"El Siglo de Oro – die Ära Velazquez" in Berlin

Spaniens üppiges Jahrhundert der Kunst

Besucher schauen sich in Berlin in der Gemäldegalerie das Werk "Der tote Christus" des spanischen Künstlers Gregorio Fernandez an.
Große Schau zum Goldenen Zeitalter: Besucher schauen sich in Berlin in der Gemäldegalerie das Werk "Der tote Christus" des spanischen Künstlers Gregorio Fernandez (1576-1636) an. © dpa / Kay Nietfeld
Von Simone Reber · 29.06.2016
Philipp IV. von Spanien war ein kunstverständiger König: Er bescherte Spanien ein goldenes Zeitalter der Kultur, aber er stürzte die einstige Weltmacht auch in Kriege. Die Berliner Ausstellung "El Siglo de Oro – die Ära Velazquez" zeigt Malerei und Skulptur aus dem wechselvollen 17. Jahrhundert.
Dunkle Wolken jagen über den Himmel von Toledo. Der Sturm treibt Maria und die Schar der Engel in die Lüfte. Die überlange Gestalt der künftigen Mutter Gottes streckt ihr Gesicht dem Licht entgegen, das der Heilige Geist in Gestalt einer weißen Taube aussendet. Alles ist in Bewegung in der dreieinhalb Meter hohen rauschhaften Darstellung der Unbefleckten Empfängnis von El Greco.
Die monumentale Ausstellung "El Siglo de Oro" beginnt mit einem Tusch. Schon in den Anfängen des spanischen Barock sind die Theatralik, die Plastizität und das Spiel mit Erscheinung und Wirklichkeit angelegt.
"Wir fangen die Ausstellung mit El Greco an, der auf den ersten Blick so anders als Velazquez aussieht, der war aber extrem wichtig. Velazquez war in Toledo, als El Greco schon gestorben war, um die Werke zu sehen. Pacheco, der Meister von Velazquez, der war auch in Toledo, um von El Greco zu lernen. Und damit ist auch dieses Erbe weiter gegangen."
Vier Jahre hat die spanische Kuratorin Maria López-Fanjul an dieser Ausstellung gearbeitet. Besucher können sich jetzt entlang der Zeitachse durch das 17. Jahrhundert bewegen oder sie können von einer Kunstregion zur nächsten wandern. Neben Kastilien mit Madrid und Toledo etablierten sich auch die Hafenstädte Valencia und Sevilla zu wichtigen Zentren. Von hier aus wurden religiöse Darstellungen für die Kirchen Amerikas verschifft. Mit Philipp IV., der 1621 den Thron bestieg, kommen neue Auftraggeber hinzu.
"Mit Philipp IV. sehen wir neue Themen. Die Kirche ist präsent, aber plötzlich ist der Hof der wichtigste Auftraggeber. Plötzlich sind die privaten Sammler viel wichtiger, weil die nach dem König leben wollen. Der König sammelt die größte Sammlung überhaupt in Europa und die wichtigste Sammlung der Zeit und das nimmt die privaten Sammler mit."

Philipps mächtiger Günstling: Diego Velázquez

Aus Sevilla holte der Conde Duque de Olivéra, Philipps mächtiger Günstling, Diego Velázquez an den Hof nach Madrid. Allerdings schwächelt die üppige Ausstellung wegen der schwierigen Leihsituation bei Velázquez ein wenig. Das lebensgroße Porträt von Philipp IV., das bei Zeremonien den Monarchen ersetzen sollte, stammt aus der Werkstatt des Künstlers, vermittelt aber die neue Selbstdarstellung des Königs. Es zeigt einen nachdenklichen, friedfertigen Herrscher, Kriegsherr wider Willen.
Beim religiösen Bildprogramm der Gegenreformation arbeiteten Maler und Bildhauer Hand in Hand, um ihr Publikum direkt zu erreichen. Für Michael Eissenhauer, den Generaldirektor der Staatlichen Museen, bestätigt die perfekte Präsentation jetzt den lang gehegten Plan, in der Gemäldegalerie Skulptur und Malerei gleichzeitig zu auszustellen.
"Es gibt kaum ein Jahrhundert, in dem es so evident ist, dass Malerei und Skulptur immer Partner-Künste sind, die sich gegenseitig beeinflussen, bereichern, ergänzen, auch Erfolge weiterschreiben. Und in Spanien war es aus dem Lehrbuch, weil die Maler auch als einzige die Skulpturen malen oder fassen durften. Die Bildhauer durften ihre Skulpturen nicht selbst fassen. Insofern änderte sich eine bildhauerisch geschaffene Figur durch die Art der Bemalung."
Am schönsten ergänzen sich die beiden Gewerke in der Szene von der Heiligen Veronika. Die lebensgroße Figurengruppe von Grégorio Fernandez wird noch heute zur Karwoche durch Valladolid gefahren. Voll Mitgefühl streckt Veronika beide Hände zu Jesus aus. An der Stirnseite des Raumes hängt in Berlin ein fast abstraktes Gemälde von Francisco de Zubarán. Im Schweißtuch der Veronika lässt sich Jesus Gesichtsabdruck nur erahnen. Das Bild vermittelt ...
"Ruhe, Konzentration, diese Intimreligiösität, für den, der religiös ist. Aber für den der nicht religiös ist würde ich sagen ein Trompe l’oeil auch, ein Spiel: Was ist es, ist es ein Gemälde, ist es eine Skulptur, ist es ein reales Tuch."

Jahrhunderte schnurren vor den Augen zusammen

Was bedeutet eigentlich dieser Gesichtsabdruck auf dem Tuch?
"Das ist ein Wunder. Es hat zum Beispiel auch viel mit Fotografie zu tun. Was es gibt, was es nicht mehr gibt, von dem Moment, der war, aber nicht mehr ist."
Dem religionsfernen Publikum erleichtert in Berlin die Gleichzeitigkeit von höchstmöglichem Realismus und spiritueller Abstraktion den Zugang zu dieser packenden Kunst. Die Jahrhunderte schnurren vor den Augen zusammen. Heutige Besucher, vertraut mit der virtuellen Realität, können den Wechsel zwischen Vision und Lebensnähe nachvollziehen. Darüber hinaus lassen sich in der Ausstellung die Vorbilder für die Gegenwart erkennen. Picasso, Chagall, Manet, aber auch Bruce Nauman, Joseph Beuys oder Maurizio Cattelan sind ohne El Greco, Velazquez oder Zurbaran nicht denkbar. Die Kunst der letzten Jahrzehnte kann im Goldenen Zeitalter ihren Stammbaum nachschlagen.
El Siglo de Oro – Die Ära Velazquez ist bis zum 30. Oktober 2016 in der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum zu sehen.
Pressekonferenz zur Velázquez-Ausstellung in Berlin: Michael Eissenhauer (r), Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, steht zusammen mit Co-Kuratorin María López-Fanjul y Díez del Corral (2vl) und Co-Kurator Roberto Contini (l) in der Gemäldegalerie.
Mitkurator Roberto Contini bei einer Pressekonferenz in der Berliner Gemäldegalerie zur Sonderausstellung "El Siglo de Oro - Die Ära Velásquez"© dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka