"Er war eine ganz erstaunliche Person"

Moderation: Ulrike Timm · 28.07.2006
Der Schriftsteller Peter Härtling hat den Komponisten Robert Schumann anlässlich seines 150. Todestages, der am morgigen Sonnabend begangen wird, gewürdigt. Schumann sei ein Genie gewesen, ein Musiker, ein Komponist, ein Pianist und ein großer Schriftsteller, sagte Härtling.
Ulrike Timm: Morgen vor 150 Jahren starb der Komponist Robert Schumann, für viele Inbegriff des romantischen Genies und Menschen schlechthin. Zu seiner Zeit war Schumann gar nicht so bekannt. Er war eher "der Mann an ihrer Seite", nämlich der Ehemann der berühmten Pianistin Klara Schumann. Und noch mit Mitte 30 wurde Robert Schumann durchaus mal gefragt, ob er denn auch musikalisch sei. Nicht nur das nagte am Selbst. Schumann starb nach langem Siechtum, geistig umnachtet, an einer syphilitischen Erkrankung. Der Schriftsteller und große Musikliebhaber Peter Härtling hat sich in seinen Büchern oft mit den Künstlern der Romantik beschäftigt, so auch mit Schumann. Sein Roman "Schumanns Schatten" wurde gerade wieder aufgelegt. Guten Tag, Peter Härtling.

Peter Härtling: Guten Tag, Frau Timm.

Timm: Herr Härtling, Sie haben nicht nur einen Schumann-Roman geschrieben, Sie arbeiten auch oft mit Musikern zusammen und gestalten musikalisch-literarische Abende. Was fasziniert Sie selbst so sehr an Robert Schumann?

Härtling: Was mich an Schumann fasziniert? Das ist ganz einfach zu sagen: Schumann war eine vielfältige Person. Er war ein Genie, das sich mehrfach ausdrückte. Er war Musiker, er war Komponist, war Pianist. Er war ein großer Schriftsteller, Musikschriftsteller. Er war eine ganz erstaunliche Person.

Timm: Schumann war ja eine echte Doppelbegabung als Komponist und Schriftsteller. Er hat mal gesagt: "Töne sind höhere Worte." Sie müssen auch als Schriftsteller ja immer wieder neu den Ton finden.

Härtling: Ja.

Timm: Ist das ein zusätzlicher Reiz?

Härtling: Das ist schon ein Reiz, aber es ist auch eine Plage. Ich brauche oft sehr lange, bis ich mich auf den Ton eingepegelt habe, den ich mir wünschte.

Timm: Kommen wir zurück zu Schumann. Der starb sozusagen ertrunken im Wahnsinn - ein Selbstmordversuch im Rhein und zwei Jahre Siechtum in einer Nervenklinik in Endenich gingen dem voraus. Stoff für viele Filme und viele Mythen. Jetzt sind seine Krankenakten veröffentlicht worden, die sein Arzt damals geführt hat. Sie, Peter Härtling, kennen sie schon lange, denn diese Krankenakten standen Ihnen zur Verfügung, um zu recherchieren. Was war das für eine Erfahrung, in so ein krankes, geniales Gemüt zu schauen?

Härtling: Es war eine ganz grässliche Erfahrung. Ich erinnere mich, als mir Aribert Reimann, der bedeutende Komponist, erlaubte - in dessen Familie im Übrigen diese Akte tradiert wurde, seine Familie ist mit Richartz verwandt, mit dem Arzt -, als er mir das erlaubte, das zu lesen, da saß ich und mir sind die Tränen über die Backen gelaufen, so angestrengt hat mich diese Lektüre. Da haben zwei Ärzte sehr präzis aufgeschrieben, was sie mit dem Patienten erlebten und was sie mit ihm anstellten. Zum Beispiel Einläufe, beinahe jeden Tag. Oder eine künstliche Fontanelle, die gesetzt wurde und eiterte, aus der der "böse Geist" pfeifen sollte. Das waren eben noch Methoden, die die Ärzte ausprobierten, um solche Krankheiten in den Griff zu kriegen.

Timm: Und seine viel gescholtene Frau durfte ihn aus medizinischen Gründen nicht besuchen. Das war damals üblich, nicht?

Härtling: Ja. Was man ihr vorgeworfen hatte, später, dass sie sich gar nicht um ihn gekümmert habe, das durfte sie nicht. Doktor Richartz hat sie dringlich aufgefordert, nicht nach Endenich zu kommen in die Psychiatrie. Sie ist da auch nicht hingegangen, sondern erst, als sie gerufen wurde, kurz vor seinem Tod.

Timm: Lassen Sie uns zurückkommen zum Komponisten Robert Schumann. Ein Mann, der sich in seiner Krankheit geradezu verpuppte, der der Welt längst abhanden gekommen war in den letzten beiden Jahren. Aber hin und wieder eben doch komponierte. Wie war das überhaupt möglich?

Härtling: Es ist - ich habe oft an den späten Hölderlin gedacht, an die "Turmgedichte". In diesen Köpfen, in diesen wunderbaren Köpfen und kranken Köpfen, hat sich etwas festgesetzt, ein formales Gedächtnis festgesetzt, das Musik fassen kann. Deswegen hat Schumann auch in Endenich angefangen, zu fugieren. Er wollte sich wirklich zur Ordnung rufen.

Timm: Fugen zu schreiben im Stil von Bach.

Härtling: Ja. Also es ist unglaublich, ja?

