Englische Frauen im Kampf um das Wahlrecht

02.09.2009
Die englische Frauenstimmrechtsbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war eine der aufsehenerregendsten frühen feministischen Bewegungen in Europa und machte Schlagzeilen weit über die Insel hinaus.
Bis das Frauenwahlrecht 1918 endlich eingeführt wurde, lieferten sich die sogenannten "Suffragetten" – benannt nach ihrer Forderung nach "suffrage" ("Wahlrecht") – in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts regelrechte Schlachten mit der Obrigkeit, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: fürs Wahlrecht demonstrierende Frauen wurden von der Polizei regelmäßig gewaltsam gestoppt und Frauenrechtlerinnen wurden in großer Zahl verhaftet; umgekehrt verlegte sich die radikale Frauenbewegung nicht nur auf Hungerstreiks und andere demonstrative öffentliche Gesten, sondern griff zunehmend zur politischen Gewalt, von Fensterzertrümmerungen über Golfplatzzerstörungen und Briefkastensprengungen bis zu Brandbombenlegungen in öffentlichen Gebäuden.

Michaela Karl hat den "Suffragetten" nun eine umfassende neue Darstellung gewidmet. Sie beschränkt sich dabei nicht nur auf die Zeit zwischen 1903 und 1914, in der die eigentlichen "Suffragetten", vor allem die "Women’s Social and Political Union" unter Führung der charismatischen Mutter und Tochter Emmeline und Christabel Pankhurst, mit immer lauteren Aktionen auf sich aufmerksam machten und sich in einen zunehmend gewaltsamen Kampf mit der Regierung verwickelten. Die Autorin bezieht vielmehr auch die Vorgeschichte dieser spektakulären Jahre mit ein. Sie schildert die wirtschaftliche und politische Entwicklung Englands im 19. Jahrhundert und die großen Wahlrechtsreformen seit 1832, in denen das Zensuswahlrecht angepasst wurde, um immer mehr Männer (wenn auch noch nicht die Arbeiter) zur Wahl zuzulassen. Sie zeigt nicht nur, dass schon hier die Forderung nach Frauenwahlrecht immer wieder, wenn auch erfolglos gestellt wurde, sondern zeichnet auch allgemeiner ausführlich die Vorgeschichte der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, die Kämpfe um Besitzrechte für Frauen, um Reformierung des Ehe- und Scheidungsrechts oder gegen die Doppelmoral bezüglich Prostitution. Diese sehr umfassende Darstellung ist überaus hilfreich, um die Intensität des Kampfes zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verstehen und einzuordnen und bietet überdies eine ausgezeichnete Einführung in die Sozialgeschichte des viktorianischen Englands.

Michaela Karls Studie ist zudem äußerst angenehm geschrieben und liest sich leicht und spannend. Das Buch hat auch einen ungewöhnlichen, sehr gelungenen Aufbau: historischen Kapiteln zu einzelnen Phasen und Themen folgen jeweils kurze Biographien wichtiger Persönlichkeiten der englischen Frauenbewegung. Hier wird nochmals die unglaubliche Farbigkeit mancher dieser Figuren deutlich: Rebellinnen, Abenteuerinnen, Weltverbesserinnen aus besseren Kreisen, mit Lebensläufen, die von der Krankenpflege bis zum politischen Umsturz reichen und von Indien und Südafrika bis nach Äthiopien führen – und zwischendurch eben auch an die Heimatfront der Suffrage-Bewegung.

Besprochen von Catherine Newmark

Michaela Karl: Wir fordern die Hälfte der Welt! Der Kampf der Suffragetten um das Frauenstimmrecht
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2009
368 Seiten, 12,95 Euro