Erfurter Schauspielhaus

Wiederbelebung einer Kulturruine

05:24 Minuten
Das ehemalige Erfurter Schauspielhaus
Das Alte Schauspielhaus in Erfurt wurde 2013 gegen den Protest vieler Bürger geschlossen - jetzt soll dort künftig wieder Kultur stattfinden. © dpa-Zentralbild
Von Henry Bernhard · 09.12.2020
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2013 wurde das Alte Schauspielhaus in Erfurt gegen den Protest vieler Bürger geschlossen. Nun hat eine Genossenschaft das Gebäude gekauft und will es als "Kulturquartier in Bürgerbesitz" mit Konzerten, Lesungen und Festivals wiederbeleben.
17 Jahre Leerstand und Verfall sind dem neobarocken Alten Schauspielhaus in Erfurt anzusehen. Die Farbe blättert ab, die Fenster sind trübe, der Schornstein bröselt, Graffiti verunstalten die Wände. Spanplatten versperren die großzügigen Flügeltüren.
Tely Büchner öffnet eine unscheinbare Tür am Rand des Gebäudes: "Wir kommen quer durch diese herrliche Parkanlage. Wir sagen auch Parkfoyer."

Alte Kulissen und der Chic der 70er

Der Eindruck von Verfall setzt sich im Inneren fort: Alte Kulissen stehen herum, die Treppe ist in Regenbogenfarben bemalt, bizarre 70er-Jahre-Lampen verstauben.
"Und hier sind wir mittendrin in der Villa, in der Villa 'Ressource', das ist das Erste, was gebaut wurde 1897. Hier hat sich die 'bessere Gesellschaft' der bürgerlichen Gesellschaft damals getroffen und Stadtpolitik vorbesprochen."
Aber schon im nächsten Raum geht sprichwörtlich die Sonne auf. "Wie sang schon Nina Hagen? 'An der Bar, an der Bar ist es wunderbar!'", sagt Tely Büchner.
Mitten im Verfall steht eine schlichte, voll eingerichtete elegante Bar, mit Zapfhahn, Kühlschrank und Flaschen, übrig vom letzten Event im Sommer, als das Alte Schauspielhaus einen Vorgeschmack davon lieferte, was sein könnte und nach Plänen der Kulturquartier-Genossenschaft auch sein wird.

Programmkino als Marktnische

Tely Büchner, die sich federführend im Verein und in der Genossenschaft engagiert, schwebt ein Ort der Kultur vor, der täglich geöffnet ist und dessen Programm von allen Genossenschaftern mitgestaltet wird: im großen Theatersaal, auf der kleinen Bühne oder in zwei Kinosälen.
"Wir haben als ersten Partner den Kinoklub Erfurt. Und da warten einfach schon so viele Leute drauf, dass sie dann nicht mehr nach Jena und auch nicht nach Weimar fahren müssen, wenn die Filme in die Kinos kommen."
Die Bar im Alten Schauspielhaus Erfurt
Auch an der Bar im Alten Schauspielhaus ist der Verfall sichtbar© Henry Bernhard
Denn das Erfurter Programmkino hat bislang nur einen Saal mit 60 Plätzen. "Wir haben als Partner das Tanztheater Erfurt, mit Esther Ambrosino als Choreografin. Und als dritten Partner haben wir Radio Frei mit im Haus."
Radio Frei – das Bürgerradio der Stadt Erfurt.

Eigene Veranstaltungen mit Konzerten und Lesungen

Zusätzlich zum täglichen Programm der festen Partner plant die Kulturquartier-Genossenschaft auch eigene Veranstaltungen mit Konzerten, Festivals und Lesungen. Die Pläne dafür gedeihen schon seit vielen Jahren. Vergangene Woche konnte Tely Büchner im Rathaus der Stadt Erfurt endlich verkünden:
"Yippie! Wir haben das Schauspielhaus gekauft! Und zwar genau vor einer halben Stunde haben wir den Vertrag unterzeichnet! Zivilgesellschaftliches Engagement: Diesem Wort wird Leben eingehaucht mit unserem Projekt. Das sind Menschen, die sich zusammengefunden haben mit einer Vision, mit Träumen, mit Gedanken. Und diese Vision ist längst in der Realität angekommen. Spätestens ab heute ist das nicht mehr vom Tisch zu wischen, denn jetzt gehört es uns!"

Objekt im Zentrum der Stadt

Eine gute Million Euro hat die Kulturgenossenschaft für das gesamte Areal an die Stadt gezahlt. Für ein Theater, das die Stadt nicht mehr wollte, seitdem sie vor 13 Jahren einen Neubau eingeweiht hat, in dem das Geld noch für die Oper, nicht aber mehr für das Schauspiel reichte. Dennoch zeigt sich der Oberbürgermeister Andreas Bausewein sehr stolz auf den Verkauf:
"Das ist was Tolles, mal ganz im Ernst. Dieses Gebäude ist prädestiniert. Viel zentraler liegen kann man in der Stadt nicht. Und ich glaube auch, dass an der Stelle auch die Verwaltung bisher ihren Beitrag geliefert hat, denn da sind ja auch kommunalrechtliche Fragen zu klären gewesen. Wir können ja nicht einfach Gebäude an jemanden verkaufen, den wir nett finden. Da gibt es ganz klare Vorgaben."

Kultur beleben mit 1000 Euro Idealismus

Das Geld stammt von bislang knapp 800 Genossenschaftern, die in den letzten Jahren Anteile an der gemeinnützigen Kulturgenossenschaft in Höhe von einer knappen Million Euro gezeichnet haben. Die meisten sind also mit dem Mindestanteil von 1.000 € dabei. Geld, das sie vermutlich nie wiedersehen werden, das aber in ein lebendiges, selbstorganisiertes Kulturprojekt ihrer Stadt fließen wird, betont Tely Büchner:
"Und auch zukünftig wird die Genossenschaft natürlich eine sehr, sehr große Rolle spielen in der inhaltlichen Gestaltung. Das ist eigentlich das, was das Projekt von Anfang an ausgemacht hat."

Klare Baupläne

4,5 Mio. € sollen insgesamt in Sanierung, Umbau und Ertüchtigung des alten Schauspielhauses fließen, das momentan nicht mal über Strom oder Wasser verfügt. Nicht besonders viel Geld. Der Architekt Thomas Schmidt hat aber genaue Vorstellungen, was passieren soll.
"Das Schauspielhaus ist eine alte Diva, die ja schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Und wir reißen ihr ja nicht sozusagen das alte Kleid runter, sondern: Der Lippenstift wird präzise nachgezogen. Es gibt neue Schuhe, einen schicken Hut und vielleicht eine Glitzerhandtasche. Es wird ablesbar bleiben, dass schon verschiedene Nutzungen im Haus waren und zukünftig neue Nutzungen dazu kommen."
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