Erfinderland Israel

Wenn für Rindfleisch keine Kühe sterben müssen

Fleisch liegt in einer Fleischtheke in einem Supermarkt in Berlin, aufgenommen am 04.01.2016.
Das künstliche Rindfleisch der israelischen Wissenschaftler soll aussehen und schmecken wie echtes Fleisch. © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Lissy Kaufmann · 06.07.2018
Im Vergleich zu anderen Ländern ernähren sich in Israel besonders viele Menschen vegetarisch oder vegan. Für sie soll es schon bald ein neues Nahrungsmittel geben: künstliches Rindfleisch aus dem Labor.
Ein unscheinbares Labor in einem Gewerbegebiet in Ness Ziona im Zentrum Israels. Mikroskope und Computer stehen auf der Arbeitsfläche, auch eine sterile Werkbank gibt es in dem Raum. Keine 20 Quadratmeter ist der groß. Doch Didier Toubia, der Mann im weißen Kittel, mit runder Brille und Kippa, will hier eine Revolution beginnen. Sein Start-up "Aleph Farms" arbeitet daran, echtes Rindfleisch künstlich zu züchten. Er zeigt auf zwei weiße Kästen, die aussehen wie Kühlschränke, in denen es aber über 38 Grad hat:
"Das sind die Inkubatoren, in denen die Zellen heranwachsen. Jeder Inkubator entspricht einer Kuh. Anna, kannst du mal zeigen, wie es aussieht, wenn die Zellen wachsen?"
Die Zellbiologin Anna Bodanowski öffnet den Inkubator und holt eine geschlossene Petrischale mit einer pinkfarbenen Flüssigkeit heraus. Doch wo sind die Zellen? Erst unterm Mikroskop werden sie auf einem Bildschirm sichtbar:
"Das sind die Zellen. Wie man sieht, sind sie noch in einem frühen Stadium. Jeder dieser langen Stäbe ist eine Zelle. Nach drei Tagen, wenn sie gewachsen sind, werden wir sie in einem größeren Zuhause unterbringen, damit sie weiter wachsen können."
Kaum zu glauben, dass daraus einmal Rindfleisch entstehen soll – nicht irgendein wabbeliges Hack, sondern ein Steak aus Muskelfasern und Bindegewebe, Fett und Blutgefäßen, frei von Antibiotika, umwelt- und tierfreundlich:
"Wir wollen den Kühen nicht schaden. Wir isolieren nur einige ihrer Zellen und nutzen sie, um dann, theoretisch, eine riesige Menge Fleisch zu produzieren, was nachhaltiger ist. Der Wasserverbrauch ist geringer als bei einer echten Kuh, es gibt keinen Treibhausgas-Ausstoß, wir brauchen weniger Energie und weniger Land im Vergleich zur heutigen Fleischproduktion, die nicht nachhaltig ist, vor allem beim Rind."

