Elektronik-Legende Aphex Twin spielte in Berlin

"Eine körperliche Erfahrung"

Aphex Twin (aka Richard David James) bei einem Konzert auf dem Field Day Festival 2017 im Victoria Park in London
"Mysteriöse Inszenierung" - Aphex Twin bei einem Konzert 2017 im Victoria Park in London. © picture alliance / Photoshot
Daniel Gerhardt im Gespräch mit Carsten Beyer · 02.11.2018
Der irische Musiker Aphex Twin gab im alten Berliner Funkhaus sein erstes Konzert in Deutschland seit vielen Jahren. Musikjournalist Daniel Gerhardt erinnerte es an einen 90er-Jahre-Rave: sehr laut und mit erstaunlichen Fotoprojektionen.
Der Ire Richard David James ist unter seinem Pseudonym Aphex Twin eine der bekanntesten Größen in der elektronischen Musik. Er genießt einen legendären Ruf, obwohl er nur wenig über sich preisgibt. Rund 7000 Zuschauer kamen zu seinem Berliner Konzert, das innerhalb eines Tages ausverkauft war. Es fand im alten Berliner Funkhaus in der Nalepastraße statt, wo früher der DDR-Rundfunk seinen Sitz hatte. Musikjournalist Daniel Gerhardt war begeistert von dem Abend:
"Eine überwältigende Erfahrung musikalisch, aber auch als körperliche Erfahrung. Das hat nicht in einem der edlen Funkhaussäle stattgefunden, sondern in der ehemaligen Garage. Es war Lagerhallenatmosphäre wie bei einem 90er-Jahre-Rave. Und das war so die Energie, die in der Luft lag: sehr laut, sehr dichter Sound, aufwändige Filmprojektionen und Lichteffekte. Das hatte etwas übermannendes."
Aphex Twin hat die elektronische Musik der 90er-Jahre geprägt wie vielleicht kein zweiter Künstler. Dabei war er immer ein Eigenbrötler, der jenseits von Trends, Hypes oder Szenen existiert habe. Sein vielfältiges Werk deckt so ziemlich alles ab, was man sich unter elektronischer Musik vorstellen kann. Und in gewisser Weile liebe der Musiker auch das Extreme, sagt Daniel Gerhardt:
"Er hatte immer die Bereitschaft, ins Extrem zu gehen. Das konnte man gestern am Ende des Konzertes sehr schön beobachten. Es ist in den letzten 15 Minuten so ein bisschen ausgeartet in eine Krachorgie, wo bei Ohren betäubender Lautstärke freiförmig der Noise über das Publikum hereingebrochen ist."
Zwei Personen seien gestern Abend auf der Bühne zu sehen gewesen und es sei nie ganz klar gewesen, wer von beiden eigentlich Aphex Twin war. Gerhardt spricht von einer "mysteriösen Inszenierung": "Es war kein Rockstar-Kult, den er da um sich inszeniert hat – ganz im Gegenteil. Da steckt viel linkischer Humor mit drin."

Otto, Karl Dall und Christian Ströbele an die Wand projiziert

Humor habe der Künstler auch darin bewiesen, welche Persönlichkeiten er zum deutschen Kulturerbe zählt:
"Mitten im Konzert wurden hinter ihm verschiedene Persönlichkeiten aus der deutschen Trash-Kultur eingeblendet mit verfremdenden Fratzen: Otto, Karl Dall, Heino und aus irgendeinem Grund Hans-Christian Ströbele dazwischen. Und in der Verbindung mit dieser sehr verschachtelten, aber auch wuchtigen Musik hatte das einen sehr absurden Effekt. Und am Ende erschien ein Bild von Kraftwerk hinter ihm. So als hätte er zwei verschiedene Arten des deutschen Kulturerbes gegenüberstellen wollen."

Seinen Vorreiterstatus mittlerweile eingebüßt

Seine Vorreiterrolle habe Aphex Twin inzwischen eingebüßt, räumt Daniel Gerhardt ein, seine Musik habe aber immer noch eine große Relevanz:
"Die Show gestern, so beeindruckend sie war, die hätte in der gleichen Form auch 1999 stattfinden können. Diesen Vorreiterstatus, den er Ende der 90er hatte, den hat er so ein bisschen eingebüßt. Aber ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass er heute altbacken oder überholt klingt. Da steckt immer noch viel Forschergeist und Erfindungsreichtum in der Musik."
(cosa)
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