Einfallstor für Fake News

Wie über soziale Medien Kampagnen gesteuert werden

06:29 Minuten
Eine Frau schreit in ein Mikrofon auf dem ein Sticker mit der Aufschrift #kandelistüberall zu sehen ist.
Demonstration unter dem Motto #kandelistüberall". Dieser Protest wurde von einem neurechten Verein erst groß gemacht, so Autor Christian Fuchs. © picture alliance/Pacific Press/Michael Debets
Von Philip Banse · 25.03.2019
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Das Prinzip rechter Netz-Kampagnen ist immer ähnlich: Ein Thema finden, das Wut und Empörung schürt. Immer wieder reißerische Inhalte dazu in Umlauf bringen, so dass der Eindruck einer Massenbewegung entsteht. Dafür reichen oft nur wenige Accounts.
"Hallo! Hier spricht Radio Konservativ. Liebe Gutmenschen, liebe Befürworter offener Grenzen."
Dieses Video listet eine Reihe von Verbrechen auf, die angeblich von Migranten begangen wurden und warnt vor angeblich wachsender Kriminalität. Das Video wurde unter dem Stichwort – oder wie das in den sozialen Medien heißt: Hashtag – #Kandelistueberall verbreitet.
Im südpfälzischen Ort Kandel war ein 15-jähriges Mädchen erstochen worden von einem Mann, der wahrscheinlich aus Afghanistan stammt und mittlerweile wegen Mordes zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Der Mord wurde von rechten Gruppen genutzt, um Stimmung zu machen gegen Migranten.
Mit solchen Kampagnen versuchten international vernetzte Rechtsextreme Wahlen zu beeinflussen – auch in Deutschland, sagt die Extremismus-Forscherin Julia Ebner.
"Es ist auf jeden Fall eine neue Dimension, dass sie im Netz und vor allem auch in verschlüsselten Foren es schaffen, sich so stark zu koordinieren, dass sie wirklich dann gezielt in den sozialen Medien ihre Randideologien in den Mainstream befördern können, sehr gezielt sich Uhrzeiten ausmachen, Hashtags ausmachen, um teilweise auch die Algorithmen auszutricksen und den politischen Diskurs online zu bestimmen."

International vernetzte rechte Aktivisten

Ebern hat untersucht, wie Rechte im Netz versucht haben, die Bundestagswahl und die bayrische Landtagswahl zu beeinflussen. Es wurden teilweise einfach Inhalte der AfD geteilt, rechte Accounts haben Wahlmaterialen der Grünen verfälscht und verbreitet, in Foren wurde nach Material gesucht, das Grüne Kandidaten belasten könnte.
Christian Fuchs, Autor des Buchs "Das Netzwerk der Neuen Rechten", sagt: Kampagnen anlässlich der Europawahl habe er noch nicht beobachtet:
"Noch nicht. Wir warten aber im Grunde täglich darauf, dass es etwas Konzertiertes gibt, auch europaweit gesteuert."
Hinter diesen Kampagnen zu den bisherigen Wahlen in Deutschland steckten höchstwahrscheinlich keine staatlichen Akteure, so Extremismusforscherin Julia Ebner, sondern international vernetzte rechte Aktivisten und Verschwörungstheoretiker – die auf Youtube etwa feierten, dass Merkel nicht noch mal als CDU-Vorsitzende antrat:
"Das ist unserer Arbeit geschuldet. Den Stumpf Merkel haben wir jetzt ausgebrannt und wir müssen jetzt weitere Stümpfe ausbrennen."

