Energiewende

Die NRW-Genossen kommen nicht los von der Kohle

Kohlebriketts auf einer Schaufel
Vor allem die SPD in NRW ist noch immer eng verflochten mit der Kohle. © picture alliance / dpa
Von Alois Berger · 11.03.2015
Die rot-grüne Regierung in NRW hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt. Doch in der Praxis hat sich bislang nicht viel getan. Strom wird auch weiterhin vor allem aus Kohle gemacht. Besonders die SPD tut sich schwer mit dem Umstieg.
Klimapolitik mit der Kettensäge. Ein halbes Dutzend Männer und Frauen schneiden in Holzweiler, einem Dorf zwischen Köln und Aachen, alte Kirsch- und Apfelbäume zurecht. Das machen sie jedes Jahr, immer Ende Januar, Anfang Februar. Trotz des schlechten Wetters haben sie viel Spaß, vor allem beim Gruppenfoto.
Das Foto ist wichtig für die Webseite des BUND, des Bundes für Umwelt- und Naturschutz. Denn die Obstwiese von Holzweiler im Braunkohlegebiet ist seit 20 Jahren ein Widerstandsnest der nordrhein-westfälischen Umweltschützer gegen den Energiekonzern RWE:
"Wir haben das Grundstück hier gekauft, um stärker in der Region verankert zu sein, wir kämpfen seit 30 Jahren gegen den Braunkohletagebau Garzweiler 2, und nach der damaligen Rechtslage hatten wir als Verband, als BUND kein Klagerecht. Deswegen haben wir uns mit dem Grundstück hier quasi die Eigentumsrechte gesichert, um im Zweifel auch gegen RWE klagen zu können. Das ist ja jetzt offenbar nicht mehr notwendig."
Dirk Jansen und seine Obstfreunde vom BUND haben einen Teilsieg errungen. Im letzten Jahr ließ die Landesregierung in Düsseldorf wissen, dass Holzweiler nicht mehr weggebaggert werden soll, dass die 1400 Einwohner bleiben können. Man werde den Braunkohletagebau etwas weniger ausdehnen als ursprünglich geplant, heißt es aus Düsseldorf.
Fünf Kilometer weiter, gleich hinter Immerath, kratzen riesige Schaufelradbagger eine 200 Meter tiefe Wanne in die Landschaft, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche, mit Krallen so groß wie ganze Lastwagen. Mehr als 60 Quadratkilometer sind schon abgetragen- schnurgerade Abbruchkanten, soweit das Auge reicht. Immerath wird verschwinden, so wie auch Otzenrath, Keyenberg, Kuckum und Borschemich. Stefan Pütz wohnt noch in Immerath, 20 Jahre lang hat er vergeblich vor Gericht gegen die Braunkohle geklagt. Der Verlust der Heimat, das haben ihm Gutachter bestätigt, treffe viele Menschen ähnlich hart wie der Verlust eines Familienangehörigen. Seine Nachbarn sind längst weggezogen, Stefan Pütz wohnt in einem Geisterdorf mit seltsamen Sitten:

"Ich denke, es spricht schon Bände, wenn Leute zwei, drei Jahre, nachdem sie umgesiedelt sind, immer noch heimlich ihren Kaffee morgens in ihrem alten Haus trinken kommen. Wenn Seniorinnen sich zu den hohen Feiertagen der christlichen Kirche von ihren Angehörigen in ihren alten Ort fahren lassen um das Haus nochmal zu sehen und dann mit Tränen davor stehen. Es sind Situationen, die mich auch immer wieder betroffen gemacht haben."
In Borschemich haben die Bagger den Ortsrand erreicht, in ein paar Monaten wird Immerath unter die Schaufeln kommen.
Braunkohle-Tagebau in NRW: Bei dem Ort Borschemisch kratzen riesige Bagger die Erde auf.
