Erbkrankheit Hämophilie A

Das Leben als Bluter

In einem Labor des medizinischen Forschungszentrums am Universitätsklinikum Jena betrachtet ein Mitarbeiter eine Blutprobe, die für einen Gerinnungstest vorbereitet wird.
In einem Labor des medizinischen Forschungszentrums am Universitätsklinikum Jena betrachtet ein Mitarbeiter eine Blutprobe, die für einen Gerinnungstest vorbereitet wird. © picture alliance / dpa / Jan-Peter Kasper
Von Lisa von Prondzinski  · 08.10.2015
Menschen, die an Hämophilie A leiden, sind bekannt als "Bluter". Das Besondere an dieser Blutgerinnungsstörung: Frauen, die das defekte Gen in sich tragen, übertragen den Genfehler mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an ihre Kinder, aber nur beim männlichen Nachwuchs bricht die Krankheit aus.
Liebevoll stupst Christoph Bros seine sechs Monate alte Tochter an. Der 34-jährige ist groß und kräftig, hat rötliches Haar und jede Menge Sommersprossen. Als er so alt war wie seine Tochter jetzt, erhielten seine Eltern die Diagnose.
Christoph: "Ich hatte mit sechs Monaten einen Leistenbruch, bin operiert worden und man hat halt die Beinarterie erwischt. Ja, und dann hat man festgestellt, dass ich Hämophilie A habe."
Hämophilie A ist der medizinische Fachbegriff für eine angeborene, seltene Blutgerinnungsstörung, neben der es auch noch den selteneren Typ B gibt. Das Besondere an dieser Erbkrankheit: Frauen, die das defekte Gen in sich tragen, übertragen den Genfehler mit einer Wahrschienlichkeit von 50 Prozent an ihre Kinder. Aber nur bei ihrem männlichen Nachwuchs bricht die Krankheit aus. In Deutschland sind schätzungsweise 6.000 Jungen und Männer betroffen.
Bros: "Für die meisten Leute, mit denen man im Privaten zu tun hat, ist man Bluter. Wenn man denen sagt, man hat schwere Hämophilie A, dann gucken die halt eben bisschen komisch. Wenn man sagt Bluter, dann kommt 'Aaah!', das ist für viele verständlicher."
Gibt es nur weiblichen Nachwuchs, kann die Krankheit über Generationen unbemerkt weitervererbt werden. Aber manchmal wird sie auch durch einen spontanen Gendefekt verursacht, sagt Johannes Oldenburg. Er ist Leiter der Hämophilie-Ambulanz in Bonn.
Oldenburg: "Das liegt daran, dass die Entstehung entweder bei der Mutter oder den Großeltern mütterlicherseits stattgefunden hat."
Der erste Erkrankte in der Familie
Auch Christoph Bros war der erste in seiner Familie, der erkrankte. Deshalb wussten seine Eltern damals genauso wenig mit der Erkrankung anzufangen, wie viele andere heute noch.
Bros: "Dieses gängige Halbwissen ist: ‚Wenn du dich schneidest, verblutest du'. Natürlich blute ich, wenn ich mich schneide, aber das macht jeder Mensch. Bei mir hört es nicht so schnell auf. Also, im Normalfall, wenn ich jetzt keine Medikamente nehmen würde, würde es nicht so schnell aufhören. Unter der Prophylaxe-Behandlung hört das dann auch irgendwann auf zu bluten."
Zur Prophylaxe gehört das Medikament Faktor VIII, das sich ein Bluter dirket in die Vene spritzen muss. Faktor VIII ist nach dem fehlenden Gerinnungsfaktor benannt. Früher wurde das Mittel nur aus menschlichen Blutkonserven gewonnen, und weil etliche davon verunreinigt waren, kam es zu Tragödien: Viele bluterkranke Jungen und Männer steckten sich mit Hepatitis oder HIV an.
Bros: "Mitte der 80er die ganze Hysterie: Erst hieß es, alle Schwulen haben Aids, dann hatten alle Bluter Aids. Das sind alles Sachen, die waren auch während meiner Schulzeit präsent. Das gipfelte darin, dass meine Mutter meinen Aids-Test ans schwarze Brett in der Schule gepinnt hat, wo dann draufstand, dass ich halt kein Aids hab. Von daher war Schulzeit für mich teilweise, ich sag mal, unschön."
