Epithesen

Künstliche Sinnesorgane für mehr Lebensqualität

Uniklinikum in Leipzig
Eine Augen-Epithese wird am Uniklinikum in Leipzig angefertigt. © picture allliance/dpa/Foto: Jan Woitas
Von Georg Gruber · 21.07.2016
Es gibt Tumor-Erkrankungen, die schnell wachsen und deshalb schnell entfernt werden müssen – auch im Gesicht. Betroffenen, die nach diesen Operationen kein Auge oder keine Nase mehr haben, kann mit sogenannten Epithesen geholfen werden.
Iris Schürer legt eine dünne Wachsplatte auf das Gipsmodell einer Nase.
"Mit diesem Bunsenbrenner erwärme ich die Wachsplatte, bring die also in die Größe, was ich zu ersetzen haben, mach ich das so geschmeidig, dass ich das hier einfach auf die Gipsform andrücke und damit lässt sich schon mal die Grundform für das, was fehlt, für das fehlende Gesichtsteil habe ich dann schon mal die Basis aus dieser Wachsplatte geformt."
Die Werkstatt ist in ihrem Wohnhaus, zwei Fenster in den Garten, viel Licht auch durch die Lampen von oben, von der Holzdecke, der Arbeitstisch aus Buche, schön geschwungen:
"Der ist sehr individuell gestaltet, weil ich kann um diesen Tisch herum von überall arbeiten und kann teilweise so nah am Patienten sein, dass ich keine Teleskoparme brauch, sondern dass ich einfach nur über den Tisch fasse und dann bin ich schon am Gesicht des Patienten."

Am Anfang steht ein Gespräch mit dem Patienten

Das Wachsmodell wird in mehreren Sitzungen genau angepasst und in Form gebracht. Das Handwerk ist das eine, aber am Anfang steht bei Iris Schürer immer ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten, wenn möglich schon vor der Operation, um den Ablauf zu erklären – und damit sie sich einen Eindruck machen kann vom Aussehen des Gesichts vor der OP. In der Regel arbeitet sie für Tumor-Patienten oder Menschen, bei denen von Geburt an die Ohren nicht vollständig ausgebildet waren:
"Mein Epithesen-Repertoire ist: Nasen, Augen, Ohren, bei Augen und Nasen gibt es manchmal auch Kombinationsfälle, also wo auch ein Teil der Wange noch fehlt oder ein Teil der Nase. Ich mache auch Fingerepithesen, ich habe auch schon ein, zwei Zehenepithesen gemacht, sind Ausnahmefälle."
Die fertigen Epithesen sind aus Acryl oder Silikon, einem weich bleibenden Kunststoff und werden entweder geklebt oder mit Magneten befestigt. Dafür müssen an der betreffenden Stelle des Kopfes operativ Implantate aus Titan eingesetzt werden. Die Epithesen kosten je nach Größe und Befestigungsart zwischen 2000 und 5000 Euro, die von der Krankenkasse übernommen werden.
"Dann gehen wir jetzt mal in den Gipsraum, also hier sehen Sie, das ist der Gipstisch und hier sind verschiedene Gipsbehälter, hier das ist ein sogenannter Rüttler, Vorsicht der ist sehr laut, der dient zum blasenfreien Einfließenlassen des Gipses letztlich."
Das Wachsmodell ist Vorlage für eine Gipsform, in diese Gipsform wird dann das Silikon eingebracht und im Ofen gehärtet. Das Wachsmodell muss deshalb schon vorher alle Details beinhalten, bis hin zu Hautporen:
"Das Wachs ist hier an der Stelle ganz weich, jetzt lege ich diese Kunststofffolie drauf, nehme eine Zahnbürste mit relativ starren Bürsten und drück auf diese Folie die Bürsten dieser Bürste auf. Und wenn ich jetzt die Folie abziehe, was ich hab, ist genau an den Stellen, wo das Wachs sehr weich war, hab ich wie eine Haut die Porenstruktur. So entstehen die Hautporen."
Für Augenbrauen und Wimpern verwendet sie echte Haare.

Warten, bis die Wunden verheilen

Sabine Walker musste im vergangenen Jahr ein schnellwachsender Tumor entfernt werden – und deswegen auch die komplette Nase. In einer zweiten Operation wurde ihr Titan implantiert, mehrere Monate war sie zu Hause, musste warten, bis die Wunden abgeheilt waren.
"Ich habe mich sehr unwohl gefühlt, ich konnte praktisch nicht spontan die Tür aufmachen oder ich musste auch aufpassen, dass ich irgendwas in der Nähe habe, was ich mir immer vor die Nase halten kann, wenn Post oder Paket kam, ich hatte immer Angst, dass der Paketmensch klingelt und ich dann die Tür aufmachen muss, und das war ein bisschen schwierig."

Wenn sie heute die Tür öffnet, ist die Epithese, die Iris Schürer ihr gefertigt hat, nicht zu erkennen, so harmonisch fügt sie sich in das Gesicht, auch die Übergänge zu den Wangen fallen nicht auf. Inzwischen arbeitet Sabine Walker auch, Teilzeit, wie vor der Operation in einer Unternehmensberatung für gemeinnützige Institutionen:
Epithesen-Herstellerin Iris Schürer
Iris Schürer in ihrer Werkstatt für Epithesen im oberbayerischen Iffeldorf.© Deutschlandradio / Georg Gruber
"Ich war auch bei einem Kunden schon, der mich noch nicht kannte, das war aber kein Problem und ich hab Mandanten getroffen, die ich schon länger kannte, die haben gesagt, das ist super, man merkt das fast gar nicht. Aber das war schon spannend, wie die Leute darauf reagieren. Weil man denkt ja immer, jeder siehts, auch wenn alle sagen, man sieht das gar nicht, man kanns gar nicht glauben."
Wenn sie alleine zu Hause ist, nimmt sie die Epithese ab:
"Das ist wahrscheinlich wie so eine Brille, die man aufhat, es stört nicht so wahnsinnig, aber man merkts, und wenn mans runter tut, fühlt man sich freier."
Da das Silikon im Laufe der Zeit ausbleicht, wird Sabine Walker bald wieder in die Werkstatt nach Iffeldorf fahren, für eine neue Nase. Iris Schürer begleitet so manche Patienten bereits seit 30 Jahren:
"Da gibt es ein ganz klares freundschaftliches Verhältnis, also da ist man auch per Du, weißt sehr viel voneinander, weil wir ja sehr viel Zeit miteinander verbringen und es ist natürlich auch eine sehr intime Arbeit, ich würde wirklich sagen, mit den meisten Patienten ist es eine sehr intensive Beziehung, wenn ich das auf dieser Ebene so sagen darf."
Iris Schürer liebt ihre Arbeit, das ist deutlich zu spüren, auch wenn ihr die Schicksale, denen sie begegnet immer wieder nahe gehen.
"Es gibt immer wieder Schicksale, wo ich mich dann im Wald ein bisschen ausweine, das passiert, ich bin so ein Mensch. Aber das Gute an meiner Arbeit ist: Ich bin nicht diejenige, die das Gesichtsteil wegnimmt, sondern ich bin die, die das wieder ersetzt. Und das ist dann auch der Moment, der mich auch sehr glücklich macht, die Freude zu sehen, dass ich einem Menschen eine große Freude gemacht habe."
Mehr zum Thema