Erdöl-Junkies im Zwang der Globalisierung

Martin Langer im Gespräch mit Gabi Wuttke · 22.08.2012
Erdöl ist "das Schmiermittel unseres Wohlstandes", sagt der Paläontologe Martin Langer und verweist darauf, dass in fast allen Gebrauchsgegenständen und Medikamenten Erdölderivate enthalten sind. Angesichts der schwindenden Ölvorkommen sei es wichtig, Technologien für das Nach-Erdöl-Zeitalter zu entwickeln.
Gabi Wuttke: Sie haben noch nie so teuer an deutschen Tankstellen einkaufen müssen wie derzeit und der Ölpreis, er steigt weiter. Aber davon mal abgesehen - die auf das populistische Schild gehobene Diskussion um das Bioethanol-Benzin E10 und den Hunger in vielen Teilen der Welt wirft die Frage auf: Was wäre die Welt eigentlich ohne Öl, zumal in 60 Jahren bei gleich bleibendem Verbrauch die Reserven aufgebraucht sein sollen? All das kann Ihnen Martin Langer sagen, er ist Paläontologe und forscht an der Universität Bonn. Einen schönen guten Morgen!

Martin Langer: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Gerade kam die Meldung, ein Konzern forscht, wie saugfähige Babywindeln ohne Erdöl hergestellt werden können. Was hat denn die Pharmazie mit Erdöl am Hut?

Langer: Die Pharmazie ist bei der Herstellung von Medikamenten sehr stark auf die Erdölindustrie angewiesen. Um das etwas zu verdeutlichen: Etwa neun von zehn Tabletten werden heute aus Erdöl-Derivaten hergestellt.

Wuttke: Warum?

Langer: Es war lange Zeit so, dass die Medikamentenherstellung vollständig ohne Erdöl-Derivate auskommt, aber in den letzten 50 Jahren haben sich die polymerisierten Erdöl-Derivate, der Einsatz von Derivaten in der Pharmaindustrie durchgesetzt.

Wuttke: Warum?

Langer: Es gibt sehr viele nützliche Hilfsstoffe, Wirkstoffe, Trägerstoffe in der Pharmaindustrie. Beispielsweise unser Schmerzmittel Ibuprofen besteht aus 100 Prozent Erdöl-Derivat. Die Wirkstoffe, die da drin sind, Xylometazolin, beziehungsweise die Trägerstoffe Isopropanol-Paraffine, die beim Einsatz von Vaseline dabei sind, machen 100 Prozent von einigen Medikamenten aus. Selbst einige unserer Antibiotika bestehen zu einem Teil aus Erdöl-Derivaten.

Wuttke: Schadet Erdöl im Körper eines Menschen nicht?

Langer: Es ist tatsächlich so, dass Erdöl auch gesund macht. Erdöl macht gesund, das weiß man ungefähr schon seit 2000 Jahren. Genauer gesagt: Das wussten auch die Ägypter schon, die Erdöl-Produkte wie Bitumen dazu eingesetzt haben, Menschen zu heilen. Man weiß nämlich, dass in Erdöl antibakterielle Stoffe sind, die beispielsweise Wunden sehr schnell schließen lassen beziehungsweise, wenn sie antibakteriell wirken, auch bei uns als Antibiotika zum Einsatz kommen könnten. Deshalb ist man beim Erdöl eigentlich zumindest zeitweise auf dem richtigen Weg.

Liminski: Wo ist denn noch Erdöl drin, worauf man überhaupt von allein nicht kommen kann, weil man es weder sieht, noch fühlt, noch schmeckt?

Langer: Es ist so, dass Erdöl tatsächlich das Schmiermittel unseres Wohlstandes ist. Und zu der Vorstellung, man könnte ohne Erdöl leben, kann ich eigentlich nur sagen: von wegen! Das ist heute eigentlich nicht mehr möglich, denn das schwarze Gold, das Erdöl ist auch in allen Formen von Kunststoffen bei uns zuhause: in Ihrem Computer, Ihrem Telefon, im Teppich, im Türlack, im Sofa, im Bücherleim. Dazu kommen Erdöl-Derivate, die heute fast in jeder Tapete zu finden sind.

