Endlager-Suche ohne Klagerechte wäre "eine wirkliche Entrechtlichung"

Wolfgang Ehmke im Gespräch mit André Hatting · 28.03.2012
Bei der Suche nach dem Endlager für radioaktiv strahlendes Material aus deutschen Atomkraftwerken müssten betroffene Anwohner ein Mitspracherecht haben, fordert der Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz in Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke. Weder ein "Parteienkonsens" noch "Partikularinteressen" dürften allein entscheidend sein.
André Hatting: Wohin mit dem ganzen Atommüll? 450 Tonnen hoch radioaktives Material entsteht allein in deutschen Atomkraftwerken jährlich. Aber es gibt keine Möglichkeit, diesen gefährlichen Abfall sicher zu verwahren. Der Salzstock in Gorleben ist zurzeit der einzige Ort der Republik, der daraufhin untersucht wird. Aber nicht mehr lange – Bundesumweltminister Röttgen hat vorgeschlagen, Gorleben nicht weiter auf seine Endlagertauglichkeit zu überprüfen, vorerst zumindest. Damit geht der CDU-Politiker auf die Opposition zu, die SPD frohlockt und die Grünen sprechen von "Bemühungen um einen echten Neuanfang".

Nur die Atomkraftgegner halten gar nichts davon. Warum, das will ich jetzt von Wolfgang Ehmke wissen, er ist Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz in Lüchow-Dannenberg. Guten Morgen, Herr Ehmke!

Wolfgang Ehmke: Guten Morgen!

Hatting: Also jetzt sagt das Umweltministerium schon: Ja gut, lassen wir das erst mal mit Gorleben, und es passt Ihnen immer noch nicht – warum?

Ehmke: Na, Sie haben ja sehr schön anmoderiert und gesagt, vorerst solle es in Gorleben einen Bau- und Erkundungs-Stopp geben. Das heißt, das Gorleben-Kapitel wird nicht beendet, das ist der Vorschlag von Herrn Röttgen, und leider – das ahnen wir – werden SPD und Grüne auf diese Linie einschwenken. Gorleben bleibt also Referenzstandort für alle, und das hinterlässt natürlich bei uns Bitterkeit, denn wir kämpfen ja seit 35 Jahren gegen diesen Standort. Nicht aus einem Regionalinteresse heraus, sondern weil wir wissen, dass dieser Standort aus politischen Gründen ausgewählt wurde. Die Geologie hat eine völlig untergeordnete Rolle gespielt schon zu der Zeit, als Gorleben gewählt wurde, 1977, wurden eigentlich andere Standorte favorisiert, und Herr Leisler Kiep hat in einer Kabinettssitzung in Niedersachsen irgendwann diesen Vorschlag aus dem Hut gezaubert, und alle haben sich drauf kapriziert. Vor allem der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht – wahrscheinlich ein kleiner Schlingel – hat gedacht, ich schlage den schlechtesten Standort vor, DDR-Nähe, Gasfeld drunter, Wasserkontakt, das war alles damals schon bekannt, und dann muss der Bundeskanzler, der damalige, Herr Schmidt, sagen: Nein, das geht nun gar nicht.

Hatting: Aber Herr Ehmke, wenn das so ist, dann fragt man sich doch, warum wird trotzdem seit 35 Jahren dort geforscht? Man könnte ja auch umgekehrt sagen, 35 Jahre lange Forschung, nirgendwo sonst in Deutschland ist das gemacht worden – warum sollte man das jetzt aufgeben?

