Einwanderung

Bulgaren sehen sich als Opfer

Die Fahnen von Rumänien (2.v.r) und Bulgarien wehen am 25.04.2005 in Sofia (Bulgarien) neben Flaggen der EU. Rumänien und Bulgarien sind seit 2007 in der EU. Doch die volle Freizügigkeit kommt für Arbeitnehmer aus den Ländern erst jetzt. Die Bürger der beiden EU-Länder genießen mit dem 1. Januar 2013 das uneingeschränkte Recht, in allen EU-Staaten einen Job zu suchen. EPA/VASSIL DONEV /dpa
Rumänien und Bulgarien sind seit 2007 in der EU. Doch die volle Freizügigkeit kommt für Arbeitnehmer aus den Ländern erst jetzt. © picture alliance / dpa
Marina Liakova im Gespräch mit Gabi Wuttke · 08.01.2014
Die populistische These der CSU, die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren führe zu Sozialbetrug, kommt in Bulgarien nicht gut an. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, sagt die Soziologin Marina Liakova. Vielen Europäern sei die tatsächliche Situation im Land gar nicht bewusst.
Gabi Wuttke: Die CSU in Wildbad Kreuth – auch dort streitet sie ab, die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren zu einem populistischen Spieß umgedreht zu haben. Wie wird das in Bulgarien diskutiert, wie sieht die Wirklichkeit aus und vor allem, was wissen Sie und ich eigentlich über Bulgarien? Fragen, die Marina Liakova beantworten kann. Sie ist stellvertretende Direktorin des Instituts für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft an der pädagogischen Hochschule in Karlsruhe. Einen schönen guten Morgen!
Marina Liakova: Guten Morgen!
Wuttke: Inwieweit widerspricht auch Ihre Forschung den Anwürfen der CSU?
Liakova: Die Darstellung der bulgarischen Migration in Deutschland wird sehr verkürzt angesehen auf diese Art und Weise, dass die meisten Migranten eben als Armutsmigranten wahrgenommen werden, und das entspricht überhaupt nicht unseren Daten, und die meisten Bulgaren sind in Deutschland beschäftigt oder studieren, und das Klischee, dass die meisten Bulgaren eben Armutszuwanderer sind, entspricht nicht den statistischen Daten.
Liakova: Also das ist eben der Punkt, dass die andere Sichtweise – die Sichtweise aus Bulgarien – ist, dass die meisten Bulgaren, die in Deutschland arbeiten, mehr oder weniger als Opfer angesehen werden, also diese These der CSU wird eben als eine These wahrgenommen in Bulgarien, die die bulgarischen Migranten ungerecht behandelt. Die Bulgaren werden als Opfer ungerechter Arbeitsbedingungen oder, wenn wir über Roma und Sinti sprechen, dann werden sie als Opfer von Trafikanten und von Netzwerken angesehen.
Wuttke: Was folgert denn daraus, was Sie über die Europäische Union denken im Verhältnis zu Bulgarien, ein relativ neues Land in der EU, das immer wieder kritisiert wird?
Wuttke: Was sagt denn die Statistik genau?
EU muss mehr tun für die Integration Bulgariens
Liakova: Als überzeugte Europäerin kann ich sagen, dass meiner Meinung nach die EU nicht alle Herausforderungen gemeistert hat in den letzten Jahren. Also ich finde, die EU hat mehr oder weniger erwartet, dass die europäische Integration anders verläuft, dass alles automatisch und einfacher verläuft. Das ist eben nicht der Fall, wie wir heute feststellen können.
Es sind weitere Anstrengungen notwendig, es sind gezielte Investitionen notwendig und es ist auf jeden Fall festzustellen, dass die europäische Integration intensiver werden soll, das heißt, die europäischen Institutionen sollen intensiver ihren Blick auf Bulgarien richten. Bulgarien scheint eben nicht unbedingt im Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit zu stehen, das gilt sowohl für die Europäische Union als auch für Deutschland.
Also die Problematik mit den Bulgaren in Deutschland, mit Sinti und Roma, die sich in Deutschland aufhalten, die ist keine neue. Sie wird aber jetzt gerade zum ersten Januar sehr stark ausdiskutiert, weil eben diese Einschränkung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt betrifft, aufgehoben wird.
Wuttke: Ist es denn vor allen Dingen Geld, das helfen würde – sind es nicht auch große atmosphärische Störungen zwischen Bulgarien und dem Gros der EU?
