Einwanderer

Mit russischen Schlagern durch die Nacht

Yuriy Gurzhy (l.) und der Autor Wladimir Kaminer haben die Reihe Russendisko erfunden.
Yuriy Gurzhy (l.) und der Autor Wladimir Kaminer haben die Reihe Russendisko erfunden. © dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Von Jonathan Scheiner · 02.05.2014
Der ukrainische Musiker Yuriy Gurzhy hat gemeinsam mit dem Autor Wladimir Kaminer die legendäre Berliner Russendisko gegründet. Wie nur wenige junge Künstler repräsentiert Gurzhy die jüdischen Auswanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.
Yuriy Gurzhy ist Kult – und das spätestens, seit er mit dem Autor Wladimir Kaminer die legendäre Russendisko gegründet hat. Mit Schlagern aus der ehemaligen Sowjetunion, die Gurzhy bei seiner Übersiedelung aus der Ukraine mit im Gepäck hatte, bringt er das junge Berliner Partyvolk dazu, nach seinem Takt zu tanzen. Über die Jahre ist die Russendisko derart in Mode gekommen, dass nicht nur das Kaffee Burger in Berlin-Mitte aus allen Nähten platzt, sondern dass sie auch regelmäßig auf Tournee geht.
In Clubs, in Konzerthallen und sogar Klezmer-Festivals legt Gurzhy seine russischen Gassenhauer auf. Doch nicht nur deshalb ist Yuriy Gurzhy zum führenden Musikvertreter der sogenannten Kontingentflüchtlinge geworden, der jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion.
Gurzhy ist ein Hansdampf in allen Gassen, der immer gleich mehrere Projekte am Laufen hält. Eines davon ist seine Band Shtetl Superstars, das er mit Lemez Lovas betreibt, einem Ex-Mitglied der jüdischen Band Oi Va Voi aus London. Während sich das Gespann Gurzhy-Lomaz anfangs nur darauf beschränkte, andere spannende Bands ins Rampenlicht zu rücken, so besteht ihre neue CD "A Day in the Life" ausschließlich aus Eigenkompositionen. Darunter auch das Titelstück "Shtetl Superstars", bei dem Gurzhy in seiner Muttersprache Russisch rappt.
Seelenlage junger russischstämmiger Juden in Deutschland
Nach jüdischer Musik oder gar traditionellem Klezmer klingt das alles nicht. Das gilt auch für Gurzhys Band Rotfront, die er als Kollektiv mit dem Ungarn Shimon Wahorn betreibt. Die neue Scheibe heißt "17 Deutsche Tänze", was ironisch auf die "Zwölf Deutschen Tänze" von Haydn und Beethoven anspielt. Bei Rotfront wird mehr noch als bei Gurzhys anderen Projekten die Seelenlage des jungen russischstämmigen Juden im Deutschland der Nachwendezeit thematisiert. Dass diese Emigranten-Existenz kein Zuckerschlecken ist, das spiegelt sich in den meisten von Gurzhys Songs:
"Es ist auch die poppigste Musik, die wir je gemacht haben. Aber es gibt auch härtere Nummern, die nach Punk und Metal klingen. Aber auch Orchester ist drauf, es gibt Wagner-Zitate, es gibt chassidische Niggun-Melodien in Punk-Arrangements. Viel von osteuropäischer Volksmusik, egal ob man das jetzt Klezmer nennt oder Karpaten-Huzulenmusik nennt, von Beatles über Punk bis zu härteren Sachen wie Grunge-Sachen, mit denen wir mit Shimon eigentlich aufgewachsen sind. Das ist die Musik meiner Kindheit."
Jiddische Klassiker und deutsche Disko-Hits
Die ersten Lieder, die Yuriy Gurzhy als Fünfjähriger damals in seiner Geburtsstadt Charkiw gehört hat, das waren neben jiddisch-zionistischen Klassikern und den Barry Sisters vor allem deutsche Disko-Hits von Boney M. und Dschingis Khan. Sein Opa hat ihm die Songs auf einer Audio-Kassette vermacht, die Gurzhy bei seiner Übersiedelung nach Deutschland mitgenommen hat. Seither ist viel Zeit vergangen, doch als echter Deutscher fühlt sich Gurzhy noch immer nicht. Das gilt auch für die anderen Mitglieder seiner Band Rotfront.
"Überall wo wir hinkamen - wir, mit Ungarn, Bulgaren, Australiern, ukrainischen Juden in der Band - wurden wir als deutsche Band bezeichnet. Wir kommen an und ich hör die Russen sagen: Ja, die Deutschen sind da. Wir haben irgendwann verstanden, dass wir tatsächlich eine deutsche Band sind, obwohl wir eigentlich nicht nur auf Deutsch singen und viele von uns keine Deutschen sind. Aber im anderen Sinne sind wir eine Berliner Band, die auch viel in Deutschland spielt."
Über die Jahre ist Yuriy Gurzhy in Berlin heimisch geworden und er fühlt sich dort pudelwohl. Dem Vorurteil, die Deutschen seien ein wenig hüftsteif beim Tanzen, widerspricht er vehement. Und das macht er – wie immer – auf musikalische Weise und mit einem zarten Augenzwinkern.
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