EM-Tagebuch (2)

Hooligan-Ausschreitungen in Marseille

Ein Mann wirft eine Flasche, auf den Straßen liegt Müll, im Hintergrund Menschen.
Ein Mann wirft eine Bierdose in Richtung gegnerische Fans in Marseille. © AFP / Jean Christophe Magnenet
Von Thomas Wheeler · 12.06.2016
Bereits vor der Fußball-EM wurde gewarnt: Nicht nur Terroristen sind eine Bedrohung für das Turnier in Frankreich, sondern auch Randalierer. Vor, während und nach der Partie zwischen England und Russland haben sich diese Befürchtungen sehr heftig bewahrheitet.
Als ich vorhin davon gehört habe, dass sich Randalierer aus England, Russland und Frankreich prügeln, habe ich sofort an die schlimmen Vorfälle bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich gedacht. Auch damals kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen unterschiedlicher Nationalitäten. Aber eben auch zu einem brutalen Überfall von deutschen Hooligans auf den französischen Polizisten Daniel Nivel. Der damals 43-Jährige lag anschließend mehrere Wochen im Koma. Seitdem ist Nivel behindert und kann nicht mehr arbeiten.

Randalierende Hooligans bei der Fußball-EM – In "Studio 9 kompakt" berichtete Matthias Friebe aus Paris über die Gründe und die Konsequenzen der gewaltsamen Ausschreitungen in Marseille.
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Sicherheitsexperten hatten vor der Europameisterschaft nicht nur vor einer Bedrohung durch Terroristen gewarnt, sondern auch vor Zusammenstößen von Randalierern. Vor, während und nach der Partie zwischen England und Russland haben sich diese Befürchtungen bewahrheitet. Mehrere Engländer, Franzosen und Russen wurden festgenommen. Es gab zahlreiche Verletzte. Ein englischer Fan musste wiederbelebt werden. Er ist noch in Lebensgefahr.

Russland klaut England sicher geglaubten Sieg

Die letzte Minute der Nachspielzeit lief, die Three Lions machten sich schon zum Feiern bereit, da gab Vasili Beresuzki den Spielverderber und erzielte den russischen Ausgleich zum 1:1-Endstand. Die Engländer müssen damit weiter darauf warten, dass zu Beginn einer EM mal als Gewinner vom Platz gehen. Und daran sind sie selber schuld. In der ersten Hälfte spielte das Team von Roy Hogdson von Beginn an selbstbewusst nach vorn und ließ die Russen nur selten durchschnaufen. Allein der Treffer, er fiel nicht. Nach dem Seitenwechsel war einer der hochgehandelten Titelfavoriten dann längst nicht mehr so spritzig. Die Sbornaja hatte sich nun besser auf die englischen Angriffswellen eingestellt und kam ihrerseits zu ersten Möglichkeiten. Ein Standard brachte dann das erste Tor. In der 73. Minute zirkelte Eric Dier einen Freistoß gekonnt in den Winkel. Den Russen lief nun die Zeit davon, nur noch wenige Sekunden waren auf der Uhr ... Und den Rest kennen Się schon, wenn Sie aufmerksam gelesen haben. Der Weltmeister von 66 steht damit im Prestige-Duell gegen Wales am kommenden Donnerstag schon ein bisschen unter Druck.

