Emigration

Jüdisches Leben in Shanghai

er Bund, die lange Uferpromenade in Shanghai, mit den Gebäuden von Banken, Konsulaten und Hotels, die vorwiegend zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den europäischen Kolonialmächten errichtet worden sind, aufgenommen am 17. August 1937.
Die lange Uferpromenade in Shanghai im August 1937. Zwischen 17.000 und 30.000 Juden flohen Ende der 1930er-Jahre nach Schanghai. © picture alliance / dpa / Keystone Str IBA
Von Dieter Wulf · 16.01.2015
Shanghai in China war in den 1930er-Jahren für Juden ein wichtiger Zufluchtsort. Eine einzigartige Sammlung hebräischer Drucke zeugt davon, wie sie dort unter widrigsten Bedingungen ihre Religion studierten. Die Bücher werden zurzeit in Berlin restauriert.
"Hier haben wir zum Beispiel ein Buch aus der Sammlung Sefer Bet Yaankov. Man sieht das ist ein gebundenes Buch, das ist sozusagen schon ein bisschen besser hergestellt. Hier auf dem Titelblatt sehen wir in hebräischer Schrift den Druckort Schanghai."
Erklärt mir Sophia Fock, die bei der Berliner Staatsbibliothek zuständige Referentin für Judaistik. Seit letztem Jahr, so erklärt sie, besitze die Bibliothek eine kleine, aber einzigartige Sammlung hebräischer Drucke aus Schanghai.
"Einen Teil der Sammlung haben wir von einem Antiquar erworben der sie selber von einem Shanghai-Flüchtling erworben hatte, der seine Sammlung in die USA verkauft hat und der Antiquar hat sie von dort aufgekauft und uns angeboten. Das war sozusagen der Grundstock der Sammlung."
Shanghai Ende der 1930er-Jahre eines der wenigen Exile
Diese momentan etwa 150 Bände dokumentieren eine bisher weitgehend unbeachtet gebliebene Facette jüdischer Emigration und Flucht, meint Sophia Fock.
"Ich denke, es ist vor allem im Bewusstsein der Öffentlichkeit: die deutschen und österreichischen Flüchtlinge, so prominente Beispiele wie Michael Blumenthal der ehemalige Direktor des jüdischen Museums und es gab auch relativ viele Romane und wissenschaftliche Abhandlungen über die deutschen und österreichischen Flüchtlinge. Aber dass es tatsächlich religiöses Studium in Shanghai gab, also dass es nicht aufgehört hat das Juden lernen unter den widrigsten Umständen und es tatsächlich geschafft haben Bücher zu drucken, ihr Material sich zu besorgen, das ist eigentlich das Faszinierende für mich und das was ich auch denke was noch nicht richtig wahrgenommen wird."
Schanghai, erklärt der auf China spezialisierte Bibliothekar der Staatsbibliothek Gerd Wächow, blieb Ende der 1930er-Jahre einer der ganz wenigen Zufluchtsorte für Juden aus Europa.
"Schanghai war zu der Zeit der letzte Ort, an den man gelangen konnte, ohne ein Visum und ohne ein Avi David eine Art von Beglaubigung über Vermögen im Ausland, das von Leuten, die schon da sind gegeben wird. Diese beiden Möglichkeiten gab es und waren sonst nötig und in Schanghai brauchte man das nicht. Schanghai war ein freier Hafen."
Und Juden, erklärt Gerd Wächow, hatte es hier schon jahrhundertelang gegeben.
"Es gab die sogenannten Bagdader Juden. Das waren die sephardischen Juden, die Familien Sassoon und Kadoori, die ökonomisch sehr erfolgreich waren und zu sehr reichen Clans wurden. Es gab eine weitere Phase, wo russische Juden, das waren askenasische Juden, die eher arm waren aus Russland geflohen sind nach der Oktoberrevolution. Und als große letzte Bewegung gab es die jüdischen Flüchtlinge die aus Europa kamen."
Bücher fast ausnahmslos religiösen Inhalts
Über die Zahl der Juden, die es Ende der 30er-Jahre schafften nach Schanghai zu fliehen, gibt es unterschiedliche Schätzungen. Manche sprechen von 17.000 andere von bis zu 30.000 Flüchtlingen. Die meisten davon waren sicher säkular. Eine kleinere Gruppe aber – und davon erzählen diese Bücher hebräischer Drucke – waren Juden, die ihren Glauben auch im fernen Asien aktiv praktizierten, meint Sophia Fock
"Inhaltlich ist in dieser Sammlung, die wir haben, die sich ja tatsächlich auf die geflohenen Jeschiwa Studenten konzentriert, sind die Bücher fast ausnahmslos religiösen Inhalts. Vor allem die grundlegenden religiösen Werke Talmud-Traktate, Talmud-Auslegungen, religiöse Abhandlungen. Es ist genau das, was die Studenten brauchten für ihr Studium."
Die Bücher, die von den Studenten damals benutzt wurden, erzählen von den schwierigen Bedingungen in Schanghai.
"Bei all diesen Büchern ist sehr auffällig, dass das Papier von sehr schlechter Qualität ist und einfach sehr brüchig und sehr säurehaltig ist. Also es spricht schon dafür, dass es schwer war an gutes Papier heranzukommen."
Aufwändige Restauration
Viele der Bücher, erklärt Sophia Fock, müssten daher erst einmal sehr aufwändig restauriert werden.
"Dabei wird eine einzelne Seite mit Flüssigkeit behandelt und dann wird eine Schicht quasi eine Einlage gelegt zwischen die Vor- und die Rückseite dieser einen Seite, die die Säure aufhält und gleichzeitig das Papier stabilisiert und am Schluss wird die Seite wieder zusammengefügt, so dass es am Schluss wieder zu einer einzelnen Seite zusammen kommt."
Danach werden die Bücher für die Forschung bereitstehen, um darüber erzählen zu können, wie das Studium der heiligen Schrift auch unter widrigsten Bedingungen organisiert wurde.
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