Ende einer wilden Ehe

Von Eva Pfister · 19.10.2006
Wenn Friedrich Schiller bei seinem Freund Johann Wolfgang von Goethe in Weimar weilte, wurde er im Haus am Frauenplan bestens bewirtet. Die Hausfrau allerdings bekam er nicht zu Gesicht. Es wäre unsittlich gewesen, mit Goethes Bettschatz Christiane Vulpius an einem Tisch zu sitzen. Erst nach 18 Jahren heirateteGoethe.
Die Trauung fand im engsten Familienkreis statt: Begleitet nur vom 16-jährigen Sohn August und dessen Hauslehrer heiratete Johann Wolfgang von Goethe am 19. Oktober 1806 seinen Bettschatz. Da hatten sie schon 18 Jahre zusammen gelebt, der Geheime Rat und sein Blumenmädchen, wie Christiane Vulpius von den wohlwollenderen Mitgliedern der Weimarer Gesellschaft genannt wurde. Tatsächlich hatte sie in einer Fabrik für Kunstblumen gearbeitet, als ihr Bruder sie mit einer Bittschrift zum einflussreichen Herrn von Goethe schickte. Anscheinend blieb Christiane noch in derselben Nacht bei ihm im Gartenhaus. Das war am 12. Juli 1788, Christiane Vulpius war 23 Jahre alt, Goethe beinahe 39. Erst nach einigen Monaten kam das unerhörte Verhältnis ans Licht:

"Wer sind Sie? Sind Sie seine Putze?"

"Sie haben wohl einen Knall."

"Was machen Sie hier?"

"Ich wohne hier."

"Was? Wie lange schon?"

"Ich wohne schon eine ganze Weile hier.""

So wie im Film "Die Braut" von Egon Günther könnte die Szene sich zugetragen haben. Ein sinnliches Naturwesen ist Christiane in der Verkörperung von Veronica Ferres, unbeschwert von Konventionen wie von Bildung, und gefügig in allem, was der Herr in Sachen Lebensführung bestimmte. Fünf Kinder brachte sie zur Welt, von denen nur das erste überlebte. Demoiselle Vulpius wurde vom Weimarer Hof als Goethes Haushälterin angesehen, und dass sie für ihre unehelichen Geburten nicht bestraft wurde, verdankte sie nur der privilegierten Stellung des Kindsvaters.

""Dankbar bin ich dir für jeden Kuss, dankbar für das Kind …"

Tatsächlich drücken sich in den erhaltenen Briefen von Christiane Vulpius stets Dankbarkeit aus und Sorge um Goethes leibliches Wohlergehen, wenn er abwesend war. Oft hielt er sich in Jena bei seinem Freund Schiller auf, oder er weilte in Kur. Das Arrangement muss für Goethe in jeder Hinsicht angenehm gewesen sein. Was also bewegte ihn nach 18 Jahren zur Eheschließung?

""Dieser Tage und Nächte ist ein alter Vorsatz bey mir zur Reife gekommen; ich will meine kleine Freundinn, die so viel an mir gethan und auch diese Stunden der Prüfung mit mir durchlebte, völlig und bürgerlich anerkennen als die Meine.""

So schrieb Goethe am 17. Oktober 1806 an den Hofprediger von Weimar und bat um eine Trauung zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Schon am Sonntag, dem 19. Oktober, konnte die Hochzeit in der Sakristei der Jakobskirche stattfinden. Es soll die letzte kirchliche Handlung gewesen sein, bevor die Kirche zum Lazarett wurde. Denn seit dem 14. Oktober war Weimar eine besetzte Stadt.

"Flieh Weimar, flieh! Die Franzosen kommen!"

Napoleons Truppen hatten das preußische Heer bei Jena und Auerstedt besiegt und drangen in Weimar ein. Goethes Haus am Frauenplan wurde zum Quartier französischer Kommandanten, was es vor der Plünderung eigentlich bewahrte. Dennoch drangen nachts marodierende Soldaten in sein Schlafzimmer ein, und das hätte für Goethe tödlich ausgehen können, wenn nicht Christiane sich mutig eingeschaltet hätte.

"Verschwinde – Saloppe!"

Heiratete Goethe also aus Dankbarkeit? Die Biografin Sigrid Damm findet in ihrem Buch "Christiane und Goethe" eine andere Begründung. Goethe sah das Ende des Feudalstaates gekommen, in dem seine ganze Existenz von der Gunst des Herzogs abhing. Unter Napoleons Herrschaft würden andere Regeln gelten. Es war an der Zeit, die bürgerliche Existenz in Ordnung zu bringen, um im Zivilstaat zu bestehen. Für Goethe war dies vermutlich keine traurige Wendung der Dinge. Denn obwohl er am 19. Oktober heiratete, ließ er in die Ringe das Datum 14. Oktober 1806 eingravieren: der Tag, an dem durch die preußische Niederlage eine neue Zeit anbrach.

Schon am Montag nach der Trauung führte Goethe seine Ehefrau in die Weimarer Gesellschaft ein. Allerdings wählte er dafür den Salon einer Dame, die erst kurz in der Stadt residierte: Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen:

"Ich empfing sie, als ob ich nicht wüsste, wer sie vorher gewesen wäre. Ich denke, wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, können wir ihr wohl eine Tasse Tee geben."