Wales war für mich lange Zeit nur John Charles

Wer bitte ist das, werden sich jetzt sicherlich Viele fragen. Es sei denn, Sie kennen sich besonders gut mit der Waliser Fußballgeschichte aus, waren in diesem Teil Großbritanniens schon mal im Urlaub oder Sie haben wie ich in einem Buch über die Weltmeisterschaft 1958 in Schweden geschmoekert. Denn damals war John Charles Stürmer der walisischen Nationalmannschaft und erreichte mit dieser bei ihrer einzigen WM-Teilnahme das Viertelfinale, wo sie nur knapp am späteren Weltmeister Brasilien scheiterte. Das einzige internationale Ausrufezeichen bis heute, trotz Legenden wie John Toshack, Ian Rush, Mark Hughes und Ryan Giggs. 58 Jahre nach dem einzigen Auftritt bei einem großen Turnier haben sich John Charles Erben auf den Weg nach Frankreich gemacht und wollen die Anderen zumindest ein bisschen ärgern. Vor allem jene, die denken Sie könnten besser Fußball spielen, und die deshalb die Waliser womöglich nicht Ernst nehmen.
Der Waliser Gareth Bale freut sich am 11.6.2016 nach dem Spiel über den Sieg seines Teams bei der Fußball-EM in Frankreich über die Slowakei.
2:1 gegen die Slowakei: Der Waliser Gareth Bale feiert nach dem Spiel den Sieg seines Teams.© picture alliance / dpa / Rungroj Yongrit
Diesen Eindruck machte die Slowakei zum Auftakt der Gruppe B. Jene Mannschaft, die die DFB-Elf vor Kurzem ziemlich alt aussehen ließ. Im Duell der EM-Debütanten war von der geistigen Frische der Slowaken fast nichts zu sehen. Wales ging durch Gareth Bale früh in Führung und kontrollierte das Spiel bis zum 1:1 nach einer guten Stunde. Die Briten verlegten sich nun aufs Kontern, und einen dieser Gegenangriffe spielten sie durch den eingewechselten Robson-Kanu exzellent aus und erzielten den Siegtreffer gut zehn Minuten vor Schluss. Damit haben die Dragons, so der Spitzname der walisischen Kicker, den Grundstein zum Erreichen des Achtelfinales gelegt.

Hopp Schwiiz hoppelt zum ersten EM-Sieg

Darauf hatten die Schweizer 52 Jahre warten müssen. So lange bemühen sie sich nämlich schon, im Kreis der größten Fußballnationen Europas anzukommen. Nach dem unglücklichen Achtelfinal-Aus bei der WM vor zwei Jahren sind się in Frankreich zum vierten Mal bei einer EM dabei. Gegen Neuling Albanien köpfte się Abwehrspieler Fabian Schär von 1899 Hoffenheim bereits nach fünf Minuten auf die Siegerstraße. Die Nati, so nennen unsere Nachbarn ihre Nationalmannschaft, dominierte, erst recht, als der albanische Abwehrchef Lorik Cana bereits nach 36 Minuten mit Gelb-Rot vom Platz musste. Dessen Kollegen konzentrierten sich nun noch mehr auf das, was się am besten können, aufs Verteidigen. Waren aber bei ihren seltenen Angriffen stets gefährlich und hatten durch Armando Sidaku vom FC Vaduz aus Liechtenstein gleich dreimal den Gleichstand auf dem Fuß. Jedes Mal musste sich die Schweiz bei ihrem Torhüter Yann Sommer bedanken, der ja in der Bundesliga für Borussia Mönchengladbach zwischen den Pfosten steht. Sommer rettete den knappen Erfolg mit starken Reflexen, der viel klarer hätte ausfallen können, sogar müssen, denn seine Vorderleute hatten zahlreiche hochkarätige Möglichkeiten, nutzten aber keine Einzige. Trotzdem stehen unter dem Strich die ersten drei Punkte und damit eine vielversprechende Ausgangsposition vor der zweiten Partie gegen Rumänien am nächsten Mittwoch.

Wir meistern das

Steht auf dem Bus des Weltmeisters. Passt zum Spruch von Teammanager Oliver Bierhoff. 20 Jahre nach dem letzten deutschen EM-Titel, bei dem er selbst im Finale den Ausgleich und das entscheidende Golden Goal gegen die Tschechische Republik erzielte, forderte er den DFB-Tross auf, eine neue Geschichte zu schreiben. Soweit geht Bundestrainer Joachim Löw noch nicht. Er hat erstmal an der Startelf für die heutige Begegnung mit der Ukraine getüftelt. Ab 21 Uhr beginnt La Mannschaft in Lille ihre Mission "Wir wollen Europameister werden". Löw ist von einem erfolgreichen Start überzeugt.
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