Einstürzende Satzbauten

Moderation: Joachim Scholl · 23.03.2012
In seinem neuen Roman betreibt US-Autor Mark Z. Danielewski ein Verwirrspiel: Er wirft die Chronologie der Geschichte durcheinander, die Schrift steht zum Teil auf dem Kopf. Man müsse das Buch "mit Tempo lesen", sagt Danielewski. Er habe den Stil an jugendliche Lesegewohnheiten angepasst.
Joachim Scholl: Der amerikanische Schriftsteller Mark Z. Danielewski ist Jahrgang 1966. Zehn Jahre brauchte er allein für seinen ersten Roman, sechs weitere für den nächsten, und beide Bücher stellen alles in den Schatten, was die literarische Avantgarde in den letzten 100 Jahren so angestellt hat. ( ... ) Jetzt ist der Autor bei uns im Studio, willkommen im "Radiofeuilleton", welcome to Deutschlandradio Kultur, Mister Danielewski!

Mark Z. Danielewski: It's a pleasure to be here!

Scholl: Ich habe Ihren Roman brav nach Anweisung gelesen, von vorne, von hinten, das Buch bei jeder Seite umgedreht, weil die Schrift dann auf dem Kopf steht, alle acht Seiten habe ich das komplette Buch noch mal umgedreht und so die Geschichte gewechselt, ich habe mich mit der Lesebrille über die winzige Schriftleiste rechts gebeugt, die da abgedruckt ist - und ich muss gestehen, dass ich immer noch keinen blassen Schimmer habe, worum es in diesem Buch eigentlich geht. Helfen Sie mir?

Danielewski: Um es ganz einfach anzufangen, diese Geschichte handelt von zwei 16 Jahre alten Menschen, sie heißen Sam und Hailey. Sie begeben sich auf eine große Rundfahrt durch die Vereinigten Staaten, beginnend in Pennsylvania, dann über New Orleans, und dann im Gegensatz zu Huckleberry Finn verschlägt es sie den Missouri hinauf, bis sie in einen nördlichen Staat, vielleicht Montana, ankommen. Und obwohl diese Reise nur vier Monate zu dauern scheint, tritt etwas merkwürdiges ein: Es sieht so aus, als dauerte sie 200 Jahre und als würden da diese 200 Jahre Geschichte aufgearbeitet. Das scheint abwegig, dass 16 Jahre alte Menschen so etwas erleben, dass sie versuchen loszukommen, bis man schließlich merkt, das ist etwas, was die Jugendlichen in diesem Alter seit 200 Jahren alle erlebt haben - vielleicht sogar seit 2000 Jahren.

Scholl: Literaturwissenschaftler werden mit der Zunge schnalzen und rufen, hey, Ezra Pound, die "Cantos", oder James Joyce mit "Finnegans Wake" oder Arno Schmidt und "Zettels Traum" - ein normaler Leser, der vielleicht ratlos Ihr Buch in den Händen hält, könnte aber auch sagen: Dieser Autor hat einen Knall. Stimmen Sie eventuell beiden Seiten zu?

Danielewski: Ich würde sagen, man muss das Buch so lesen, wie es die jungen Menschen heute lesen würden, die 16 Jahre alten, die 20 Jahre alten Jungs, die lesen dieses Buch ohne ständige Rücksichtnahme auf dieses ganze literarische Gepäck, das wir mit uns herumschleppen. Natürlich ist das irgendwie da auch eingebaut, aber vor allem ist es doch ein großer Spaß. Da sind viele Wörter drin, die nicht im Wörterbuch stehen, aber man muss einfach ein Gespür für den Sinn bekommen, man muss sozusagen mit Tempo lesen, man muss das Buch schnell durchblättern und man muss all diese Kleinigkeiten überspringen. Und so lesen die jungen Leute heute: Alles verschwimmt, sie wollen schnell auf die Straße kommen, und dann heißt es nur los, los, los.

Scholl: Nun haben aber Sie, Mister Danielewski, ganz sicherlich dieses Gepäck auf der Schulter, es sind hochgebildete Anspielungen in diesem Roman und man sieht, dass hier ein Autor den Überblick über wirklich die gesamte Literaturgeschichte hat. Es liegt nun auf der Hand, dass Ihre Sicht auf die Literatur eine andere ist als die von - sagen wir, John Irving. Wie hat sich denn diese Vorstellung bei Ihnen entwickelt, und wie schreibt man dann ein Buch wie "Only Revolutions", also jetzt ganz praktisch mit einer speziellen Avantgarde-Software für verrückte Bücher?

