Ensemble Mini aus Berlin

"Kleine Besetzung macht Musik eindrücklicher"

Symphoniker musizieren
Wie viel Musiker benötigt man für die Umsetzung einer Sonfonie von Gustav Mahler: 17 oder 70? © dpa / picture alliance / Bamberger Symphoniker / Peter Eberts
Von Claus Fischer · 05.08.2016
Große Werke in möglichst klein besetzten Arrangements aufs Podium bringen - dieses Ziel hat das Berliner "Ensemble Mini". Nach Gustav Mahlers Neunten hat es nun auch seine Zehnte Sinfonie aufgenommen.
"Die Philosophie ist ganz einfach: die kleine Besetzung macht die Musik eindrücklicher, gibt ihr mehr Tiefe. Durch diese Intimität erlebt man sie auf neue Art und Weise, man gewinnt eine neue Perspektive auf scheinbar bekannte Werke durch diese Arrangements."
Joolz Gale ist ein Dirigent des neuen Typs. Kein Diktator am Pult, sondern ein Teamarbeiter. Sein Handwerk gelernt hat der Brite u.a. beim älteren Kollegen Sir John Eliot Gardiner. Dessen Hauptanliegen ist es, im Orchesterklang größtmögliche Transparenz zu erreichen.
Aus dieser Prägung heraus kam Joolz Gale auf den Gedanken, große Orchesterwerke in Bearbeitungen mit einem Kammerensemble aufzuführen. So gründete er das Ensemble mini - und knüpfte damit an eine Tradition an.
Bereits 1918 hatte nämlich Arnold Schönberg in Wien den "Verein für musikalische Privataufführungen" ins Leben gerufen. Da kein Orchester zur Verfügung stand, wurden kurzerhand von damals neuen Werken Bearbeitungen für Kammermusikensemble erstellt, u.a. v Anton Bruckners Fünfter oder Gustav Mahlers Siebter Sinfonie.

"Ein bisschen privater"

"Dieser Verein war wirklich interessant! Die Aufführungen fanden ja ausschließlich im privaten Rahmen statt, vor einem Publikum, das sich allein und ausschließlich für diese damals neue Musik interessiert hat. Der Unterschied zu heute ist, dass wir versuchen, diese Idee ins 21. Jahrhundert zu bringen."
So tritt das Ensemble mini nicht in etablierten Berliner Konzertsälen wie der Philharmonie oder dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt auf, sondern in angesagten Clubs.
"Das macht das Ganze auch ein bisschen privater ..."
... meint Hornistin Juliane Grepling.
"Und wir haben besseren Kontakt zum Publikum und können einfach viel besser auf deren Reaktionen selbst reagieren. Es ist einfach wahnsinnig spannend."

"Eine Bar, in der ein DJ Klassik auflegt"

"Wir schaffen eine besondere Atmosphäre, mit Kerzen, mit einer Lounge, in der einzelne Orchestermitglieder Kammermusik machen. Wir haben eine Bar, in der ein DJ Klassik auflegt. So kommen wir mit unserem Publikum auf Tuchfühlung.
"Ich glaub, das ist ganz wichtig, dass wir an einem Ort spielen, wo auch ganz unterschiedliche Menschen wohnen, die eben nicht nur in die Philharmonie oder ins Konzerthaus gehen…"
… meint auch Franka Herwig, die immer dann beim Ensemble mini mitspielt, wenn ein Akkordeon gebraucht wird. Wie findet Dirigent Joolz Gale eigentlich geeignete Mitstreiter?
"Da bin ich zuallererst auf Mundpropaganda angewiesen. Musiker, die schon dabei sind, empfehlen andere. Aber ich muss auch selbst "Trüffelschwein" sein, ich muß mich auf meinen Instinkt verlassen. Wenn ich mit Musikern rede, die sich für ein Projekt interessieren, dann höre ich ihnen genau zu, beobachte, wie flexibel sie reagieren und ob sich eine Leidenschaft für die Sache erkennen läßt. Wenn ich spüre, dass jemand wirklich Spaß daran hat, dann ist es wahrscheinlicher, dass ich ihn frage."
Die Kommunikation ist das A und O bei der Aufführung großer Orchesterwerke in der Bearbeitung für Kammerensemble. In Gustav Mahlers Zehnter Sinfonie z.B. sind in der Partitur vier Hörner vorgesehen, in der Minimalfassung nur eins. Demzufolge hat Juliane Grepling viermal so viel zu tun wie im großen Orchester – das bedeutet Stress.
"Also es ist ein Mix aus allen vier Einzelstimmen. Nur in dieser Sinfonie ist es tatsächlich so, dass jede Stimme in dem Hornpart sehr solistisch ist, also vom ersten über das zweite bis zum vierten Horn – und die Stimmen sind jetzt einfach zusammengeschrieben."

"Für mich ne totale Bereicherung!"

"Es ist für mich ne totale Bereicherung! Denn ich lerne die Stücke von einer ganz anderen Seite kennen. Wir machen jetzt Mahler Zehn, wir haben in den letzten Projekten viel Strauss gemacht, Till Eulenspiegel, Don Juan, Rosenkavalier-Suite."
"Und diese Sachen kommen natürlich auch im großen Orchester immer wieder. Und durch das 'mini' hat man hier die Stücke viel intensiver kennengelernt, als das im großen Orchester möglich ist."
Seit gut einem Jahr hat Juliane Grepling eine Stelle als Hornistin im renommierten Leipziger Gewandhausorchester. Dennoch möchte sie im Ensemble mini bleiben.
"Für mich ist es natürlich schwierig, das zeitlich zu koordinieren. Weil man da natürlich nette Kollegen haben muss, die dann auch mal vier, fünf Tage bereit sind, mich nach Berlin schicken zu können ..."

"Nicht mehr ganz glaubhaft"

Das Ensemble muss sich also bei jedem Projekt neu erfinden, sagt Akkordeonistin Franka Herwig.
"Die Fluktuation ist so zu erklären, dass viele Musiker von uns in großen, sehr guten Orchestern fest spielen und deswegen nicht immer frei sind für die Projekte."
Dennoch, betont Dirigent Joolz Gale, gibt es inzwischen – nach zahlreichen Auftritten und einer erfolgreichen Debüt-CD mit Mahlers Neunter Sinfonie – eine gewisse Beständigkeit in der Arbeit.
"Das Ensemble-Gefühl kann nur entstehen, wenn man sich kennenlernt. So ist in den letzten Jahren eine Stammbesetzung entstanden. Einige Mitglieder, wie z.B. Juliane und Franka sind immer dabei gewesen, als tragende Säulen. Das ist sehr wichtig für die klangliche Balance im Ensemble. Ich weiß, wie sie auf mich reagieren und wie sie miteinander kommunizieren, diese ganzen Dinge."
Nach der Neunten hat das Ensemble mini nun auch Gustav Mahlers Zehnte Sinfonie aufgenommen, die CD wird im Herbst erscheinen. Ob man sich als nächstes an die Achte wagen wird? Die, bei der zum großen Orchester noch jede Menge Sängerinnen und Sänger dazukommen und die deshalb den Beinamen "Sinfonie der Tausend" hat? Vokalquartett statt Massenchor? Hornistin Juliane Grepling schüttelt den Kopf.
"Solche mächtigen Werke, da wird es für ein Arrangement schwierig und nicht mehr ganz glaubhaft!"