Energiewende in 1000 Metern Tiefe

Von Dirk Asendorpf · 18.05.2013
95 Prozent des deutschen Erdgas wird in Niedersachsen gefördert. Auch lagern lässt es sich in der norddeutschen Tiefebene gut: In gewaltigen, ausgespülten Salzstöcken, sogenannten Kavernen. Für das Gelingen der Energiewende wird diese Speichermethode immer wichtiger - für die Einwohner der Gegend immer gefährlicher.
Über 300 Millionen Euro hat der Oldenburger Energiekonzern EWE investiert, doch vom eigentlichen Ergebnis der dreijährigen Bauarbeiten ist kaum etwas zu sehen. Fast einen Kilometer unterhalb der grünen ostfriesischen Wiesen sind in einem Salzstock vier Speicher ausgespült worden, jeder so groß wie zwei hochkant gestellte Kreuzfahrtschiffe. Insgesamt 320 Millionen Kubikmeter Erdgas passen jetzt hinein – genug, um alle Haushalte einer Großstadt ein Jahr lang zu versorgen.

400 Gäste sind am vergangenen Mittwoch zur Einweihung in das Festzelt auf dem Betriebsgelände gekommen. Auf der Bühne steht ein symbolischer grüner Startknopf. Draußen führt der Elektroingenieur Jan Mechelhoff durch ein Gewirr von Stahlrohren:

"Auf der Seite kommen unsere ganzen Ferngasleitungen an. Wir haben drei Ferngasleitungen, an die wir hier angeschlossen sind. Dann sieht man dort diese drei großen Ventile, das sind Sicherheitsorgane, die unseren Speicher bei Drucküberschreitungen absperren. Hier sieht man noch drei recht große Behälter, das sind unsere Eingangsfilter. Das heißt, bevor das Gas in den Speicher kommt, wird's nochmal gefiltert. Das Gas kann eigentlich von überall herkommen: Russland, Norwegen, Holland, Nordseegas aus Deutschland …"

Bisher dienten Erdgasspeicher vor allem der Versorgungssicherheit, deutschlandweit können sie ein Viertel des Jahresverbrauchs vorrätig halten. So ist sichergestellt, dass unsere Heizungen selbst bei Lieferengpässen in einem besonders kalten Winter nicht ausgehen. Doch in Zukunft bekommen Gasspeicher auch eine wichtige Funktion für die Energiewende. Mit überschüssigem Strom aus immer zahlreicheren Offshore-Windparks soll Wasserstoff erzeugt werden, der zusammen mit dem Gas eingelagert und bei hoher Nachfrage in Kraftwerken in Strom zurückverwandelt werden kann. EWE-Projektleiter Ralf Riekenberg:

"Wir liegen hier direkt an der Küste, hier laufen die Hochspannungsleitungen vorbei, die den Windstrom zu den großen Umspannwerken bringen. Wir haben hier die Kavernen, wir haben hier die gesamte Technik, die Lage ist prädestiniert, und wir bereiten uns darauf vor."

Früher hatten Erdgasspeicher eine saisonale Funktion, mussten also sozusagen im Sommer ein- und im Winter wieder ausatmen. Als Zwischenspeicher für erneuerbare Energie werden sie künftig permanent hecheln. Die Pumpen der neuen Anlage sind dafür geeignet, erklärt Jan Mechelhoff neben der Maschinenhalle, den Wechsel zwischen Ein- und Ausspeicherung erledigen sie besonders schnell.

"Eine Fahrwegsumschaltung dauert circa 15 Minuten bis 20 Minuten."

Von den riesigen Gaskavernen ist an der Oberfläche zwar nichts zu sehen, doch ohne Umweltauswirkungen sind sie nicht. Fünf Männer und Frauen stehen im Festzelt etwas abseits um einen Stehtisch. Statt eines Firmennamens steht schlicht "Bürgerinitiative" auf den Schildchen, die sie am Revers tragen.

"Das Schlimmste: dass unser Haus versackt ist. Ich kam neulich von einer Veranstaltung wieder, da saß meine Frau kreidebleich im Wohnzimmer. Ich sag, was ist denn los? Ja, das Geschirr rappelte im Schrank, weil wieder etwas nach unten ging. Und das ist etwas, was uns zur Zeit sehr belastet."

Seit das Grundwasser für die Bauarbeiten an den Gasspeichern immer wieder abgesenkt wurde, bilden sich Risse am Hof des Landwirts Arnold Venema. Die Bürgerinitiative befürchtet, dass das nur ein kleines Vorspiel für weit größere Schäden ist, die entstehen könnten, wenn sich die riesigen unterirdischen Hohlräume wieder schließen. Der pensionierte Schiffsfunker Gerd Santjer ist Vorsitzender Bürgerinitiative.

"Kavernen, die drücken langsam zusammen und sacken langsam ab, da wird wahrscheinlich in 40, 60 Jahren die Auswirkung zu spüren sein, dass der Boden runtergeht und dann Häuser betroffen sind, die mit absacken oder hier das ganze Gelände abgesackt ist, das liegt um Null etwa, und wenn wir runtergehen, stehen wir im Wasser. Das sind Ewigkeitsschäden, wer soll das bezahlen?"

EWE-Projektleiter Ralf Riekenberg hat darauf eine klare Antwort:

"Es gibt Bodenabsenkungen und das haben wir auch von Anfang an mitgeteilt, denn wir betreiben ja auf der anderen Emsseite seit über 40 Jahren einen Erdgasspeicher, Nüttermoor. Dort haben wir Bodensenkungen und wir werden auch hier Bodensenkungen im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte bekommen. Das sind Dinge, die unser Unternehmen dann vielleicht verursacht hat, und dafür müssen wir gerade stehen."

Doch Landwirt Arnold Venema hat gemerkt, wie schwer es ist, Entschädigungsansprüche gegen den Energiekonzern durchzusetzen.

"In dieser Gegend ist es nicht möglich, einen Gutachter zu kriegen, weil die alle hier für EWE arbeiten. Sie haben den Schaden nicht anerkannt, weil so typisch Konzerngehabe: Nun kommt mal rüber und beweist erstmal. Energieversorgung ist wichtig und ich bin auch davon überzeugt, dass das nötig ist. Nur, was ich nicht will, dass ein paar darunter leiden, wenn die ganze Gesellschaft dadurch Vorteile hat. Das ist für mich nicht akzeptabel."