Vorreiter in Sachen Laborfleisch

Auch Rabbiner haben sich mit dem Thema beschäftigt. Manche würden dem Fleisch bereits ihr Koscher-Siegel erteilen – ja sogar argumentieren, dass das Produkt gar keine fleischige Speise ist, sondern parwe, also neutral. Solche Speisen haben den Vorteil: Fromme Juden können sie auch zu Milchprodukten essen.
Israel ist ein Vorreiter in Sachen Laborfleisch. Wie Aleph Farms wollen derzeit zwei weitere Start-ups dieses Produkt in den kommenden Jahren auf den Markt bringen. Das könnte daran liegen, dass Israel generell eine Start-up-Nation ist: Es gibt hier so viele Jungunternehmen pro Einwohner wie nirgends sonst auf der Welt. Israelis haben keine Angst vor dem Scheitern. Gleichzeitig ist der vegane Lebensstil in Israel besonders populär. Vielen Aktivisten geht es dabei um das Wohl der Tiere.
Vor allem in Tel Aviv bieten immer mehr Cafés und Restaurants vegane Alternativen. Und manche, wie das Café Anastasia, verzichten gar völlig auf tierische Produkte. Manager Aviv Shalem:
"Wir haben ein großes Frühstücksangebot wie Schakschuka, ein Gericht das traditionell aus Gemüse und Ei gemacht wird. Wir machen es mit schwarzem Salz, das wie Ei schmeckt, sowie Polenta und Tofu. Wir haben auch Sandwiches und Salate, einen Bohneneintopf mit Gemüse, geröstete Pilze und Risotto."
Das Anastasia liegt im Zentrum der Stadt, wenige hundert Meter vom Meer entfernt. Auf der großen Holzterrasse, die an einer Straßenkreuzung liegt, sitzen Touristen aus Deutschland, zwei Mütter mit Kindern, eine Seniorin und eine Gruppe Jugendlicher – eine typische Tel Aviver Mischung. Manager Aviv Shalem, ein zierlicher junger Mann mit dunklen Haaren, erklärt, dass die meisten hier gar keine Veganer seien. Das Anastasia versucht eine andere Form der Revolution in Sachen Ernährung: Die Gründer wollen auch jenen Menschen veganes Essen schmackhaft machen, die ansonsten Fleisch essen.

Offen für neue Produkte

"Die meisten unserer Gäste sind Fleischesser. Uns ist wichtig, dass wir nicht ein Nischen-Café sind, nur für Veganer. Jeder ist willkommen, wir halten hier keine Vorträge, wir wollen niemanden konvertieren und niemandem drohen. Wir zeigen nur: Hier gibt es eine andere Option, probiert mal."
Statistiken zufolge leben fünf Prozent der Israelis vegan – darin ist das kleine Land also Spitzenreiter. Genauso wie beim Fleischverzehr: Nirgendwo auf der Welt isst man so viel Hühnerfleisch wie hier. Aviv Shalem erklärt diesen Widerspruch so:
"Israel ist eben ein ziemlich radikaler Ort, alles hier ist extrem. Wer Fleisch ist, tut das gerne und ständig, wer vegan lebt, wird zum Aktivisten. Das ist der Vibe hier, Israelis sind voller Leidenschaft."
Voller Leidenschaft widmet sich auch der 35-jährige Gal Menkes der Arbeit für die Organisation "Vegan Friendly". Sie erteilt Restaurants und Cafés, aber auch Produkten – von Schuhen über Weine bis hin zu Hotelangeboten – den grün- und pinkfarbenen "vegan friendly" Stempel. Und zwar dann, wenn die Anbieter ganz auf tierische Produkte verzichten. Oder wenn Restaurants gute Alternativen für Vegetarier haben. Mittlerweile organisiert "vegan friendly" sogar Events wie das vegane Barbeque am Unabhängigkeitstag. Außerdem entwickelt die Organisation zusammen mit Firmen ganz neue vegane Produkte.
"In einem Monat beginnen wir zum ersten Mal mit Radiowerbung, und wenn es so weiterläuft, kommt auch bald Fernsehwerbung dazu. Unglaublich, dass eine Community, die vor sechs Jahren noch so klein war, das erreicht. Das liegt nicht nur an uns, es gibt viele Organisation, die an dieser Revolution mitarbeiten."
Veganern wie Gal und Aviv käme das Fleisch aus dem Labor zwar nicht auf den Teller, denn auch das ist für sie ein tierisches Produkt. Dennoch unterstützen sie die Idee, den Fleischbedarf durch das neue Produkt aus dem Labor zu decken:
"Es ist ethischer, weil dafür nicht Milliarden Tiere getötet werden, es ist ohne Antibiotika und ohne Chemie, die in der heutigen Fleischproduktion verwendet werden. Und es ist besser für unsere Welt. Wenn es also schmeckt, keine Tiere leiden, dann bin ich absolut dafür, dann ist es ein Meilenstein. Wir müssen das vorantreiben."
Mehr zum Thema