Englische Jugenderinnerungen

15.04.2010
In "Löwen und Schatten" schreibt der Autor Christopher Isherwood über seine Jugenderinnerungen in England - und wie er sich selbst als Schriftsteller und die Liebe zu Männern entdeckt.
Berühmt wurde Christopher Isherwood durch den Film "Cabaret" (1972), der im Wesentlichen auf seinen autobiografisch inspirierten Romanen "Leb wohl, Berlin"(1939) und "Mr. Norris steigt um"(1934) beruht. Jetzt sind zum ersten Mal die Jugenderinnerungen des Autors auf Deutsch erschienen.

Darin schildert er die knappe Dekade, bevor er England 1929 in Richtung Berlin verließ: das letzte Jahr in der Public School, wo Mr. Holmes, das Idealbild eines Lehrers, ihm als wichtigste Lektion fürs Leben beibringt, zu bluffen sowie einen entlegenen literarischen Geschmack auszubilden; damit gewinnt er bravourös ein Ausnahmestipendium in Cambridge, studiert dort sehr gelangweilt ein paar Jahre, fällt absichtlich durch Prüfungen, schlägt sich eine Zeit lang als Sekretär und Hauslehrer durch und versucht sich mit nicht erlahmendem Ehrgeiz, gleichwohl erfolglos, als Schriftsteller.

Dazwischen färben nächtliche Autotouren, heimliche Kinobesuche, Landpartien, Trinkgelage und Mutproben beim Motorradfahren das Geschehen ein. Keine Sensationen, nichts, was diese Geschichte eines jungen Mannes aus gutem Hause von vielen anderen unterschiede, die von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens erzählen.

Wäre da nicht die eine große Leidenschaft: zu lernen, wie man schreibt, immer wieder zu scheitern, um es mit anderen Mitteln neu zu versuchen. Wie Isherwood uns an diesem Prozess teilhaben lässt, ist der Clou des Buches. Denn um seine Adoleszenz-Geschichte möglichst antiromantisch anzulegen, bedient er sich genau der in jungen Jahren über viele Umwege erworbenen und später verfeinerten Technik der Übertreibung einerseits und der bloßen Andeutung andererseits. Durch dieses Wechselbad der Gefühle würde, so sein Credo, die eindringlichste Wirkung erzielt.

Ziemlich komisch gerät auf diese Weise die Schilderung der besseren Gesellschaft, der der Ich-Erzähler mit dem verächtlichen Hochmut des begabten Außenseiters gegenübersteht, Cambridges "Schickokratie", die Adelstitel, Sportsiege, Geld, gutes Aussehen und akademische Erfolge über alles stellt. Dabei macht er auch nicht vor sich und seinesgleichen halt.

Mit distanziertem Blick zeichnet er groteske Porträts von der Clique der Rebellen, zu denen W. H. Auden, Stephen Spender und der hierzulande unbekannte Edward Upward zählen, wenn sie T. S. Eliots "Waste Land" ebenso als Steinbruch für verstiegene lyrische Eigenproduktionen benutzen wie Dante, isländische Sagas oder C. G. Jung und die Liebe, wenn sie überhaupt vorkommt, "mit einem Paar ärztlicher Gummihandschuhe angehen". Dabei liefert er unter der Hand eine subtile Definition des Snobs. Mit Naserümpfen und Trendschnuppern beschäftigt, ist der nichts anderes als ein exklusiver Typ des Konformisten.

Weil Leben und Kunst für ihn stets eines waren, weil er, wie er einmal sagte, keinen Unterschied sah zwischen einer Autobiografie und einem Roman, ist das 1938 geschriebene Erinnerungsbuch so etwas wie der Urtext zu Isherwoods Romanen. Seltsam nur, dass diese "Erziehung des Herzens" vollständig ohne körperliche Begierden, ohne den Hauch einer Sehnsucht nach Sex oder Erotik auskommt. "Liebesszenen", sagt der Ich-Erzähler, als er wieder einmal einen seiner vielen Romanentwürfe vernichtet, sollte er "besser vermeiden, bevor er etwas über sie wusste".

Besprochen von Edelgard Abenstein

Christopher Isherwood: Löwen und Schatten
Berenberg Verlag, Berlin 2010
320 Seiten, 25 Euro