EM-Tagebuch (20)

Zwischen Drama und Slapstick

Die deutsche Nationalmannschaft freut sich über ihren Sieg gegfen Italien
Der Weltmeister hat den Angstgegner in die Knie gezwungen. © dpa/picture alliance
Von Thomas Wheeler · 03.07.2016
Im neunten Anlauf hat Deutschland erstmals gegen Italien bei einem großen Turnier gewonnen. Allerdings erst im Elfmeterschießen. Und das war an Spannung und Dramatik nicht zu überbieten.
Ich habe ja schon viele Elfmeterschießen gesehen. Aber solch eine Pechvögel-Ansammlung habe ich bei einer Welt- oder Europameisterschaft noch nie erlebt. Sieben Fehlschüsse, von denen einige gute Chancen hätten bei Pleiten, Pech und Pannen prämiert zu werden. Dazu immerhin noch elf verwandelte. Macht in der Endabrechnung 6:5 für die Mannschaft von Joachim Löw. Auch wenn es nach so einem Drama natürlich keinen Trost für die Verlierer gibt. Aber eines bleibt festzuhalten: Die Serie hält. Deutschland kann gegen Italien nicht bei einer WM oder EM gewinnen. Denn der Sieg in der Lotterie vom Punkt wird in der Statistik nicht als ein solcher gewertet, sondern nur als Unentschieden. Aber das bringt den Italienern natürlich überhaupt nichts.
Elfmeterschießen für die Ewigkeit
Was war das für eine Spannung! Gleich der zweite italienische Schütze, Simone Zaza, erst kurz zuvor eingewechselt, schießt deutlich über das Tor. Bei dessen Trippelschritten ist schon vorher deutlich zu sehen, dass er eigentlich gar nicht weiß, wohin er den Ball zielen soll. Danach scheitert Thomas Müller sofort danach an Gianluigi Buffon. Auch der nächste Deutsche, Mesut Özil, der den Weltmeister in der regulären Spielzeit nach 65 Minuten zwischenzeitlich in Führung geschossen hat, zeigt Nerven und setzt seinen Strafstoß an den Pfosten. Dann zieht wieder ein Italiener eine Niete. Graziano Pellè schießt daneben. Und auch Leonardo Bonucci, der in der 78. Minute noch den Ausgleich für die Squadra Azzurra erzielt hat, flattert diesmal und findet in Manuel Neuer seinen Meister.
Damit hat Bastian Schweinsteiger in diesem Moment die Riesenmöglichkeit, den Weltmeister ins Halbfinale zu befördern, aber stattdessen befördert er den Ball weit über das Tor. Verlängerung im Penalty-Shootout. Emanuele Giaccherini, Marco Parolo und Mattia de Sciglio treffen für Italien. Mats Hummels, Yoshua Kimmich und Jerome Boateng für Deutschland. Dann ist Matteo Darmian an der Reihe, und erneut pariert Neuer. Nun hat Jonas Hector die Chance, den dreimaligen Europameister unter die besten Vier zu schießen. Und diesmal klappt es. Mit viel Glück saust das Spielgerät unter dem Ellbogen von Buffon hindurch ins Netz. Der 18. Strafstoß bringt die Entscheidung. Dieses Elfmeterschießen entschädigt zumindest ein bisschen, für das was die viermaligen Weltmeister zuvor in 120 Minuten geboten haben.
Meist langweiliger Taktikgipfel
Dabei gibt sich keiner eine Blöße. Vor allem die Italiener, im siegreichen Achtelfinale gegen den entthronten Titelverteidiger Spanien noch so erfrischend offensiv, stehen diesmal in der ersten Hälfte fast nur hinten drin. Das deutsche Team hat zwar deutlich mehr Ballbesitz, kommt aber höchstens bis zum Strafraum und beißt sich dort ein ums andere Mal die Zähne an der azurblauen Verteidigung aus. Auch die deutsche Dreierkette mit Jerome Boateng, Mats Hummels und Benedikt Höwedes steht sicher und lässt nichts anbrennen. Bis auf einen Kopfball von Mario Gomez in der 41. Minute, und Müller, der 60 Sekunden später den Ball nicht richtig trifft, ist im italienischen Strafraum alles dicht. Die beste Gelegenheit haben in der ersten Hälfte bezeichnenderweise die Azzurri. Zunächst zwingt Giaccherini Neuer zu einer ersten Arbeitsprobe, dann rauscht ein abgefälschter Schuss von Stefano Sturaro nach 43 Minuten nur ganz knapp am Tor vorbei.
In der zweiten Hälfte legt die Mannschaft von Antonio Conte zunächst ein wenig ihre Zurückhaltung ab. Es wird nun insgesamt ein ansehnlicheres Spielchen für die Zuschauer. In der 54. Minute hat Müller das 1:0 auf dem Fuß, aber sein sehenswerter Schuss wird von Alessandro Florenzi gerade noch spektakulär zur Ecke abgefälscht. Dann fällt doch noch ein Treffer. Abstoß Neuer, Mario Gomez erkämpft sich den Ball, Hector mit der Verlängerung zu Özil, und nach 65 Minuten heißt es 1:0. Drei Minuten später kann Gomez sogar auf 2:0 erhöhen, aber Buffon klärt die Hackenablage des Stürmers gerade noch über das Tor. Den Italienern läuft nun die Zeit davon. Aber sie investieren nun wieder mehr. Ein Schuss von Pellè streicht in der 74. Minute nur knapp am Tor von Neuer vorbei. Dann jedoch segelt eine Flanke in den deutschen Strafraum, und ausgerechnet Boateng, auch diesmal wieder einer der Besten, spielt den Ball mit der Hand. Elfmeter, und den ballert Bonucci unhaltbar für Neuer rechts unten ins Eck.
In der Verlängerung passiert in der ersten Hälfte kaum etwas und auch in der zweiten nur wenig. Der inzwischen eingewechselte Julian Draxler kommt in der 107. Minute noch einmal zu einer gefährlichen Aktion, aber sein Versuch streicht knapp über das italienische Tor. Das war´s dann. Nach 120 Minuten pfeift der ungarische Schiedsrichter Viktor Kassai ab und bittet zur Lotterie aus elf Metern. Und den Rest kennen Sie ja schon, wenn Sie aufmerksam mitgelesen haben. Damit steht Deutschland am kommenden Donnerstag zum neunten Mal in einem EM-Halbfinale. Allerdings ohne Mats Hummels, der gesperrt ist. Der Gegner wird heute Abend ab 21 Uhr zwischen Gastgeber Frankreich und den Isländern ermittelt.
Mehr zum Thema