Wegen schärferer Kontrollen und geänderter Herstellung gilt das Präparat heute als sicher.
Drei Mal in der Woche spritzt sich der Kölner seine Dosis.
"In so einem Paket findet man dann zwei Flaschen. Das eine ist das gefriergetrocknete Konzentrat und das andere ist in sterilem Wasser aufzulösen. Dann verbindet man das Ganze über einen Filter, dann kommen Wasser und Pulver zusammen, dann löst sich das Pulver wieder auf, ja."
Routiniert sprüht er Desinfektionsmittel auf seine linke Hand und bindet seinen Arm mit einem Staugurt ab. Zusehen ist schwer. Vor allem, wenn man Angst vor Spritzen hat.
Bros: "So. Bisschen klopfen, damit die Vene rauskommt (...) und die sieht man recht gut. Und man sieht da wurde schon häufiger reingestochen. So jetzt gucken wir mal, da ist die Vene, da ist die Nadel. So. Der Schlauch wird rot und jetzt kommt langsam die Medizin rein."
Innere Einblutungen zerstören die Gelenke
Der Gerinnungsfaktor baut sich nach und nach im Blut ab, deshalb muss so oft nachgespritzt werden. Dadurch sollen vor allem auch gefährliche innere Einblutungen im Magen, in den Nieren und in Knien und Ellbogen vermieden werden. Denn die zerstören auf Dauer die Gelenke.
Oldenburg: "Wenn diese Patienten nicht behandelt würden, hätten die 35 bis 40 Gelenkblutungen in einem Jahr und würden im frühen Erwachsenenalter im Rollstuhl sitzen."
Doch mit der heutigen vorbeugenden Behandlung können spontane Blutungen weitgehend verhindert werden. Aber eben nicht alle, und so bleiben auch Folgeschäden nicht aus.
"Ja komm lauf!"
So richtig wild mit seinem Hund toben - kann Christoph Bros deshalb auch nicht – er leidet unter Arthrose in beiden Sprunggelenken. Schaut man genau, sieht man dass er humpelt.
"Meine beiden Sprunggelenke haben sich quasi aufgelöst. Die Füße, die Gelenke versteifen sich jetzt. Und wir werden jetzt hingehen und werden wohl das erste Gelenk in diesem Herbst versteifen und das zweite dann im nächsten Jahr. Da werden dann zwei Schrauben eingesetzt und gibt dem Fuß so Stabilität. Ja, wie ein Bruch, den man zusammen nagelt wieder."
Dumme Sprüche nerven besonders
Immer schon musste der Kölner vorsichtig sein. Seine Eltern wollten nicht, dass er zu viel herumtollte. Doch der Junge hatte seinen eigenen Kopf. Als sich einmal beim Schlittenfahren einen Arm brach, verschwieg er das tagelang.
Bros: "Bis ich vor Schmerzen halt nichts mehr konnte . Warum macht man das? Ich hatte halt eben ganz einfach Angst, wenn du das deinen Eltern erzählst , dann warst du das letzte Mal Schlitten fahren."
Auch beim Sport in der Schule durfte er nur selten mitmachen und Fahrradfahren lernte er erst mit elf Jahren – und auch nur, weil er es sich selber beibrachte. Als Teenager gab es dann Phasen, in denen Bros es mit den Spritzen nicht so genau nahm. So etwas würde ihm heute nicht mehr passieren.
Bros: "Man will keine Ausfalltage weder für die Familie noch für die Arbeit. Man weiß ja was mittlerweile, was einem blüht."
Einfach ist das Leben als Bluter nicht, auch wenn Christoph Bros pragmatisch damit umgeht. Hart ist es immer dann, wenn man dumme Sprüche aushalten muss.
Bros: "Dann hatte ich irgendwann ein Vorstellungsgespräch, wo mir die Personalchefin gesagt hat: 'Sie sehen ja gar nicht aus wie ein Hämophilie-Patient?'"
Ärgerlich, ist das. Unnötig. Trotzdem bleibt Christoph Bros mittlerweile gelassen. So ist das eben, sagt er.
Bros: "Das passt schon."
Mehr zum Thema