Einweihung in Bochum

Ein Kunstprojekt ohne utopische Kraft

Ein Mann geht in Bochum über eine blau beleuchtete Basaltlavaplatte mit Namen von Europäern. Mit fünf Jahren Verspätung wird das letzte Projekt der Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet fertiggestellt: der "Platz des europäischen Versprechens".
Mit fünf Jahren Verspätung wird das letzte Projekt der Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet fertiggestellt: der "Platz des europäischen Versprechens". © picture alliance / dpa / Marcel Kusch
Von Thomas Frank · 11.12.2015
Mit fünf Jahren Verspätung wird das letzte Projekt der Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet fertiggestellt: der Bochumer "Platz des europäischen Versprechens". 15.000 Versprechen von Bürgern sind eingegangen, zu sehen sind allerdings nur die Namen - und die Wirkung ist schwach.
Namensplatte "Platz des europäischen Versprechens":
"Leyla Nar, Grazyna Goetz, Britta Hofmann, Sascha Höffken, Heinz Voss, Elke Krahn, Josef Schröder…"
14.726 Namen, weiß eingeschrieben in 21 graue Lavabasaltplatten. Die riesigen steinernen Namenslisten erstrecken sich kreuz und quer über den Vorplatz der Christuskirche Bochum. Eingelassen in den Boden, so dass man über sie drüberlaufen kann. Verwunderlich dabei: Die Namen bezeichnen keine Toten, sondern Lebende: Aus Bochum, aus dem Ruhrgebiet, aus ganz Europa. Sie alle haben ein Versprechen gegeben, das für ein gemeinsames Europa stehen soll. Für den Künstler Jochen Gerz ein "Anti-Monument" im öffentlichen Raum, das direkt auf das Lebendige verweist:
"Vorstellen, Imagination haben, Ideen haben, denken, empfinden können lebende Menschen. Und deswegen muss ich speziell für die ein Kleid bauen, was nicht von Toten getragen werden kann. Man kann nicht nur erinnern, man kann nicht nur das Leben in Stein gießen, man muss auch sich identifizieren mit den Zwischenstufen und dem allen, was zum Leben gehört, nämlich vor allen Dingen die Vergänglichkeit und der Wechsel."
Den Ausgangspunkt des Kunstprojekts bildet die "Helden-Gedenkhalle" in der Christuskirche Bochum. An den Wänden finden sich in schwarz-goldenem Mosaik zwei Listen verewigt. Sie stammen aus dem Jahr 1931. Auf der einen Liste: Die Namen von gefallenen Bochumern im Ersten Weltkrieg:
"Karl Almeroth, Heinrich Annercker, Richard Axmann, Emil Bade, Ernst Barndes, Hermann Becker…"
Die Versprechen bleiben geheim
Auf der anderen Liste: Die 28 Staaten, die Deutschland zu ihren Feinden erklärt hatte:
"Frankreich, Russland, Italien, Japan, Vereinigte Staaten von Nordamerika, England Belgien…"
Der Gedenkstätte der europäischen Feindschaft stellt Gerz einen Platz der bürgerlichen Teilhabe, der kollektiven Autorschaft, der Fantasien und Visionen entgegen. Menschen sollen als "Autoren" im öffentlichen Raum agieren, einem befreundeten, gewaltlosen Europa ihre Stimme geben. Die Versprechen bleiben allerdings geheim und unsichtbar, das eigentliche Kunstwerk entsteht erst in den Köpfen der Menschen:
"Jeder Mensch ist mehr als sein Name oder seine Schrift, oder das, was ich von ihm zeigen kann, nämlich er selbst, er ist kein transparenter Mensch. Nur in Diktaturen wird die Transparenz des Menschen gesucht. Der Mensch ist ein privater, ein intimer, ein kreativer, ein von mir nicht immer gewusster Mensch und dieses Vertrauen in meinen Nachbarn muss ich haben können, dass ich ihm vertraue, obwohl ich ihn nicht kenne."
Dieses skulpturale Bekenntnis zu Europa erscheint wichtiger denn je, gerade heutzutage, wo die Vision von einem gemeinsamen Europa angesichts der Flüchtlingskrise und rechtspopulistischer Nationalstaaterei bröckelt. Bei den Besuchern stößt der "Platz des europäischen Versprechens" auf ein geteiltes Echo:
"Dieses Projekt ist einmalig gut und verspricht Hoffnung für eine Zukunft, die wir in Europa brauchen. Nicht nur, dass wir näher zusammen rücken, sondern dass wir über die Grenzen hinweg Freunde werden."
"Das ist tatsächlich eine ganz populistische Geschichte, bei der eben die Quantität des Mitmachens weit, weit über dem steht, über die Qualität von irgendwelchen Aussagen. Es geht nur, wenn man’s böse will, um das Erstellen von Listen, ohne weiteren Inhalt."
Künstlerisch überzeugt der "Platz des europäischen Versprechens" tatsächlich nicht. Dazu verströmen die steinernen Namensplatten zu sehr die Aura eines Friedhofs. Die utopische Kraft der knapp 15.000 europäischen Versprechen wird kaum spürbar.
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