Eisenberger Kreis

Sie schrieben "Freiheit" auf Hauswände

Das Zentrum von Eisenberg, einer Kleinstadt in Ostthüringen, wo sich 1953 Widerstand gegen die Unterdrückung von Christen formierte.
Das Zentrum von Eisenberg, einer Kleinstadt in Ostthüringen, wo sich 1953 Widerstand gegen die Unterdrückung von Christen formierte. © dpa / picture alliance / Jan-Peter Kasper
Von Dieter Bub · 06.03.2016
Gegen die staatlich verordnete Dominanz der Freien Deutschen Jugend leistete der "Eisenberger Kreis" Widerstand in der DDR. 1953 entstand er aus Verbundenheit mit der evangelischen Jungen Gemeinde - Vorbild waren die Geschwister Scholl.
Extrablatt der "Jungen Welt", Organ des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend, April 1953:
"Junge Gemeinde – Tarnorganisation für Kriegshetze. Sabotage und Spionage im USA-Auftrag. Schändlicher Mißbrauch des christlichen Glaubens."
Das Pamphlet auf Anweisung der SED war Höhepunkt einer Kampagne, die bereits in den Jahren zuvor begonnen hatte: Die Junge Gemeinde, also die Jugendarbeit der evangelischen Kirche in der DDR, war ins Visier der Einheitspartei geraten. 3000 Schüler und Lehrer, die sich zur Jungen Gemeinde bekannt und keine offizielle Austrittserklärung unterzeichnet hatten, wurden von Oberschulen verwiesen. Auch im thüringischen Eisenberg. Thomas Ammer erinnert sich daran, wie hier vor allen Schülern ein regelrechtes Tribunal veranstaltet wurde:
"Ich war damals FDJ-Sekretär der 10. Klasse und habe dann in dieser Eigenschaft an der Schülervollversammlung, die dann die Schuldirektion einberufen hatte, Anfang April, teilgenommen. Eine ganze Reihe unbekannter Funktionäre waren da dabei, und der Rauswurf aus der FDJ war gleichzeitig damit verbunden mit dem Rauswurf aus der Schule. In der Vollversammlung habe ich widersprochen, einige andere auch, aber das waren viel zu wenig und die Masse der Schüler, die dort saßen, waren völlig überfahren."
Peter Herrmann, Mitinitiator des aus den damaligen Protesten entstandenen Eisenberger Kreises, ergänzt:
"Es handelte sich um drei Personen. Das hat uns empört. Bis in die 50er-Jahre hatten wir ja noch alte Lehrer und natürlich hatten wir deren Haltung bemerkt, dass sie mit den Verhältnissen auch nicht einverstanden sind. In meiner Klasse damals in der Oberschule kann ich nicht sagen, dass da auch nur einer richtig rot gewesen wär."

Gleichschaltung und Verbote

Mit der Übertragung des stalinistischen Systems auf die sowjetisch besetzte Zone und die spätere DDR war eine Parteiendiktatur verbunden, bei der nichtkommunistische Parteien und gesellschaftliche Organisationen gleichgeschaltet wurden. Bereits am 31. Juli 1945 hatte die sowjetische Militäradministration mit der Zulassung antifaschistischer Jugendkomitees alle anderen Jugendorganisationen verboten.
In der evangelischen Kirche der DDR entstand daher keine eigenständige Organisation wie der CVJM im Westen, sondern die Jugendarbeit wurde unabhängig voneinander in den einzelnen Gemeinden durchgeführt.
Der Schulverweis ihrer Mitschüler von der Jungen Gemeinde empörte einige Schüler in Eisenberg so sehr, dass sie sich zum Widerstand entschlossen. Eine Gruppe von 30 Schülern wurde zunächst in der Stadt aktiv. Thomas Ammer:
"Wir haben uns also getroffen und darüber geredet, ob sowas nochmal passiert, welche Anzeichen dafür sprechen. Aus diesem Diskussionskreis hat sich dann sehr schnell die Widerstandsgruppe gebildet."
Mit dem 17. Juni 1953 wurde die Kampagne gegen die Kirche und auch gegen die Junge Gemeinde eingestellt. Überall, auch in Eisenberg konnten die Schüler in ihre Klassen zurückkehren.

"Wir müssen die Gefahr verdrängen"

Die Gruppe um Thomas Ammer und Peter Herrmann war dennoch weiter zum Widerstand entschlossen. Sie protestierte mit nachts heimlich aufgehängten Plakaten 1954 gegen die Volkskammerwahlen. In Einzelaktionen wurde mit weißer Farbe das Wort "Freiheit" auf Hauswände geschrieben. 1956 setzten die Mitglieder als Protest gegen die zunehmende Militarisierung in der DDR einen Schießstand der Gesellschaft für Sport und Technik in Brand. Peter Herrmann und die anderen waren von ihrem Auftrag überzeugt und verdrängten die Furcht vor Entdeckung:
"Ich habe eine unverantwortliche Haltung eingenommen. Ich habe mir selbst gesagt, auch zu Kameraden: Wir dürfen daran nicht denken, sonst machen wir nichts mehr und wir müssen etwas machen und müssen die Gefahr verdrängen. Auf Grund der Fakten über das Sowjetsystem war es einfach moralisch geboten, hier etwas zu tun."
Die Mitglieder des Eisenberger Kreises blieben auch während ihres Studiums an der Universität Jena aktiv. Nach der Entstalinisierung in der DDR forderten sie Demokratie und die Abschaffung des gesellschaftspolitischen Unterrichts als Pflichtfach. Erst 1957 wurden sie von einem Stasispitzel entdeckt.

Haftstrafen bis zu 15 Jahren

Nach einem halben Jahr Untersuchungshaft in Gera wurden 24 der 30 Mitglieder des Eisenberger Kreises zu Freiheitsstrafen zwischen viereinhalb und 15 Jahren verurteilt. Thomas Ammer und Peter Herrmann wurden nach sechs Jahren durch die Bundesrepublik freigekauft. Sie hatten sich verpflichten müssen, im Westen über den Eisenberger Kreis und ihre Haft im Bautzen zu schweigen. Erst nach 1989 konnten sie über ihr Schicksal Auskunft geben.
Für Peter Herrmann sind diese sechs Jahre Haft bis heute eine prägende und leidvolle Erfahrung:
"Ich würde meinen Kindern das nicht empfehlen, es so zu machen, und ich glaube auch, dass die Eltern der Geschwister Scholl ihren Kindern nicht empfehlen würden, unter den Umständen damals '42 in München die Flugblätter zu werfen. Wir haben uns ja immer die Geschwister Scholl als Vorbild genommen. Wir wollten etwas tun und nicht nur diskutieren."
Bis zum Ende der DDR nach Verhaftung und Verurteilung der Gruppe vergingen 31 Jahre. Der Eisenberger Kreis war zerstört, aber die Junge Gemeinde in der DDR überdauerte diese Zeit trotz aller Benachteiligungen.
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