Einflussreiche Künstlerdynastie

Rezensiert von Ulrich Mutz · 21.11.2005
Die Historikern Brigitte Hamann hat bereits 2002 eine Biografie Winifred Wagners vorgelegt. Darin wird Winifred Wagner nicht nur als Hitler-Freundin, sondern auch als Fürsprecherin ungezählter Juden dargestellt. In ihrem neuen Buch "Die Familie Wagner" eröffnet sie nun auch Seitenblicke auf andere, prominente und weniger prominente Mitglieder dieser deutschen Kunstdynastie.
"Abends in der 'grünen Linde'. Actuarius Wagner, ein exotischer Mensch, der Opitz, Iffland (...) copirt und zwar mit Geist – er scheint auch der besseren Schule anzuhängen, un poco exalt(ato) durch den Genuß des vielen Rummes..."

... notiert E.T.A. Hoffmann launig über Wagner senior: Friedrich Wagner, Leipziger Polizeiaktuar und Vater des Musikdramatikers. Bis in die Elterngeneration geht Brigitte Hamann in ihrer Familienbiographie zurück, ohne Informationen unkritisch zu übernehmen. Schließlich war die Bayreuther Überlieferung der Wagner-Vita nicht frei von Manipulationen.

So erfährt der Leser des Bändchens vielleicht zum ersten Mal vom vorehelichen Verhältnis der Wagner-Mutter Johanna Rosine mit einem Sachsen-Weimar-Eisenachischen Prinzen. Dass des Komponisten erste Frau Minna eine uneheliche Tochter hatte, die sie als Schwester ausgab - was Ehemann Richard übrigens wusste - war unter Kennern hingegen bekannt. Der kleine Abschnitt über Wagners Onkel Adolf, einen Bruder des Vaters, fällt demgegenüber etwas knapp aus: Hatte der bedeutende Intellektuelle doch einen prägenden Einfluss auf die geistige Entwicklung des jungen Wagner.

Der schwächere Teil des lesenswerten Buches ist das Kapitel über den Begründer der Dynastie selbst. Das ist freilich weniger der Autorin anzulasten, sondern liegt in der Natur der Sache: Auf 60 Seiten lässt sich einer Persönlichkeit wie Wagner schlechterdings nicht gerecht werden. Andererseits ist dieser Abschnitt unverzichtbar, erklärt er doch erst die enorme Wirkung, die auch seine weniger genialen Nachkommen ausübten - und die Anziehungskraft, die sie bis heute haben.

Als in den Jahren nach Wagners Tod in Venedig 1883 seine Festspiele drohten, dem künstlerischen Schlendrian anheimzufallen, nahm Witwe Cosima das Heft beherzt in die Hand, die illegitime Tochter einer französischen Gräfin und des Pianisten Franz Liszt.

"Cosima ist hier gesellschaftlich souverän; ..."

...bemerkt der weltläufige Graf Kessler;…

" ...eine solche Stellung ist einzig; die Fürstinnen, Botschafterinnen, Comtessen, Alles zittert vor ihr und wird rot vor Freude, wenn Cosima sie gnädig anredet. Diese gesellschaftliche Macht ist ebenso wunderbar wir ihre künstlerischen Leistungen."

Nämlich die der Regisseurin Cosima Wagner, die heute keineswegs mehr als bloß museal bewertet werden; allerdings galt unter ihrer autoritären Leitung die Maxime:

"Wir haben hier nichts zu erfinden, nur auszuführen."

Sohn Siegfried schritt auf dem Weg einer künstlerischen Modernisierung der Szene behutsam weiter – nicht ohne weltanschaulich einen kleinkarierten Antisemitismus zu pflegen. Den teilt auch seine junge Ehefrau Winifred – rettet aber zwischen 1933 und 1945 durch ihre enge Verbindung zu Hitler ungezählten Juden und anderen politisch Verfolgten das Leben.

Paradox: In dieser Zeit politischer Anhängigkeit erlebt Bayreuth mit den Inszenierungen des "Linken" Heinz Tietjen und des ebenfalls regimekritischen Bühnenbildners Emil Preetorius einen bis dahin nicht gekannten Modernisierungsschub. Die "Entrümpelung", die sie auf der Festspielbühne vollzogen, nahm im Neu-Bayreuth der Nachkriegszeit jedoch Wieland Wagner für sich in Anspruch - derselbe, der im NS-Staat noch gegen die beiden Künstler intrigiert hatte, weil sie seinen eigenen Ambitionen im Wege standen.

"Der Erbe reißt das Werk an sich,.."

...klagt Tietjen Ende 1948 über Wieland,…

" ...und die Bayrische Regierung fällt auf diesen übelsten aller Hitler-Günstlinge herein."

Ein Wendehals-Manöver anno 1945, das Brigitte Hamann da am Fallbeispiel Wieland Wagner beschreibt. Erneut hat die Historikerin Quellenforschung betrieben statt abzuschreiben oder gängige Urteile ungeprüft zu übernehmen. Weder wird nur schmutzige Wäsche gewaschen, noch werden Skandälchen unter den Teppich gekehrt.

Dass die Autorin in der Materie Wagner mit ihren künstlerischen Implikationen nicht ganz so tief drinsteckt wie in der Geschichts- und Zeitgeschichtsschreibung, wird aus ein paar marginalen Ungenauigkeiten deutlich, zum Beispiel wenn sie die Wagner-Tochter Eva fälschlich "Eva von Bülow" nennt. Kurzbiographien von Familienmitgliedern aus Seitenlinien und Anverwandten werden dagegen auch dem Wagner-Experten noch Neues bringen. Und der schlackenlose Stil der Hamann macht auch ihre Monographie über die Wagners zu einer gleichermaßen informativen wie flüssigen Lektüre.


Brigitte Hamann: Die Familie Wagner
Rororo-Monographie
Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek 2005
176 Seiten, 8,50 Euro