Das heißt aber nicht, dass hier, wenn das Erdöl verbraucht ist, auch nichts mehr funktionieren würde. Stellen Sie sich einen normalen Tagesablauf vor: Zahnbürste, Sportkleidung, Camping-Zelt, Kunststoff-Fensterrahmen, Türlack, alles besteht aus Polyamid oder anderen Erdöl-Derivaten, die aus Erdöl hergestellt werden. In jeder Dachrinne, im Regenmantel, in der Espressomaschine, im Tankdeckel, selbst in einem Solarpanel steckt Erdöl.

Bei diesen Beispielen handelt es sich natürlich nur um Alltagsprodukte, auf die wir immer wieder angewiesen sind. Ohne Erdöl könnten wir dieses Telefon-Interview beispielsweise nicht führen, weil Ihr Telefon aus Erdöl-Derivaten besteht.

Wuttke: ... , genauso wie Ihres.

Langer: Genauso wie meines. Sie hätten aber keinen Computer, ich auch nicht, und kein Mikrofon. Selbst Ihr Kugelschreiber besteht aus Erdöl. Das bedeutet, wir müssen mit der Ressource Erdöl wesentlich sparsamer umgehen als bisher.

Wuttke: Das heißt, die Mahnung zumindest in Deutschland in den 70er-Jahren, mit der Ressource sparsam umzugehen, hat nicht gefruchtet, oder sind wir im Zwang der Globalisierung?

Langer: Wir sind im Zwang der Globalisierung und wir haben uns in den letzten 30 oder, ich will mal sagen, eigentlich 100 Jahren zu wahren Erdöl-Junkies entwickelt. Wir sind abhängig vom Stoff, in diesem Fall dem Rohstoff Erdöl, und das ist eine Entwicklung, die nicht innerhalb von einigen Jahren umgekehrt werden kann.

Wuttke: Das heißt, da lacht der Scheich?

Langer: Da lacht der Scheich, er wird sich freuen und er hat sich auch schon die letzten 80 Jahre darüber gefreut. Aber er wird sich mit Sicherheit auch noch die nächsten drei Generationen, mindestens für 60 bis 80 Jahre darüber freuen.

Wuttke: Und dann oder vielmehr bis dahin gibt es Alternativen, die auch weltumspannend sein könnten, uns aus dieser Abhängigkeit zu befreien?

Langer: Es gibt Alternativen, insbesondere Alternativen, die auch hier in Deutschland entwickelt werden, beispielsweise die Bioplastik-Industrie. Diese Industrie versucht, die Kohlenwasserstoffe für die Plastikherstellung nicht aus Erdöl zu gewinnen, sondern aus Alternativprodukten, beispielsweise aus Kartoffel- oder Maisstärke, aus Zuckerrohr oder Reis. Sie können heute wunderbare Hochzeitskleider aus Kartoffelstärke herstellen und Sie können diese nicht von synthetischer Kleidung unterscheiden.

Das Problem ist aber: Werden Kartoffeln, Mais oder Reis, Zuckerrohr in der Bioplastik-Industrie eingesetzt, fehlen uns diese für die Ernährung der Menschheit. Global bedeutet das, dass Agrarfläche verloren geht, die Weltbevölkerung aber dringend auf diese Fläche angewiesen ist.

Wuttke: Das heißt, es gibt eine Alternative, aber sie würde auch wieder Menschen schaden und von daher haben wir eigentlich ein anhaltendes Problem?

Langer: Wir haben ein anhaltendes Problem. Wichtig ist, dass wir diese Art von Technologie für das Nach-Erdöl-Zeitalter beherrschen. Wir sind da auf dem besten Weg dazu. Die Bioplastik-Industrie ist nur ein Weg dazu, aber wir werden nicht an dieser Art von Erdöl-Ersatz herumkommen.

Wuttke: Der Mensch abhängig überall in der Welt, sagt der Paläontologe Martin Langer von der Uni Bonn. Vielen Dank für diese Informationen und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Langer: Bitte schön.

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