Energiewende

Ein Dorf versorgt sich selbst

07:22 Minuten
Ein Windrad mit weiß-roten Rotorenblättern ragt aus aus den grünen Feldern in den blauen, mit ein paar Wolken durchsetzten Himmel bei Nauen in Brandenburg.
Energieautark mit Windkraft. In vielen Regionen Deutschlands wäre das möglich - wenn die Genehmigungsverfahren unbürokratischer wären. © Imago / Emmanuele Contini
Von Christoph Richter · 11.07.2022
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Die Angst vor Energieknappheit geht um. Nur nicht im brandenburgischen Feldheim: Das Dorf ist eine der wenigen energieautarken Gemeinden Deutschlands und stellt Strom und Wärme aus Wind- und Biogasanlagen her – kostengünstig und klimaneutral.
„Wir haben hier eine Biogasanlage, eine Holzhackschnitzelheizung. Die sorgen dafür, dass wir es hier in Feldheim warm haben und unabhängig von den Gas- und Öllieferungen sind. Ob sie nun kommen oder nicht.“
Doreen Raschemann ist studierte Betriebswirtin, Vorsitzende des Neue Energie Forums Feldheim, ein dorfeigenes Bildungszentrum zum Thema erneuerbare Energien.

Warme Häuser über die Biogasanlage

Feldheim, ein kleiner Ort mit etwa 130 Einwohnern, liegt auf halber Strecke zwischen Berlin und Leipzig. Strom und Wärme werden hier zu 100 Prozent durch alternative Energien vor Ort produziert. Wie Gülle, Mist und Mais für die Biogasanlage. Feldheim ist energieautark, und damit eines der wenigen Dörfer in Deutschland, das sich selbst mit Strom und Wärme versorgt.
„Bei der Wärme ist es so, die Biogasanlage liefert übers Jahr die Hauptlast an Wärme. Im Winter kommt die Hackschnitzelheizung dazu. Wir haben zwei Heißwasserspeicher, die Spitzenzeiten abpuffern können", erläutert Raschemann.
"Und sollten mal alle Techniken ausfallen, gibt es dazu noch einen großen Durchlauferhitzer, eine sogenannte Power-to-heat-Anlage, die mit grünem Strom aus dem Windpark den Ort auch mit Wärme versorgen könnte, sollten die anderen Systeme mal nicht funktionieren.“

Die Feldheimer zahlen weniger für Strom

Wärme- und Stromausfall kenne man hier nicht. Faktensicher referiert Doreen Raschemann die Vorzüge der grünen Energie. Das Dorf versorge sich schon seit dem Jahr 2010 selbst, sagt sie nicht ohne Stolz. „Dank der weggefallenen EEG-Umlage ist jetzt der Strompreis bei uns sogar noch mal gesunken. Zum 1. Juli auf aktuell 12 Cent je Kilowattstunde Strom und 7,5 Cent je Kilowattstunde thermisch für die Wärme.“
Eine Straße mit Wohnhäusern, Bäumen und einen Auto. Im Hintergrund sind mehrere Windkraftanlagen zu sehen. Es handelt sich um den Ort Feldheim im brandenburgischen Fläming, der sich selbst aus erneuerbarer Energie autark versorgt.
Es kann funktionieren: Im Örtchen Feldheim im brandenburgischen Fläming setzen die Bürger auf Energie-Autarkie, unter anderem mit Hilfe von Windenergie.© Imago / Alexander Roßbach
Zum Vergleich rechnet Raschemann vor: In Hamburg zahlen Verbraucher für die Kilowattstunde Strom derzeit 37 Cent beim lokalen Anbieter, in Berlin sind es 36 Cent.
Das sei doch ein Beleg, dass die Energie- und Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien funktioniere, meint Doreen Raschemann. Und lächelt mit einer kleinen Prise Genugtuung. Denn in Feldheim zahlen die Bewohner für die Energiekosten viel weniger als im Rest der Republik. Etwa halb so viel, sagt Raschemann.

Im Fläming gibt es ordentlich Wind

Feldheim ist ein brandenburgisches Straßendorf. Es gibt Einfamilienhäuser, eine Agrargenossenschaft. Eine Kirche. Und eine Bushaltestelle. Das war es schon. Der Gasthof ist seit 1990 geschlossen.
Das Dorf liegt auf einem Höhenzug des Fläming, ein Resultat der Eiszeit. Heute ein Glücksfall, denn hier im Südwesten Brandenburgs pfeift der Wind. Ideal für die 55 Windenergieanlagen, die jährlich 112 Megawatt Strom produzieren. Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner stören sich nicht an den über 100 Meter hohen Windmühlen.
Eine von ihnen ist die 51-jährige ausgebildete Arzthelferin Peggy Kaupert, Mitarbeiterin beim dorfeigenen Bildungsnetzwerk. Sie blickt entspannt auf den nahenden Winter. Steigende Energiepreise als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine muss sie nicht fürchten.
„Dass einem erst jetzt wieder bewusst wird, wie wichtig es doch ist, die Energiewende voranzutreiben. Also man denkt schon drüber nach, was wäre, wenn es bei uns nicht so wäre. Dann wären wir ja davon auch betroffen. Ja, wir sind glücklich und sehr zufrieden, dass wir davon nicht betroffen sind.“