"Die Bots halte ich für irrelevant"

"In Deutschland sind auf Twitter rund 15-20.000 Accounts, die rund um die AfD und die 'Identitäre Bewegung' vernetzt sind."
Sagt der Social-Media-Analyst Luca Hammer, der vor allem rechte Accounts auf Twitter beobachtet. Hinter diesen Accounts steckten in aller Regel Menschen, keine Software-Maschinen, so genannte Bots, die automatisch und tausendfach rechte Inhalte in die sozialen Medien posten.
"Die Bots halte ich für sehr irrelevant. Bei den großen Kommunikationsereignissen rund ums rechte Spektrum sind relativ wenig Bots aufgefallen."
In anderen Ländern spielten Bots jedoch eine wichtigere Rolle. Einige Untersuchungen, die Bots auch in Deutschland eine wichtigere Rolle beimessen, hätten unklare Kriterien und würden Bots sehen, wo keine Bots am Werk seien. Denn rechte Twitter-Accounts kommunizierten anders als demokratisch gesinnte Twitterer, sagt Hammer.
"Ich habe beobachtet, dass die rechten Accounts sehr monothematisch sind. Bei rechten Accounts fällt es auf, dass sie zum gleichen Thema auch sehr oft twittern. Obwohl es keine neue Information gibt, wird immer wieder der gleiche Inhalt weiterverbreitet. Das sieht dann aus wie ein Bot, ist aber oft ein Mensch."

#kandelistüberall wurde gezielt zur Marke gemacht

Wer die Aktivisten sind, die rechte Kampagnen im Netz lostreten, ist schwer zu sagen. Mal sind es Youtuber mit großer Reichweite, mal in Foren und geschlossenen Chats initiierte Aktionen, manchmal auch rechte Organisationen, sagt der Buch-Autor Christian Fuchs, und nennt als Beispiel den Verein "Ein Prozent".
"Dieser Verein macht kleine Initiativen groß, damit sie wirken, als wären sie mächtig. Zum Beispiel #kandelistüberall. Das ist ein kleiner Protestzug aus Rheinland-Pfalz, ist ein bisschen wie Pegida, nach einem Mord an einem Mädchen entstanden, von einer AfD-Politikerin ins Leben gerufen. Das hat nur ein paar Leute in Rheinland-Pfalz interessiert.
Durch 'Ein Prozent', durch diesen Verein, oder wie wir sie nennen: durch diese PR-Agentur für neurechte Ideen, die haben Videos gedreht, haben ganz viel getrommelt, und so ist das eine Marke geworden, die es in anderen Orten jetzt auch gibt. Das ist eine sehr, sehr wichtige Organisation, die in der breiten Öffentlichkeit noch gar nicht so wahrgenommen wird."

Algorithmen helfen den Netz-Kampagnen

Denn das Prinzip rechter Netz-Kampagnen ist immer ähnlich: Ein Thema suchen, das Emotionen wie Wut und Empörung hervorrufen kann. Die Angst vor dem Islam etwa ist da der wichtigste Treibstoff. Aus Foren und geschlossenen Chatgruppen werden dann reißerische, irreführende, verleumderische und falsche Bilder und Videos zu diesem Thema gepostet, immer und immer wieder, damit der Eindruck entsteht: Das Volk begehrt auf, eine Massenbewegung entsteht.
Dabei hat Julia Ebner für die Bundestagswahl gezeigt: Die Hälfte aller gemessenen Hass-Inhalte kam von nur fünf Prozent der analysierten Hass-Accounts. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke haben das Thema dann – zumindest in der Vergangenheit – oft weit oben in ihren Themen-Hitlisten angezeigt, den "Trending Topics" – was wiederum Anlass war, für etablierte Massenmedien darüber zu berichten.
Ziel erreicht: Thema gesetzt, Verunsicherung verstärkt, Debatte nach rechts verschoben. Die AfD sei selten Initiator, solcher Kampagnen, sagt Social-Media-Beobachter Luca Hammer.
"Aber sie sind sehr wichtige Multiplikatoren. Sobald dort ein paar Tweets zu einem bestimmten Thema sind und man abschätzen kann, ja, dort gibt es noch mehr Aufregung, kommen die AfD-Accounts und verbreiten das noch mal und das ist dann sehr oft der Zeitpunkt, wo das jeweilige Thema explodiert."
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