Einreiseverbote Russlands

"Dramatische" Reaktion auf "Schwarze Liste" lohnt nicht

Schild am russischen Außenministerium
Das russische Außenministerium hat der EU eine Liste mit Namen übergeben. © dpa/picture-alliance/Valeriy Melnikov
Susan Stewart im Gespräch mit Dieter Kassel · 01.06.2015
89 EU-Politiker, Beamte und Militärs haben laut einer "Schwarzen Liste" Einreiseverbot in Russland. Für Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist diese Liste einfach nur "ein weiterer Schritt in einer jetzt sehr schwierigen Beziehung".
Einreiseverbote nach Russland für 89 EU-Politiker, Beamte und Militärs - die sogenannte "Schwarze Liste" empört in diesen Tagen viele westliche Politiker. Für Susan Stewart, stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik, ist diese Liste jedoch keine Überraschung.
Berichten zufolge habe die Liste bereits seit einigen Monaten existiert, sagt Stewart. "Ich glaube, das ist einfach ein weiterer Schritt in dieser jetzt sehr schwierigen Beziehung", so die Russland-Expertin. "Ich glaube nicht, dass es lohnt, wirklich sehr dramatisch darauf zu reagieren."
Derzeit mit Russland nur "taktische Schritte in kleineren Bereichen" möglich
Vom Vorschlag, Russland wieder in die G7-Gespräche einzubinden, wie er unter anderem aus Kreisen der deutschen Wirtschaft laut wurde, hält Stewart wenig: Sie glaube nicht, dass man derzeit "auf der großen Bühne" mit Russland viel erreichen könne. "Denn es scheint nicht gewillt, Kompromisse einzugehen." Möglich seien derzeit eher "taktische Schritte in kleineren Bereichen", sagt die Politikwissenschaftlerin.
"Ich denke, es gilt vielleicht andere Kanäle zu suchen. Vor allem, was den Donbass angeht, da haben wir das Normandie-Format, da haben wir auch die sogenannte Kontaktgruppe, die von der OSZE geleitet wird."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Nachdem der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann eine Nacht am Moskauer Flughafen verbringen musste, weil ihm die Einreise nach Russland verweigert worden war, haben die russischen Behörden den betroffenen Staaten eine Liste zur Verfügung gestellt mit insgesamt 89 Politikern und hohen EU-Beamten, die in Russland unerwünscht sind. Für Moskau war das so eine Art diplomatische Dienstleistung, um Schicksale wie die von Wellmann in Zukunft zu vermeiden. Auf EU-Ebene hat das zu großer Verärgerung geführt. Heute wurde von mehreren EU-Vertretern eine Rücknahme dieser Einreiseverbote verlangt und festgestellt, man werde als Reaktion darauf russischen Politikern den Zugang zum EU-Parlament verweigern.
Was bedeutet nicht nur diese Liste, was bedeutet das regelmäßige Ausschließen Russlands auch aus Gesprächen wie zum Beispiel dem G7-Treffen, das am Wochenende in Deutschland stattfindet, für das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen, und wie könnten Gespräche, die es nicht mehr gibt, wieder in Gang kommen? Dazu jetzt bei uns Dr. Susan Stewart, sie ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Morgen, Frau Stewart!
Susan Stewart: Guten Morgen!
Liste existiert bereits seit Monaten
Kassel: Ein russischer Diplomat hat gestern gesagt, die Europäer benutzen die Einreiseverbote für ihre, Zitat, "politische Show", Zitat Ende. Ist das, was wir jetzt erleben, eine politische Show, oder ist das mehr?
Stewart: Also ich denke, es ist erst mal eine gewisse Empörung, allerdings glaube ich, dass eigentlich zu erwarten war, dass diese Liste kommen würde. Es gibt Berichte, dass diese Liste schon seit einigen Monaten existiert, und jetzt haben wir eben den Beweis dafür, dass es tatsächlich einige Leute gibt, die nicht nach Russland eingelassen werden.
Kassel: Halten Sie die Reaktion der Europäischen Union auf die Veröffentlichung dieser Liste für angemessen?
Stewart: Ich denke, dass es einfach wenig gibt, was man dagegen tun kann. Ich glaube, das war in der heutigen Situation zu erwarten. Das ist eine gewisse Reaktion vermutlich auf die Einreiseverbote, die die EU verhängt hat. Die EU hatte natürlich ganz andere Gründe. Aber ich glaube, das ist einfach ein weiterer Schritt in dieser jetzt sehr schwierigen Beziehung. Und ich glaube nicht, dass es lohnt, wirklich sehr dramatisch darauf zu reagieren.
"Business as usual" mit Russland geht derzeit nicht
Kassel: Wobei ja nicht völlig ausgeschlossen scheint, dass genau das passiert: Das wäre ja eine neue Stufe, wenn jetzt wiederum die EU tatsächlich sagt, wir lassen russische Politiker grundsätzlich nicht mehr ins EU-Parlament. Davon ist ja die Rede. Kann man denn aus dieser ständigen Zuspitzung, dieser Spirale noch irgendwie wieder raus?
Stewart: Ich denke, es gilt, die richtige Balance zu finden. Man sollte Russland immer noch sehr deutlich machen, dass sein Verhalten in der Nachbarschaft nicht angemessen ist und nicht akzeptiert wird. Das gilt sowohl für die Annektierung der Krim als auch für die Destabilisierung des Donbass. Und deswegen muss man schon gewisse Maßnahmen fortsetzen und eventuell verschärfen. Aber gleichzeitig müsste man auch das Gespräch suchen. Deswegen muss man versuchen, Kanäle aufrecht zu erhalten, aber eben die Botschaft ständig schicken, dass business as usual nicht gelten kann.
