Elena Ferrante: „Lästige Liebe“

Geschichte eines Verschwindens

Buchcover Elena Ferrante: "Lästige Liebe". Im Hintergrund ein Blick auf Neapel
1992 erschien "Lästige Liebe" in Italien, zwei Jahre später auch in Deutschland - allerdings mit wenig Resonanz. © Suhrkamp / dpa / picture alliance / Udo Bernhart
Von Ursula März · 01.10.2018
Mit "Meine geniale Freundin" wurde Elena Ferrante weltberühmt. Nun kommt auch ihr Debütroman "Lästige Liebe" in einer neuen Übersetzung auf den deutschen Markt: ein Psychothriller, der bereits die Grundzüge von Ferrantes Neapelepos enthält.
Man könnte Elena Ferrantes vierbändigen, nicht weniger als 1700 Seiten umfassenden Neapelroman "Meine geniale Freundin", der einen sensationellen internationalen Verkaufserfolg erfuhr, in einem Satz zusammenfassen: Eine Frau lässt sich verschwinden. Damit setzt der erste Band ein: Die Ich-Erzählerin Elena schreibt die Geschichte ihrer Freundschaft mit Lila, die sich in Luft aufgelöst hat. Sie hat ihre Wohnung aufgelöst, das Internet von sämtlichen Hinweisen auf ihre Person gesäubert, ihr Gesicht aus Fotografien geschnitten. Sie hat ihre Existenz gelöscht, sie ist verschwunden, so als hätte es sie nie gegeben.

Die Mutter - eine fremde Frau

Dieses Erzählmotiv ist zugleich das Zentrum des gesamten literarischen Werks der italienischen Schriftstellerin Elena Ferrante, die bekanntlich nicht so heißt. Es ist ein Pseudonym, hinter dem die Autorin sich selbst verschwinden ließ, als sie zu schreiben begann. "Bücher", so begründete sie ihre Entscheidung für die Anonymität einmal, "brauchen keine Autoren mehr, wenn sie geschrieben sind". Man hört aus dieser Maxime das Echo postmoderner Texttheorie, der zu Folge der Autor nur ein Medium des Textes ist, kein Individuum mit Postadresse, Alter und Gesicht. Um das Verschwinden einer Person geht es aber nicht nur in Ferrantes monumentalem Neapelepos. Eine fast identische Geschichte hat die Autorin schon zweieinhalb Jahrzehnte zuvor erzählt, in ihrem Debütroman "Lästige Liebe".
Er erschien 1992 in Italien, zwei Jahre später in Deutschland, jedoch ohne nennenswerte Resonanz. Das Ferrante-Fieber war noch nicht entbrannt. Nun bringt der Suhrkamp Verlag "Lästige Liebe" noch einmal auf den deutschen Buchmarkt, in einer Neuübersetzung von Karen Krieger, der auch die fulminante deutsche Version der "Genialen Freundin" zu verdanken ist. Wer die Tetralogie kennt, wird in Ferrantes Erstlingsroman schnell die Parallelen erkennen. Wieder stehen zwei Frauen im Vordergrund, dieses Mal allerdings eine erwachsene Tochter namens Delia und ihre Mutter. Als der Roman einsetzt, ist die Mutter auf mysteriöse Weise verschwunden. Sie wollte mit dem Zug von Neapel nach Rom fahren, um Delia dort zu besuchen. Aber sie kam nie an. Nach ein paar Tagen wird an der Küste zwischen Neapel und Rom ihre nackte Leiche gefunden. Was ist ihr widerfahren? Stieg sie allein aus dem Zug aus? Oder war sie in Begleitung? Wurde sie ermordet? Brachte sie sich um? Die Polizei kann den Fall nicht aufklären. Delia aber begibt sich in Neapel auf die Suche nach den Spuren der Mutter, die offensichtlich eine Fremde für sie war. Sie trifft Männer, die in der Biografie der Mutter eine geheimnisvolle und zwielichtige Rolle spielten, sie findet in einem Koffer Dessous, die auf ein Doppelleben der Mutter schließen lassen.

Spannend und surreal, aber auch schnell erschöpft

Je weiter die Romanhandlung voranschreitet, desto stärker nimmt sie surreale Züge an. Die Tochter beginnt, sich in der phantasierten Identität der Mutter zu bewegen. So ist der eigentliche Schauplatz des Romans nicht die neapolitanische Außenwelt, sondern die Innenwelt des Unbewussten. "Lästige Liebe" fällt somit ins Genre des Psychothrillers. So spannend die Lektüre zu Teilen ist, so schnell erschöpft sie sich allerdings. Jeder Fan von "Meine geniale Freundin" wird das präzise und unvergleichbar lebhafte Gesellschaftspanorama vermissen, das Ferrantes Debüt noch fehlt. Und er wird erkennen, aus welchem Kern es sich entwickelte: aus der Geschichte vom Verschwinden einer Frau.

Elena Ferrante: "Lästige Liebe"
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
207 Seiten, 22 Euro

Mehr zum Thema