Braunkohle-Tagebau in NRW: Bei dem Ort Borschemisch kratzen riesige Bagger die Erde auf.© Alois Berger
Nur 3,8 Prozent der verbrauchten Energie kommen aus Erneuerbaren
Auch die Autobahn, die von Düren nach Mönchengladbach führt, wird weggefräst. Nur um Holzweiler werden die Bagger einen Bogen machen. Eine Million Tonnen Braunkohle will der Energiekonzern RWE in den nächsten 30 Jahren in der Gegend fördern und in den nahegelegenen Kraftwerken verheizen. Für Dirk Jansen vom BUND ökologischer Irrsinn:
"Drei Viertel der Stromerzeugung hier basiert auf der Braun- oder der Steinkohle. Das führt natürlich dazu, dass wir nicht nur Kohle-Land sind, sondern wir sind vor allem auch CO2-Land. Ein Drittel der bundesdeutschen Treibhausgase kommen aus Nordrhein-Westfalen. Scheitert also Nordrhein-Westfalen am Klimaschutz, wird auch Deutschland scheitern."
Vor zwei Jahren hat die rot-grüne Landesregierung als erstes und bisher einziges Bundesland ein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht. Ein ehrgeiziges Gesetz, nach dem Nordrhein-Westfahlen bis 2050 den Ausstoß klimaschädlicher Gase um mindestens 80 Prozent reduzieren will. Doch in der Praxis hat sich bislang nicht viel getan. Bei der Eindämmung der CO2-Emissionen liegt NRW weit hinter dem Bundesdurchschnitt, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ist das Land gerade mal bei 3,8 Prozent des Energieverbrauchs angekommen. Im übrigen Bundesgebiet liegt der Anteil der erneuerbaren Energien fast viermal so hoch. Strom wird in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin vor allem aus Kohle gemacht, sagt der sozialdemokratische Wirtschafts- und Energieminister Garrelt Duin:
"Weil wir sie haben und andere nicht. Ungefähr ein Drittel des deutschen Stroms wird in Nordrhein-Westfalen produziert, fast die Hälfte davon aus Braunkohle. Das heißt, wir stellen mit den Braunkohlekraftwerken auch einen Teil der Versorgungssicherheit in Deutschland."
Natürlich weiß auch Minister Duin, dass Braunkohle und Klimawende nicht so recht zusammenpassen.
"Das ist einer der Widersprüche unserer Zeit, dass nicht die sauberste Technologie auch die günstigste ist und umgekehrt. Und dieser Rohstoff liegt hier, und ist nach der Atomkraft, aus der wir gottseidank aussteigen wollen, nach wie vor der günstigste."
Claudia Kemfert, Klimaexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, hält die Politik der Düsseldorfer Landesregierung für kurzsichtig. Strom aus Braunkohle sei ein Klimakiller und nicht mehr zu verantworten, sagt sie, zumal es mit effizienten Gaskraftwerken längst gute Alternativen gebe.
"Jedes Bundesland kann ohne Braunkohle. Jedes Bundesland muss ohne Braunkohle, weil die Energiewende zur Konsequenz hat, dass man aus der Kohle in den nächsten Jahrzehnten aussteigt und dafür konsequent auf erneuerbare Energien umstellt."
Für die Gesellschaft sei Ökostrom ohnehin billiger als Strom aus Kohle wegen der enormen Umwelt- und Landschaftskosten. Die Wissenschaftlerin Kemfert kritisiert, dass Nordrhein-Westfalen die Chancen der Energiewende verschlafe. Grüne Energien seien außerdem ein Wachstumsmotor, der schon heute fünfmal mehr Menschen Arbeit biete als die Braunkohle.
"Dadurch, dass man soviel Kohlestrom im Bundesland hat, scheint es so zu sein, dass man sich da auch ein bisschen drauf ausruht und diesen konsequenten Strukturwandel scheut. Und das ist unverständlich, denn die Potentiale sind riesig."
