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Neue Software
Virtueller Zug im Lärmtest

Der Lärm vorbeifahrender Züge stört viele Menschen, die in der Nähe von Bahntrassen wohnen. Um Schienenlärm in Zukunft erträglicher zu machen, haben Forscher einen virtuellen Zug erschaffen. Das zentrale Testelement dabei: das Rollen des Zuges auf den Schienen.

Von Frank Grotelüschen | 29.10.2019
Rheinland-Pfalz, Osterspai: Ein Zug fährt im Rheintal an einer direkt am Gleisbett platzierten niedrigen Lärmschutzwand vorbei.
Ein zentrales Element von Zuglärm ist das Rollgeräusch: Es entsteht aus den Vibrationen der Räder, Schwingungen der Schiene und Schwingen der Bahnschwellen. Eine Software kann den Lärm simulieren. (dpa / Thomas Frey / dpa-Bildfunk )
Lärmsimulator - für Julien Maillard wäre das eine passable Berufsbeschreibung. Denn der Akustikingenieur vom Forschungszentrum CSTB im französischen Grenoble macht etwas hörbar, bevor es überhaupt existiert. Auralisation, so nennt sich das im Fachjargon.
"Es ist hilfreich, wenn man sich eine Lärmquelle schon vorher anhören kann, dann kann man sie sich besser vorstellen. Denn ein simpler Wert für einen Geräuschpegel sagt nicht jedem was. Mit Hilfe der Auralisation lässt sich bei der Planung etwa einer neuen Bahntrasse genauer herausfinden, wie groß die Lärmbelästigung sein wird."
Um einen Zug zu simulieren, greifen die Franzosen nicht wie üblich zu Mikrofonaufnahmen, die man anschließend per Software verändert. Stattdessen erschafft Maillards Team die Bahn von Grund auf im Rechner – ein komplett virtueller Zug. Der Vorteil: mehr Flexibilität.
"Wir können jede Art von Schienensystem simulieren - sogar, solche, die es gar nicht gibt. Zum Beispiel könnten wir statt Stahlschienen auch welche aus Gummi simulieren. Das werden wir zwar nicht machen, aber im Prinzip ginge das."
Rollgeräusche setzen sich aus drei Quellen zusammen
Bislang konzentrierten sich die Fachleute bei ihren Simulationen auf das zentrale Element – das Rollen des Zugs auf den Schienen.
"Das Rollgeräusch setzt sich aus drei Faktoren zusammen: den Vibrationen der Räder, den Schwingungen der Schiene und dem Schwingen der Bahnschwellen. Diese drei Quellen erzeugen unterschiedliche Frequenzen. Die Schwellen eher tiefe, die Schienen mittlere und die Räder hohe Frequenzen."
Das Besondere: Per Computer lassen diese drei Lärmquellen präzise voneinander trennen. Dadurch lässt sich zum Beispiel der Anteil der Räder isoliert hörbar machen. Und so hört sich der Anteil der Schienen an.
Damit lässt sich dann gezielt herumspielen: Ist es für einen bestimmten Streckenabschnitt akustisch von Vorteil, wenn die Schienen eher hart auf den Schwellen gelagert sind? Oder ist es besser, wenn man sie federt, etwa durch Gummipuffer?
Simulation zu 70 Prozent realistisch
Bleibt nur die Frage, die sich bei jeder Computersimulation stellt: Wie gut stimmt sie mit der Realität überein?
"Das haben wir überprüft, indem wir unseren Computerlärm den Aufnahmen eines realen Zuges gegenüberstellten. Beides haben wir mehreren Probanden vorgespielt - mit dem Ergebnis, dass sie den synthetischen Lärm zu 70 Prozent als realistisch erachtet haben. Und damit sind wir recht zufrieden."
70 Prozent - das heißt, dass die Simulation zwar recht passabel ist, aber durchaus noch Mängel zeigt. Das dürfte daran liegen, dass die Fachleute bislang nur die Rollengeräusche simuliert haben. Jetzt wollen sie auch den Rest virtuell nachbilden - den Antrieb, die Klimaanlage, die Bremskühlung, und: Jenes nervige Rattern, dass zu hören ist, wenn der Zug über eine Weiche oder eine Schienenverbindung brettert.
"Wenn wir diese stoßartigen Geräusche von Schienenverbindungen und Weichen simulieren können, dürften wir anderen Ansätzen überlegen sein. Denn diese Lärmquellen sind in den bisherigen Modellen nicht berücksichtigt."
In zwei Jahren soll die Software fertig sein, hofft Maillard. Dann könnte sie unter anderem helfen, neue Bahnstrecken akustisch gesehen möglichst erträglich zu machen.