Timm: Sie sagten, er habe versucht, sich zur Ordnung zu rufen. In Schumann steckte ja auch ein großer Pedant. Er protokollierte zwanghaft sein Eheleben. Pünktlich neun Monate vor der Geburt jedes Schumann Kindes findet sich eine Kerbe im Kalender - das erscheint erst mal ein bisschen lustig, ist aber eigentlich bestürzend. War das auch der Versuch eines Menschen, der um seine Labilität wusste? Der Versuch, sich Halt zu geben?

Härtling: Das war sicher der Versuch. Er hat sehr früh erkannt, als Kind schon erkannt, dass er dazu neigte, sich zu spalten, zwei zu werden. Und da begann er - unglaublich schlau -, Bücher zu lesen, in denen es immer sozusagen zwei gab, zwei aneinander gebundene Charaktere: Robinson und Freitag, Walt und Wult bei Jean Paul, Hyperion und Bellarmin bei Hölderlin. Und diese "Zwei-Einigkeit", diese "Ver-Bindung", die hat er dann auch in Eusebius und Florestan für sich geschaffen. Auf diese Weise hat er sich therapiert.

Timm: Seine beiden inneren Seiten - Florestan für seine aktive und Eusebius für sein melancholische ...

Härtling: Ja.

Timm: Und für beide hat er komponiert. Sozusagen der Komponist und sein Echo. Da hat ja auch jemand versucht, sich auf artistische Weise bis zum Schluss im Griff zu behalten?

Härtling: Ja, das ist wohl wahr. Und wenn Sie beispielsweise die "Kreisleriana" hören, die langsamen Teile in "Kreisleriana", die melancholischen Teile, und wiederum die ganz schnellen, dann hören Sie die beiden Stimmen Schumanns.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton. Morgen ist der 150. Todestag von Robert Schumann. Wir sprechen über den Komponisten mit dem Schriftsteller und Musikliebhaber Peter Härtling. Er hat neben vielen anderen Büchern auch einen Roman über Robert Schumann veröffentlicht: "Schumanns Schatten". Herr Härtling, komponieren Sie selber auch ein bisschen mit Worten?

Härtling: Das versuche ich wohl. Ich versuche, wenn ich erzähle, beispielsweise Tempowechsel. Ich versuche auch Ritardandi. All das, was es in der Musik formal gibt, versuche ich, in die Sprache zu übertragen. Das ist nicht einfach.

Timm: Schumann kam bei der Kritik über viele Jahre nicht wirklich gut weg: zu weich, zu wenig formstreng, zu labil auch die Töne. Und Nietzsches Wort vom "Trunkenbold des Gefühls", das nagte dann noch zusätzlich am Image. Derzeit aber gibt es eine Art Renaissance. Die "Frankfurter Rundschau" meinte kürzlich, Schumann habe die erotischste Musik des 19. Jahrhunderts geschrieben. Hat die Story seines Lebens sein Werk einfach zu lange überwuchert?

Härtling: Das keineswegs. Was das Werk wahrscheinlich verdrängte, wegdrängte an die Peripherie des kulturellen Gedächtnisses, das war die Auseinandersetzung mit Wagner. Er geriet da einfach in ein Kräftefeld hinein, das viel stärker war.

Timm: Da zählten die kleinen Formen da nicht so, die Schumann kultiviert hat?

Härtling: Da zählten die kleinen - nein, keineswegs! Da saßen gewaltige singende Epiker und da saß dagegen dieser kurzatmige, unendlich melodisch denkende Mann.

Timm: Trotzdem hatten auch die Nazis eine unrühmliche Schumann-Liebe. Sie haben ihn immer wieder gegen Heine, den er vertont hat, ausgespielt, und natürlich zog der freche Dichter da den Kürzeren gegen den hochromantischen Komponisten. Abgesehen davon, dass Kunst dafür nichts kann, wenn sie von den Falschen vereinnahmt wird, wie hat dieses dunkle, ein wenig duffe, biedermeierliche Bild, das man lange von Schumann hatte, der Rezeption seines Werks auch geschadet?

Härtling: Das hat der Rezeption in der Tat geschadet, auch nach dem Krieg. Er war eben der "teutsche Romantiker", den die Nazis für sich entdeckt hatten. Dieser Schattenwurf der Braunen hat Schumann sehr geschadet. Ich muss dazu etwas sagen: 1950 eine Rehabilitierung erlebt, die für mich ganz wunderbar war. Ich hatte auch im Kopf, als junger Mann: der Schumann und die Nazis. Und dann hörte ich in Stuttgart Klara Haskil das erste Klavierkonzert spielen. Eine kleine, wunderbare Frau. Eine kleine Jüdin spielte dieses Konzert so, ja ...

Timm:... die erotischste Musik des 19. Jahrhunderts ...

Härtling: Ja. Ja.

Timm: Was würden Sie denn jemandem empfehlen, zu hören, der noch nicht so vertraut ist mit Schumanns Klang? Womit würden Sie anfangen?

Härtling: Ich würde anfangen mit den Liedern. Er war einer der ganz großen Heine-Vertoner - obwohl Heine nie darauf reagiert hat. Er hat die Heine'sche Ironie begriffen, in den Vor- und Nachspielen auf dem Klavier. Das ist einfach grandios. Und da hat man Spaß daran, wenn man das hört. Und wenn man nur für Klaviermusik etwas übrig hat, dann sollte man die "Kinderszenen" schon anhören.

Timm: Darf ich noch ergänzen um die "Klaviertrios", die wir gleich vorspielen werden, zum Kennenlernen?

Härtling: Also "Klaviertrios" sind grandios. Ich habe sie zusammen mit dem Trio Jean Paul oft in Lesekonzerten gehört und es war jedes Mal eine Lehre und ein Vergnügen.