Ehmke: Es gab eine Forschungsphase, das ist richtig, aber die endete 1981. Es gab ja Tiefbohrungen, weil man ja schon wusste von diesem Gasfeld unter dem Salzstock, und auch von dem Wasserkontakt. Also man hat Tiefbohrungen gemacht, und nach Abschluss dieses Tiefbohrprogramms hat die damals federführende Behörde, das war die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, heute ist es das Bundesamt für Strahlenschutz, von sich aus vorgeschlagen, von Gorleben abzurücken. Das ist ja der Skandal, dass damals es eine politische Intervention aus dem politischen Bonn gab, dann schon CDU- und FDP-regiert, die gesagt haben, nein, wir bleiben bei Gorleben. Und ich sage nur einen wichtigen Punkt, ein Ergebnis dieser Forschungsphase aus diesen Jahren am Anfang: Man stellte fest, dass in der Tat Strömungsverhältnisse vorhanden sind, die es möglich machen, nach 700 bis 1100 Jahren, dass radioaktives Wasser an der Oberfläche ankommt. Das scheint eine lange Zeit zu sein, aber wenn wir wissen, dass man diesen Müll für eine Million Jahre sicher lagern muss, war das ein Alarmzeichen.

Hatting: Sie kritisieren auch, dass in dem entsprechenden Gesetz, das Standortsuchgesetz, auch die Öffentlichkeit entrechtet werden soll. Was genau meinen Sie damit?

Ehmke: Ja, in Gorleben wurde bisher nur nach Bergrecht gebaut. Das heißt, man hat bewusst dieses Bergrecht genommen und nicht ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren, weil es die Öffentlichkeit ausschließt. Ich meine, natürlich, es gab ganz viele Informationsveranstaltungen, aber das ist ja einseitig, etwas zu erklären. Welche Möglichkeiten haben Betroffene, welche Möglichkeiten hat die wache Öffentlichkeit? Beim atomrechtlichen Genehmigungsverfahren gibt es einen Anhörungstermin, man kann Widersprüche formulieren und man kann klagen, und bisher konnten in Gorleben nur zwei Gruppen klagen, nämlich diejenigen, die Salzrechte haben, das ist der Graf von Bernstorff und die Kirche, die haben geklagt. Und dieser Weg soll offensichtlich jetzt fortgeschritten werden, also es gibt kein atomrechtliches Genehmigungsverfahren in Zukunft, so sehen die momentanen Planungen aus bei dem Endlagersuchgesetz, sondern es wird ein Gesetzgebungsverfahren geben. Das heißt, die Öffentlichkeit wird nur informiert, aber per Gesetz werden die nächsten Schritte beschlossen in einem vergleichenden Suchverfahren.

Hatting: Herr Ehmke, würden Sie mir zustimmen, dass es das perfekte Endlager nicht gibt?

Ehmke: Das ist richtig.

Hatting: Dann steht das Problem, dass eigentlich jede Gemeinde, wenn sie Mitspracherecht hat, sich gegen ein Endlager sperren würde, das heißt …

Ehmke: Ich verstehe den Gedanken, ja?

Hatting: … anders formuliert, dann gäbe es in Deutschland nie ein Endlager für Atommüll.

Ehmke: Nein, so nicht. Ich verstehe den Gedanken, vermieden werden soll, dass es Partikularinteressen gibt. Natürlich wird es überall Protest geben, und es gibt diese gewaltige gesellschaftliche Aufgabe, nach dem Ende des Atomzeitalters auch für die Verwahrung der Abfälle zu sorgen. Und wir stehen auch auf dem Standpunkt, dass man eine nationale Lösung braucht, also dass sich ein Export verbietet. Trotzdem, glaube ich, muss es auch Klagerechte geben, denn es geht ja auch um die Sicherheitskriterien in diesem Zusammenhang. Also die Geologie interessiert und die Sicherheitskriterien interessieren. Und wenn das alles nur im Parteienkonsens abgehandelt wird, also wenn es keine Beteiligungsrechte gibt von Betroffenen, auch Kommunen, und von Einzelpersonen, dann sehen wir darin eine wirkliche Entrechlichung.

Hatting: Das war Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz in Lüchow-Dannenberg. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ehmke!

Ehmke: Bitte schön!

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Links bei dradio.de:

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