Kassel: Die Annexion der Krim, die Sie gerade erwähnt haben, und die Eskalation in der Ostukraine war ja der Grund dafür, dass Russland aus der Gruppe der größten Industrienationen ausgeschlossen wurde, dass es jetzt G7 wieder sind, nicht G8. Russland wird deshalb natürlich auch überhaupt nicht dabei sein beim G7-Gipfel in Elmau am Wochenende. Wie kann man denn da Wege offen lassen? Wäre es möglicherweise eine Lösung gewesen, zu sagen: Offiziell ist es nicht das achte G-Land, aber inoffizielle Vertreter dürfen meinetwegen als Beobachter dabei sein?
Stewart: Na, das würde ich nicht unbedingt unterstützen wollen. Ich denke, es gilt vielleicht andere Kanäle zu suchen, vor allem, was den Donbass angeht. Da haben wir das Normandie-Format, da haben wir auch die sogenannte Kontaktgruppe, die von der OSZE geleitet wird. Ich denke, was man jetzt erreichen kann, sind eher so taktische Schritte in kleineren Bereichen, und auf der großen Bühne glaube ich nicht, dass man in diesem Stadium mit Russland viel erreichen kann, denn es scheint nicht gewillt, Kompromisse einzugehen.
Die jetzigen Probleme wurzeln in der Vergangenheit
Kassel: Umgekehrt würde jetzt wahrscheinlich ein russischer Gesprächspartner, ein regierungsnaher, sagen: Die EU, die NATO und die USA sind nicht gewillt, Kompromisse einzugehen.
Stewart: Ja, das ist natürlich eine längere Geschichte. Ich meine, die Probleme, die wir jetzt sehen, ja, haben eine Vergangenheit. Man kann schon sich fragen: Wie war das eigentlich 1990, 1991? Hätte man das nicht alles anders regeln können? Aber man hat es nicht gemacht. Und ich sehe eigentlich nicht, dass die EU jetzt oder der Westen in der Schuld ist, dass Russland die Krim annektiert hat oder den Donbass weiterhin destabilisiert.
Kassel: Manche Menschen reden ja, was das Verhältnis des Westens zu Russland angeht, schon wieder von einer neuen Form des Kalten Krieges. Würden Sie so weit gehen?
Stewart: Also ich denke, das ist eine Mischung. Wir haben schon Elemente, die damals auch präsent waren, allerdings haben wir auch neue Elemente, die dazugekommen sind mit dem hybriden Krieg und mit der Propaganda, die jetzt einen noch etwas größeren Raum einnimmt, als es damals zumindest in bestimmten Phasen des Kalten Krieges der Fall war. Also man kann schon von den Zeiten des Kalten Krieges etwas lernen über die Instrumente, die wir jetzt brauchen, aber man muss auch darauf achten, was jetzt neu dazugekommen ist.
Lehren aus dem Kalten Krieg
Kassel: Was kann man aus den Zeiten des Kalten Krieges lernen über die Instrumente, die wir jetzt brauchen, wie Sie es gerade gesagt haben?
Stewart: Na ja, da hatten wir unterschiedliche Phasen und da hatte man auch versucht, eine Balance zu finden, also die Kontakte aufrecht zu erhalten, aber gleichzeitig deutlich zu zeigen, dass damals das System, jetzt das Verhalten Russlands nicht akzeptiert wird. Und ich denke, das müssen wir heute auch noch machen.
Kassel: Kann man denn auch aus möglichen Fehlern aus dem eigentlichen alten Kalten Krieg für jetzt was lernen?
Stewart: Ja. Man kann sicherlich nach Fehlern suchen. Und wie gesagt, also ich denke, man kann eben auf die Zeit der Wende zurückgehen und schauen: Also was wurde da versäumt und wie könnte man das jetzt anders machen? Allerdings denke ich, dass wir jetzt in einer Phase sind, wo wir erst mal abwarten müssen, wo wir erst mal Russland klar machen müssen, dass das, was jetzt läuft, nicht akzeptabel ist, und eine Phase abwarten, wo es tatsächlich möglich ist, über diesen größeren Sicherheits- und wirtschaftlichen Rahmen in Europa zu reden.
Abwarten, bis Russland sein Verhalten ändert
Kassel: Frau Stewart, das ist nicht Ihre Schuld, aber ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass mich unser Gespräch doch etwas pessimistisch macht, weil das klingt mir schon so, als ob Sie fest davon ausgehen, dass die jetzige Phase der, sagen wir mal, Abkühlung der Ost-West-Beziehungen weiter andauern wird und dass man das erst mal gar nicht ändern kann.
Stewart: Ja, davon gehe ich aus. Ich denke, die Probleme, die sich jetzt angehäuft haben, sind sehr gravierender Natur, und es wird nicht einfach sein, die zu lösen, und man wird vermutlich abwarten müssen, bis Russland bereit ist, zumindest etwas sein Verhalten zu ändern, und wir wissen nicht, ob das unter diesem jetzigen Regime möglich sein wird.
Kassel: Herzlichen Dank, Dr. Susan Stewart war das, sie ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke fürs Gespräch!
Stewart: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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