Die schwarz-gelbe Koalition konnte mit erneuerbaren Energien nichts anfangen
Die Wissenschaftlerin Claudia Kemfert hätte die Sache gerne selbst in die Hand genommen. Vor drei Jahren ließ sie sich im nordrhein-westfälischen Wahlkampf als mögliche Energieministerin einer CDU-geführten Regierung vorstellen. Sie wollte den Ausstieg aus der Braunkohle beschleunigen und dafür die erneuerbarer Energien stärker und effizienter nutzen.
Doch die Wähler entschieden anders. Vermutlich auch, weil die CDU in Nordrhein-Westfalen in Energiefragen bislang keine gute Figur gemacht hat, wie Dirk Jansen vom BUND beklagt:
"Wir hatten ja ein fünf Jahre langes schwarz-gelbes Intermezzo bis zum Jahre 2010. Da kam der Ausbau der erneuerbaren Energien praktisch zum Stillstand. Das hat dem Land nicht gut getan. Dadurch haben wir eine Vorreiterrolle der Binnenländer in Sachen Windenergie verloren und da fällt es immer noch schwer, diese Defizite aufzuholen."
Und so kommt Nordrhein-Westfalen bei der Energiewende nicht recht voran: Die schwarz-gelbe Koalition konnte mit erneuerbaren Energien nichts anfangen. Und die rot-grüne Regierung kommt von der Kohle nicht los. Und das, obwohl die nordrhein-westfälischen Grünen lieber heute als morgen aus der Kohle aussteigen würden. Bei den Koalitionsverhandlungen vor drei Jahren war die Braunkohle eines der am härtesten umkämpften Themen. Die Grünen forderten den schnellen Einstieg in den Ausstieg, vor allem aber einen generellen Stopp für weitere Kohlekraftwerke.
Doch darauf wollte sich die SPD auf keinen Fall einlassen. Die Kohle sei als Brückentechnologie notwendig, so die Sozialdemokraten in Düsseldorf. Im Koalitionsvertrag steht nun folgerichtig, dass die Braunkohle einerseits für die Energieversorgung wichtig ist und dass sie andererseits ein Problem fürs Klima sei. Bestandsaufnahme statt Programm.
Umso mehr erhoffen sich die Grünen vom ersten Klimaschutzprogramm auf Landesebene. Denn die ehrgeizigen CO-2-Ziele sind mit der Braunkohle kaum zu erreichen, auch nicht mit effizienteren Kraftwerken und besseren Filtern. Doch der SPD-Energieminiser Garrelt Duin sieht auch hier keinen Grund zur Eile:
"Wir wollen unsere Ziele 2050 erreichen, das ist von allen so verabredet. Deshalb muss man die Ziele nicht im Jahre 2018 erreicht haben, sondern man muss das schrittweise gehen. Wir wollen eben gerade solche Strukturbrüche, wie wir sie in diesem Land schon h haben, häufig genug gehabt haben, vermeiden. Und das heißt eben auch, dass man unter Umweltgesichtspunkten, aber auch unter sozialen und Arbeitsmarktgesichtspunkten schrittweise den Ausstieg aus konventioneller Erzeugung und den Weg hin zu Erneuerbaren macht."
NRW hält am großflächigen Braunkohletagebau fest
Den Streit um die Genehmigung weiterer Kohlekraftwerke haben die Energieunternehmen selbst entschärft. Wegen der großen Unsicherheit auf dem Energiemarkt und weil derzeit weder Kohle- noch Gaskraftwerke große Gewinne einfahren, planen die Konzerne vorerst keine neuen Kraftwerke. Damit hat die rot-grüne Koalition zumindest ein Konfliktthema weniger.
