Elizabeth Bishop: "Gedichte"

Rätselhaft und verstörend

Das Buchcover Elizabeth Bishop: "Gedichte". Im Hintergrund ein Porträt der Dichterin.
Mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet: Elizabeth Bishop © Hanser Verlag / imago
Von André Hatting · 03.12.2018
Sie zählt zu den größten Dichterinnen ihrer Generation und dennoch ist sie hierzulande nur wenig bekannt: die amerikanische Lyrikerin Elizabeth Bishop. Ihre Gedichte lassen sich nun in einem zweisprachigen Band entdecken.
Elizabeth Bishops Lyrik ist schwer zu fassen. Je näher man ihre Verse anschaut, desto ferner blicken die zurück. Die 1911 in Massachusetts geborene Amerikanerin ist vor allem in Fachkreisen gefeiert und gewürdigt worden, u. a. mit dem Pulitzer-Preis. Ein "poet's poet's poet" hat Kollege John Ashbery sie einmal genannt.
Naturwissenschaftliche Präzision, Liebe fürs Detail und gleichzeitig Distanz – das sind Näherungsversuche, und diese Beschreibungen stimmen auch alle irgendwie, aber dieses "irgendwie" ist das Problem.

Von Verlieren und Verlust

Die bislang umfangreichste deutsche Ausgabe ihrer Gedichte offenbart die ganze Rätselhaftigkeit des Werks. "Geography III", ihr letzter Band, ist der interessanteste. Zum Glück hat sich Steffen Popp dazu entschlossen, ihn vollständig aufzunehmen. Wie auch in den drei vorangegangenen geht Bishop hier meist von einem subjektiven Erlebnis aus – Reiseeindrücke, Naturerscheinungen, Kindheitserinnerungen. In einem nüchternen, fast umgangssprachlichen Ton komponiert sie daraus Verstörendes.
Was schreibt eine Frau, die ihren Vater im Säuglingsalter verliert, deren Mutter wahnsinnig wird und deren langjährige Geliebte sich umbringt? Sie beschreibt das Verlieren als eine Kunst (One Art):
Verlieren, diese Kunst zu lernen ist nicht schwer;
so viele Dinge, scheints, sind geradezu bereit
für das Verlorengehn, sie fehlen dir nicht sehr.
Der Eingangsvers wird in den folgenden Strophen wiederholt wie eine Beschwörung gegen den Schmerz:
Verlieren, diese Kunst zu lernen ist nicht zu schwer,
auch wenns so aussieht (Schreib es!) wie Desaster.

"Touching in detail"

Verlieren mag leicht sein, Verlust ist es nicht. Die Selbstbehauptung gegen die Verzweiflung, das ist in der Kunst ("Schreib es!") produktiv. Im Leben ist es zerstörerisch. Bishop verfällt früh dem Alkohol. Aber anders als ihr Schriftstellerkollege und Freund Robert Lowell schreibt sie keine Bekenntnislyrik. Auch der Moralismus ihrer Mentorin Marianne Moore ist ihr fremd.
Bishop nimmt sich zurück. Aus der Ferne streckt sie ihre Worte wie Fühler aus. Während sie anfangs die Natur noch mythopoetisch überhöht, scheint sie im Spätwerk eher dem Credo von William Carlos Williams zu folgen: no ideas but in things! Die Dinge sind bei Bishop ein plötzlich auftauchender Elch auf einer nächtlichen Busfahrt, Fotos von indigenen Völkern in einem Magazin oder die vertraute Landschaft der Kindheit auf einem wiedergefundenen Gemälde (Poem):
Kunst "nach dem Leben" und das Leben selbst,
das Leben und die Erinnerungen daran, so verdichtet,
dass eins zum andern wurde. Welches welches ist?
Das Leben und seine Erinnerungen, gedrängt,
dunkel auf einem Stück Karton,
dunkel, doch wie lebendig, berührend im Detail
"Touching in detail" - das beschreibt am ehesten die Wirkung der Gedichte von Elizabeth Bishop. Leider funktioniert es nur im amerikanischen Original, wie Steffen Popps Neuübersetzungen eindrucksvoll beweisen.

Elizabeth Bishop: Gedichte. Zweisprachig
Herausgegeben und übersetzt von Steffen Popp
Hanser, München 2018
352 Seiten 32 Euro

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