Soziale Situation in Bulgarien ist schlecht
Liakova: Ich würde nicht unbedingt über große atmosphärische Störungen sprechen, aber es ist auf jeden Fall eine Anspannung in Bulgarien festzustellen in der letzten Zeit, die soziale Situation in Bulgarien ist eine sehr schlechte, und das Problem ist natürlich – das ist wenig bekannt in Deutschland: In Bulgarien protestiert man gegen die Regierung mittlerweile seit sechs Monaten. Und das ist eine Situation, die wenig bekannt ist.
Die Aufmerksamkeit sowohl der deutschen Öffentlichkeit als auch die europäische Öffentlichkeit soll sich mit diesem Thema meiner Meinung nach intensiver befassen, denn das ist eine Lage, eine Situation, die nicht den Gegebenheiten, die eben in einem europäischen Land zu pflegen sind, entspricht.
Proteste in Bulgarien
Proteste in Bulgarien© picture alliance / dpa /EPA
Wuttke: Jeden Abend wird in Sofia protestiert. Und mal für den Hintergrund: Im Mai wurde die konservative Regierung durch eine sozialdemokratische abgelöst, aber der Protest ist erhalten geblieben – das in einer Gesellschaft, in der es eine hohe Arbeitslosigkeit gibt. In welcher gesellschaftlichen Situation, in welcher sozialen Situation befinden sich die Bulgaren?
Meinungs- und Pressefreiheit sind eingeschränkt
Liakova: Die Bulgaren befinden sich momentan in einer sehr schwierigen sozialen Situation, in manchen Kommunen, in manchen Städten betrifft die Arbeitslosigkeit 60 Prozent. Das ist eine Lage, die kaum zu ertragen ist, und diese Lage erhöht zusätzlich den Migrationsdruck. Und diese Situation ist nicht nur durch finanzielle Hilfe hier von der Europäischen Union zu lösen, sondern man braucht natürlich auch eben den politischen Druck auf die Regierung von außen, denn die Gelder, die eben in Bulgarien investiert werden, die versickern zum Teil in dubiosen Netzwerken.
Das ist schwierig nachzuweisen, also im juristischen Sinne schwierig nachzuweisen, aber das ist auch, und viele Journalisten haben das auch nachgewiesen und überprüft, … Leider ist die Situation in Bulgarien in dieser Hinsicht auch eine sehr angespannte. Auch die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit sind nicht auf einem besonders guten Niveau, das kann man auch feststellen.
Wuttke: Die Protestbewegung – wie schätzen Sie sie denn ein? Hat sie die Kraft, dass sie tatsächlich etwas in Bulgarien verändern kann?
Liakova: Das ist eine sehr komplexe Frage. Die Protestbewegung hat schon einiges bewirkt, vor allem hat sie bewirkt, dass die Menschen miteinander kommunizieren und sich mit der politischen Problematik befassen. Viele Bulgaren waren sehr skeptisch und sehr desinteressiert, was die Politik betrifft, sie haben sozusagen das politische Feld den Eliten überlassen und sie haben so gut wie nur drauf gewartet, dass sie die politische Agenda bestimmen und ohne dass sie sozusagen den bürgerlichen Druck, den Druck der zivilen Gesellschaft spüren.
Und das ist nämlich ein großes Problem gewesen. Heutzutage kann man feststellen, dass die Protestbewegung eben diese Kommunikation zwischen den Bürgern sehr gut, in sehr gutem, sehr positivem Sinne beeinflusst hat. Dass aber die Regierung geändert wird beziehungsweise dass die Regierung zurücktritt, das wird möglicherweise diese Protestbewegung nicht schaffen, zumindest nicht in absehbarer Zeit.
Blick auf Bulgarien richten
Wuttke: In der Ukraine sind Verhältnisse, die die EU-Politiker dazu veranlasst haben, auf die Zivilgesellschaft zuzugehen. Könnte das den Bulgaren helfen?
Liakova: Das könnte den Bulgaren helfen, allerdings sind die Fronten in Bulgarien sehr verhärtet. Also ich kann natürlich nur appellieren: Das, was Bulgarien wirklich helfen würde, wäre, dass eben die europäischen Institutionen und aber auch die deutschen Institutionen nach ihrer Möglichkeit ihren Blick auf Bulgarien richten und mehr oder weniger nach Möglichkeiten auch politischen Druck ausüben. Diese Aufmerksamkeit von außen ist von großer Bedeutung.
Wuttke: Sagt im Deutschlandradio Kultur die Soziologin Marina Liakova. Besten Dank dafür!
Liakova: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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