Es gibt aber auch Klimaprojekte, wo sich Grüne und Sozialdemokraten einig sind. Besonders stolz ist Wirtschaftsminister Duin auf die Innovationscity Bottrop:
"Bottrop ist ein Projekt, wo angefangen vom Kraftwerk bis hin zu den Wohnungsbaugesellschaften über KFZ-Anbieter alle miteinander eng vernetzt werden, so dass Strom möglichst wenig verbraucht wird, auch Wärme möglichst wenig verbraucht wird, die Erzeugung auf den Verbrauch abgestimmt wird, auch Speichertechnik zum Einsatz kommt. Und da man das nicht im Labor alles testen kann, hat man sich vor ein paar Jahren entschieden, einen realen Versuch zu machen."
NRW ist dichtbesiedeltes Industrieland. Das lässt sich nutzen: Was Fabriken etwa an überschüssiger Wärme produzieren, können die Wohnhäuser nebenan gut brauchen. Auch die Großstadt Dortmund arbeitet daran, Bürger und Unternehmen besser zu vernetzen, um Energie effizienter zu nutzen. Nach ersten Erfahrungen gehen Energiefachleute davon aus, dass Energieeinsparungen bis zu 50 Prozent möglich sind.
Neben solchen zukunftsweisenden Projekten sieht das Festhalten aller bisherigen Landesregierungen am großflächigen Braunkohletagebau noch anachronistischer aus. Zumal selbst der Energiekonzern RWE inzwischen verdeckte Signale aussendet, dass er Bedarf an Braunkohle rascher zurückgehen könnte, als noch vor wenigen Jahren angenommen. Doch der SPD-Energieminister Duin denkt schon weiter. Die Braunkohle gehört nun mal zu Nordrhein-Westfalen, findet er.
"Es wird sicher irgendwann ein Ende der Verstromung von Braunkohle geben, aber absehbar ist das zurzeit noch nicht. Die Frage, an der wir noch arbeiten ist, wie lässt sich Braunkohle vielleicht für die chemische Industrie noch anders nutzen als sie nur zu verfeuern und damit Strom zu erzeugen. Ein kurzfristiger Ausstieg aus dieser Technologie ist mit der jetzigen Landesregierung jedenfalls nicht denkbar."
Die tiefe Verbundenheit mit der Braunkohle hat sicher mit der Struktur des Landes zu tun. Kohle und Stahl galten hier lange Zeit als Inbegriff von Kraft, Energie und Arbeitsplätzen. Das steckt nicht nur in den Köpfen. Vor allem die SPD ist noch immer eng verflochten mit der Kohle. Viele der traditionell sozialdemokratischen Ruhrgebietsstädte sind am Braunkohlekonzern RWE direkt beteiligt. Wenn es RWE schlecht geht, dann geht’s auch den Kommunen nicht gut.
Dirk Jansen vom BUND reichen diese Argumente aber nicht. Politiker müssen doch vorausdenken, meint er.
"Letztendlich ist es unerklärlich. Die SPD führt sich immer noch als alte Kohlepartei auf, denkt nicht an die Zukunft. Ist wohl emotional noch voll der Kohle verhaftet. Jedenfalls ist es rational gar nicht erklärbar, warum wir nicht umsteuern. Denn das müssen wir auch, um zukunftsfähig zu sein."
Kaffeepause im Obstgarten von Holzweiler. Eine Dorfbewohnerin hat den Baumpflegern vom BUND Selbstgebackenes vorbeigebracht. Sie ist dankbar, dass sie nicht wegziehen muss, dass Holzweiler bleibt und nicht zerstört wird. Aber so richtig froh ist die alte Frau auch nicht. Denn die Abraumbagger werden bis auf 100 Meter an Holzweiler heranrücken:
"Es wird nicht einfach sein, weil wir ja Lärm, Licht, Schmutz ertragen müssen, weil der Tagebau ja auf uns zu rückt und mehr oder weniger vor der Haustür sein Geschäft macht."
Nordrhein-Westfalen ist Kohleland, Nordrhein-Westfalen bleibt Kohleland. Auf absehbare Zeit zumindest.
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