Das kleinste Stadtwerk Deutschlands

Viele Menschen im Dorf denken wie sie. Sie sind Teilhaberinnen und Teilhaber des kleinsten Stadtwerkes – man muss wohl besser sagen – Dorfwerks Deutschlands, die Feldheim Energie GmbH & Co. KG. Dafür zahlten die im Ort Lebenden, und nur die, als Einlage 1.500 Euro für den Strom. Und 1.500 Euro für die Wärme.
Bis auf zwei Ausnahmen machen alle Bewohnerinnen und Bewohner mit. Und stehen hinter der Idee des energieautarken Dorfs Feldheim. Heute ist Bürgermeister Michael Knape froh darüber, dass man schon sehr früh, nämlich Anfang der 1990er-Jahre, mit den ersten Überlegungen angefangen hatte.
„Man hat den Weitblick gehabt, eine Antwort zu geben auf die Energiewende. Und zwar in dem nicht immer mehr produziert wird, sondern wie man es vor Ort auch nutzen kann. Die, die Belastung von der Haustür haben, sollten auch eine Entlastung in den eigenen Haushalten haben. Das denke ich, ist hier sehr gut gelungen.“

Das Dorf wird weltweit bestaunt

Jetzt versorgt der Windpark auf dem Feld vor dem Dorf die Feldheimer mit Strom, die Wärme kommt aus der unscheinbaren Biogasanlage. Verteilt wird das alles über ein eigens gebautes Strom- und Wärmenetz. Dafür bestaunen Politiker aus ganz Deutschland, aus der ganzen Welt den kleinen brandenburgischen Ort:
„Ich war auf den Philippinen, in Manila, auf einer Asienkonferenz. Und habe Feldheim als Beispiel der Energiewende in Deutschland vorgestellt. Nicht jetzt, nicht gestern, sondern 2012 bereits. Und da hat man schon auf Deutschland bereits geschaut", berichtet Knape.
"Und ich denke, das ist etwas, was wir mitnehmen können: Man kann das schaffen, wenn man die Experimentierfreudigkeit, die Pilotfreudigkeit wiederentdeckt und auch zulässt und nicht alles immer gleich von Anfang an regeln muss. Wenn man eingesteht, dass das eine oder andere nicht so funktioniert. Dann würden wir mit der Energiewende in Deutschland schon viel weiter sein. Man muss es nur wollen."

Mehr Mut für unbürokratische Wege

Der Bürgermeister hofft, dass sich das Beispiel überträgt und allgemein Mut macht.
Was in Feldheim möglich ist, sei auch in Großstädten wie Düsseldorf, München oder Leipzig machbar, glaubt er. Deutschland könne ein einzigartiges energieautarkes Dorf werden, man müsse nur wollen, sagt Michael Knape.
Dafür bräuchte es aber vor allem schnellere und unbürokratischere Genehmigungsverfahren.
Neben Rathauschef Knape steht Michael Raschemann, studierter Bauingenieur, zudem Geschäftsführer der Energiequelle GmbH, die weltweit Solar- und Windparks baut. Und einer der maßgeblichen Ideengeber für das energieautarke Dorf.

Der Daniel Düsentrieb des Dorfes

Ein Daniel Düsentrieb, der ständig mit neuen Einfällen um die Ecke kommt. Seine neueste Vision: wasserstoffangetriebene Trecker fahren autonom über die Felder, gesteuert über Apps vom Schreibtisch des Landwirts aus. Angetrieben mit grünem Strom vom eigenen Acker.
„Ich finde es gut, wenn der ländliche Raum wieder die Geltung in der Gesellschaft kriegt, die er braucht. Eben nicht nur, um Nahrungsmittel zu produzieren, sondern auch als attraktiver Lebens- und Wohnstandort. Und eben auch, wo Innovation auch spürbar und anfassbar und erlebbar ist. Auf jeden Fall lohnt es sich nicht, um Wind oder Sonne einen Krieg zu führen.“
Energiekrise, steigende Kosten für Strom oder Gas, kaltes Duschwasser oder kalte Wohnungen im Winter – die Einwohner des Dorfes Feldheim müssen sich wohl keine Sorgen machen.
(mkn)

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