählt die Direktorin Helga Haugwitz.

"”Viele Eltern bringen ihre Schüler hierher, weil bestimmte Themen eben noch keine Rolle spielen. Es war kein Problem, eine rauchfreie Schule hier einzurichten, da gehen die Schüler auch mit, das ist okay, Drogen sowieso, das möchte bitte nie eine Rolle spielen, das gibt es überhaupt nicht und solche Dinge. Das es eine besondere Glocke ist, das kann man sicher nicht ganz entkräften, das ist sicher so, das ist ja auch gewollt.""

Schon manchmal hat dies der Schule den Vorwurf eingetragen, einen gesellschaftlichen Schonraum zu schaffen. Doch lebensfremde Menschen werden hier nicht erzogen: Wer von der Kreativitätsschule auf eine staatliche Einrichtung wechselt, hat selten Probleme, sich dort zurechtzufinden. Und für Hans-Georg Mehlhorn ist die ungebrochene Popularität der Schule der beste Beweis dafür, dass man auf dem richtigen Weg ist.

"Die Leute stimmen ja auch mit den Füßen ab, wir merken es ja immer, was wir für einen Zulauf haben, wir können ja bloß einen kleinen Teil der Kinder nehmen."

Kostenlos ist der Schulbesuch für die Kinder allerdings nicht. Die vielen Kreativitätsangebote der Ganztagsschule haben schließlich ihren Preis. 56 Euro Schulgeld zahlen die Eltern pro Monat, doch wenn man weitere Kosten für die Schulbücher, das Essen oder die musische Erziehung der Kinder hinzurechnet, kommen pro Jahr leicht mehrere tausend Euro zusammen. Trotzdem sei es der Schule bisher gelungen, niemanden auszuschließen, sagt Direktorin Helga Haugwitz – auch wenn manche Eltern eisern sparen müssen, um das Schulgeld für ihre Kinder bezahlen zu können.

"Im Moment haben wir noch alle Schichten, also nicht dass man denkt, dass wir nur noch Rechtsanwälte haben oder so, das ist nicht so. Ich weiß nicht, wie sich das entwickelt, aber hier am Gymnasium haben wir noch alles."

Dass sich so viele Eltern für die Schule interessieren, liegt nicht zuletzt an den Lehrern. Sie alle begeistern sich für die Idee des kreativen Unterrichtens – denn andere Anreize gibt es für sie nicht, erzählt Haugwitz.

"Arbeit ist mehr. An der Privatschule gibt es nicht mehr Geld als am staatlichen Schulsystem. Also die Vorteile fallen alle weg. Die hier sich von Anfang an engagieren, machen das, weil sie eben dieses System gut finden."

Doch das allein reicht nicht aus. Um an der Vorschule oder Grundschule nach dem Kreativitätskonzept arbeiten zu können, müssen alle Aspiranten eine Zusatzausbildung zum Kreativitätspädagogen machen. Die Nachfrage ist so groß, dass Hans-Georg Mehlhorn schon im kommenden Jahr eine Hochschule für Kreativitätspädagogik in Leipzig eröffnen will. Denn die herkömmliche pädagogische Ausbildung sei für ihre Schule einfach nicht genug, erklärt Gerlinde Mehlhorn.

"Die Krux in Deutschland ist bis heute, dass die Mehrheit der Lehrerabsolventen, die Mehrheit der Erzieherinnen schon sowieso, kaum etwas wissen über Kreativität, was ist Begabung, was ist Hochbegabung, wie habe ich den Entwicklungsprozess aufzubauen, wenn ich mit Kindern, Jugendlichen oder Schülern arbeite, da fängt es im Prinzip schon an, und was jetzt Kreativitätsförderung betrifft, da wird schon gar nichts mitgebracht, weil es einfach in den Ausbildungsplänen nicht mit drin ist."

Aber auch die Gymnasiallehrer ohne Zusatzausbildung zum Kreativitätspädagogen müssen sich auf die Arbeit an der Kreativitätsschule erst einmal einstellen.

Heike Pöge unterrichtet Darstellendes Spiel in der Klasse 5a. Erst sollen die Kinder an die Tafel schleichen, als müssten sie eine schwierige Aufgabe lösen. Dann erklärt sie die nächste Situation.

Pöge: "Jetzt geht ihr bitte so auf die andere Seite des Raumes, als hätte es gerade geklingelt."

Die Schüler rennen los. Dann fragt Lehrerin Pöge die Kinder nach ihrem Verhalten.

Pöge: "Was war jetzt der große Unterschied? …"

Auch die Lehrerin selbst hat an der Schule dazugelernt.

Pöge: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Schüler hier leichter zu motivieren sind, dass sie offener sind und dadurch wirkt eben eine Motivation schneller, es ist manchmal auch ein bisschen schwieriger, weil ein großer Teil auch einen hohen Anspruch hat, und vor allem so in Richtung es muss Spaß machen, es muss immer was los sein, es muss spannend sein, das ist zum Teil für den Lehrer auch ein bisschen schwierig, dem gerecht zu werden, aber dem muss man sich halt stellen."

Der Anspruch ist hoch: An die Lehrer, an die Schüler – und auch an das Ehepaar Mehlhorn selbst. Seit 1997 sind in ganz Ostdeutschland 23 Einrichtungen entstanden, die nach dem Mehlhornschen Kreativitätskonzept arbeiten. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Denn auch in den alten Bundesländern gibt es viele Interessenten. Und schließlich sollen auch die staatlichen Schulen von ihrem Konzept profitieren. So wünscht es sich Gerlinde Mehlhorn.

"Der Schwerpunkt bleibt das Konsolidieren, die zweite Aufgabe ist immer, den staatlichen Gremien zu sagen: Kommt, schickt uns jemand, sucht Wege, dass bei uns abgeguckt werden kann, weil es ja nicht so bleiben kann, das auf der einen Seite sehr gute freie Schulen da sind und auf der anderen Seite geht das öffentliche Schulwesen den Bach runter."

Von einer flächendeckenden Zusammenarbeit mit den staatlichen Schulen ist man zwar noch weit entfernt. Doch schon heute wird die Kreativitätsschule von den Behörden zumindest als positiver Impuls wahrgenommen, sagt Roland Schulz, der Sprecher des Leipziger Regionalschulamtes.

"Wir speziell in der Leipziger Region sehen die freien Schulen eher als Bereicherung der Bildungslandschaft und insofern kann ich sagen sind die Ängste vor Schulen in freier Trägerschaft eher sehr gering."

Lehrerin Heike Pöge geht es da heute ganz ähnlich. Eigentlich wollte sie nie auf einer Privatschule arbeiten. Doch nun hat sie ihr berufliches Glück gerade hier gefunden.

Auch Lehrerin Heike Pöge kennt das Problem. Eigentlich wollte sie nie an einer Privatschule arbeiten. Doch nun hat sie ihr berufliches Glück gerade hier gefunden.

"Vor 10, 15 Jahren, wenn mir jemand gesagt hätte, ich würde jemals an einer Privatschule arbeiten, dann hätte ich gesagt auf keinen Fall, ich möchte dass das für alle und diese ganzen Ideale die man so hat als Lehrer oder ich eben hatte und noch habe, das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es nur in so einer Insel geht, aber es ist leider so, das ist traurig, aber zum Zyniker lässt mich das nicht werden, weil ich kann es ja hier machen."