Danielewski: Seltsame Bücher - Na ja, vielleicht wird man dieses Buch in 100 Jahren als ein Allerweltsbuch im Schrank verwahren. Angefangen hat das ganze ganz einfach mit Bleistift und Papier, mit schlichten Liebesgeschichten. Als ich für das erste Buch mich auf den Weg machte mit meiner Schwester, für "Hey Pretty", als wir uns mit Depeche Mode anfreundeten, da haben wir wirklich tausende von Kindern interviewt, und viele waren einfach begierig, irgendwie mit auf Tour zu gehen, vielleicht auch nur mal zwei obdachlose Kinder, die eben auch auf Reisen gehen wollten. Alles fing zunächst an damit, dass das auf Papier mit Bleistift niedergelegt wurde. Dann aber gingen wir mehr in die Tiefe. Unter diesen schlichten Geschichten tauchten kompliziertere Fügungen auf, das ganze gewann allmählich mehrere Dimensionen, und hier brauchte ich natürlich dann eine raffiniertere Technik. Am Schluss hatte ich sozusagen dann einen breiten Bildschirm, und ich habe dann die Creative Suite, eine Software verwendet. Das Einzige, was nicht möglich war, war, den Bildschirm zu drehen. Ich musste schließlich den Bildschirm wirklich auf den Kopf stellen und ihn mit Styropor abstützen, um den erwünschten Effekt zu erzielen.

Ja, dieses Wort "weird" oder "verrückt", das Sie verwenden, das gefällt mir, denn das Wort "weird" bedeutet eigentlich etymologisch schicksalhaft, verzaubert. Es kommt von dem alten angelsächsischen Wort für Schicksal. Und genau das habe ich auch, das Gefühl habe ich auch beim Schreiben des Buches, dass es irgendwie schicksalgeschwängert ist, und ich habe tatsächlich das Gefühl, dass man letztlich immer wieder bei Sam und Hailey ankommt, die eben "on the road", auf der Straße sind und wie ein schicksalsgefügtes Paar - ähnlich wie Romeo und Julia oder Tristan und Isolde - dann zuletzt auf einem Berg oben landen.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem amerikanischen Schriftsteller Mark Z. Danielewski über seinen Roman "Only Revolutions". Und weil hier gerade der Name Depeche Mode gefallen ist, muss man noch mal betonen, dass Mark Z. Danielewski wirklich im Vorprogramm von Depeche Mode, also dieser Mega-Band, aufgetreten ist zusammen mit seiner Schwester, die Musikerin ist, und dort aus seinen Büchern vorgelesen hat. Ihr Buch hat genau 360 Seiten mit exakt 360 Worten pro Seite und 36 Zeilen. 360, das ist der volle Kreis, 360 Grad - alles ist also ganz genau berechnet. Und man hat den Eindruck, als ob das Design, also die Form, genau so wichtig ist wie der Inhalt oder vielleicht sogar noch wichtiger, oder?

Danielewski: Das sieht immer irgendwie so aus, dass man eben das bemerkt. Es lässt sich vergleichen mit dem Betrachten eines neuen Autos in einem Autoladen. Was man zunächst sieht, ist der Lack, das ist vielleicht die Innenausstattung, das ist die Eleganz der Linienführung, man wird vielleicht auch die Haube öffnen und schauen, was er unter der Haube hat, wie viele PS er bringt, aber das alles verschwindet dann. Wenn man ein junger Mensch ist, dann weiß man das, und dann hat man diesen Drang, sich hinter das Lenkrad zu klemmen und loszufahren.

Scholl: Der moderne Mensch, Mister Danielewski hat ja ästhetisch doch sehr viel dazugelernt. Also wir schätzen abstrakte Malerei, wir hören abstrakte Musik, wir haben uns auch in der Literatur an moderne Erzählweisen gewöhnt, trotzdem lesen wir immer noch linear, also in zwei Dimensionen - Höhe, Breite. Sie sprechen nun von einem dreidimensionalen Roman. Ist das die Zukunft der Literatur, die Technik, die wir zu lernen haben?

Danielewski: Die Zukunft ist jetzt bereits, nehmen wir das Internet. Auch im Internet hat man sozusagen eine Geschichte, aber das ist es ja nicht, eigentlich. Es geht darum, diese Erzählstränge zu entziffern, sich selbst einen Reim darauf zu machen, in diesem Buch wird man immer diese Geschichte von Sam oder von Hailey haben. Beide Geschichten sind im Grunde schlicht erzählte linear aufgespulte Geschichten, denn sie gehen von einem Ort und enden dann an einem anderen Ort. Die entscheidende Leistung geschieht zwischen diesen beiden Fassungen der Geschichten. Es ist, als würde man eine Geschichte von der Mutter hören, eine andere Geschichte vom Vater, und als müsste man sich dann bemühen, irgendwo die Wahrheit, die dazwischen liegt, selbst zu erzeugen.

Scholl: Der Schriftsteller Mark Z. Danielewski und sein Roman "Only Revolutions". Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen, glänzend und vermutlich in härtester Arbeit übersetzt von Gerhard Falkner und Nora Matocza, zweimal 180 Seiten stark, insgesamt 360 wie gesagt, zum Preis von 24,95 Euro. Für uns hat dieses Gespräch übersetzt Johannes Hampel, auch ihm vielen Dank! Mister Danielewski, alles Gute Ihnen und herzlichen Dank für das Gespräch! Thank you for being with us!

Danielewski: It was a pleasure, thank you!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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