Eliteförderung schon im Kindergarten

Von Thomas Klatt · 09.04.2011
Um den Anschluss an die Zentren gesellschaftlicher Macht nicht zu verlieren, will sich die Evangelische Kirche künftig stärker an Eliten wenden. In dieser Woche hat sie dazu ein Papier mit dem Titel "Evangelische Verantwortungseliten – eine Orientierung" vorgestellt.
Die Berliner Philosophie-Studentin Astrid Schonmäker ist eine von bundesweit rund 1200 Stipendiaten des Evangelischen Studienwerkes Villigst. Für die Zeit des gesamten Studiums erhält sie rückzahlungsfrei den ihr zustehenden BAFöG-Satz plus 150 Euro Büchergeld pro Semester.

"Als Villigster ist man in einem sehr einfachen Sinne des Wortes sicher Elite, weil man ist durch eine Auswahl gegangen. Aber in anderer Hinsicht ist man nicht automatisch Elite. Es wird einem dadurch, dass man aufgenommen ist, nicht garantiert, dass man später in einen Beruf kommt, der diesen Elite-Beigeschmack haben würde, sondern es gibt gerade in Villigst viele Leute, die soziale Fächer studieren und gar nicht das Ziel haben, irgendwie mal viel Geld zu verdienen oder viel Macht zu haben, sondern sich einfach einzusetzen für Menschen."

Auch der Medizinstudent Marten Mensah gehört zu den Auserwählten.

"Villigster haben meistens ein soziales Engagement, das sie vorweisen, das ist ein Kriterium bei der Auswahl. Bei mir war es ein kirchliches Engagement, denke ich. Ich habe bei mir in der Gemeinde Jahre in der Jugendarbeit zugebracht, Konfirmandenfahrten betreut, in Tegel, hier in Berlin."

Die jungen Studierenden gehören genau zu der Klientel, die die Evangelische Kirche in den nächsten Jahren verstärkt in den Blick nehmen möchte. Der Vizepräsident des Evangelischen Kirchenamtes in Hannover, Thies Gundlach, wirbt für "Evangelische Verantwortungseliten". Dafür wolle man evangelische "Vorfeldarbeit" leisten, nämlich Eliteförderung im Kindergarten, in der Schüler-, Jugend-, oder eben auch Studierendenarbeit. So, wie es schon 2006 in dem evangelischen Reformpapier "Kirche der Freiheit" beschrieben wurde. Darin wurden zwölf besonders zukunftsträchtige Themen als "Leuchtfeuer" benannt:

"Ein Leuchtfeuer ging zum Thema Bildung, und da war ein Gedanke dieser, dass religiöse Bildung im Kern Herzensbildung sei. Und solche Bildung lebt von den Vorbildern, und deshalb sei es entscheidend, dass evangelische Christen als Multiplikatoren in weltlichen Berufen erkennbar sind, solche Engagierten in Politik und Kultur, Bildung und Wirtschaft, in Redaktionen und Wissenschaften müssten deshalb von der evangelischen Kirche bewusst gefördert werden. Protestantische Eliten sind ein Segen für die Kirche wie für die Gesellschaft."

Allerdings soll sich die evangelische Elite weder nach Herkunft oder Besitz noch nach Bildungsstand definieren, sondern allein nach der individuellen Leistung. Es geht der Evangelischen Kirche bei ihrer Werbung um und für neue Eliten vor allem um Mission in eigener Sache, bekennt Alt-Bischof Wolfgang Huber. Und da will man auch bereits bestehende Eliten ansprechen:

"Selbstverständlich ist die missionarische Ausrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen eine der wichtigsten Veränderungen der letzten 20 Jahre im Bereich unserer Kirche. Dass wir das Wort Mission wieder beherzter in den Mund nehmen und es nicht einfach dabei belassen, dass dieses Wort höchst erfolgreich aus der Kirche ausgewandert ist in den Bereich der Wirtschaft und jedes Unternehmen sein mission statement hat, sondern es in der Kirche wieder verwenden. Und selbstverständlich wäre es absolut paradox, wenn wir sagen würden, aber da sparen wir die Meinungsführer im Lande aus. Denen geben wir das Evangelium nicht, da behalten wir es für uns oder sonst irgendetwas dergleichen."

So schön das Ideal von der selbstlosen nur auf das Wohl der Allgemeinheit ausgerichteten "evangelischen Verantwortungselite" auch klingen mag, so tun sich doch auch Widersprüche auf. Anders als etwa in den USA oder in Frankreich fehlt in Deutschland bislang die Tradition einer republikanisch-demokratisch verpflichteten Elite. Gerade die Nazi-Zeit war ein Beleg für das völlige Versagen der intellektuellen, wirtschaftlichen wie auch kirchlichen Eliten der Weimarer Republik. Daher gebe es bis heute auch eine gewisse Eliteskepsis im evangelischen Studienwerk Villigst, sagt Stipendiat Marten Mensah:

"Der Gründungsgedanke von Villigst ist ja der, dass während des Zweiten Weltkriegs und während der Zeit des Nationalsozialismus die Eliten versagt haben. Und einher ging damit ein kritisches Auseinandersetzen mit diesem Elitebegriff. Deswegen ist auch das Wort Elite in Villigst äußerst verpönt."

Der elitäre Leistungsbegriff stehe aber auch in einem gewissen Widerspruch zur christlichen Botschaft, meint der Marburger Theologe Gerhard Marcel Martin. Denn Jesus von Nazareth habe nun gerade nicht die Reichen, Schönen, Mächtigen, Prominenten oder eben besonders Leistungsfähigen berufen:

"Die Wahl Gottes, eligere heißt ja auswählen, da ist das Kriterium gerade nicht Leistung, sondern im Zweifelsfall Liebe. Ich habe dich auserwählt, sagt Gott zum Volke Gottes, nicht weil du besonders toll bist oder leistungsfähig oder dich bewährt hast, sondern weil ich dich liebe. Und dadurch kommt eine ganz andere Dimension in die Debatte."

Die evangelische Stipendiatin Astrid Schonmäker betont wohl auch deshalb, dass die Ellenbogenmentalität und das Strebertum bei Villigst nicht gefördert würden:

"Es kann ja sein, dass einer ein 3,0er-Abitur hat, aber weil er sich an anderen Punkten engagiert hat, vielleicht die Schule für ihn nicht das Allerwichtigste war, und dann kann es sein, dass jemand in die Villigster Gemeinschaft hineinpasst, der kein Spitzenabitur gemacht hat."

Wie viele der von Villigst Geförderten auch später im Berufsleben noch eine Verbindung zur Kirche halten und sich als "evangelische Verantwortunselite" begreifen, dazu liegen allerdings keine Erkenntnisse vor.
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