Einfaches Leben mit drei Kühltruhen

19.11.2012
Anni und Alois Sigl sind Selbstversorger in ihrem Dorf im Bayerischen Wald. Das Gemüse stammt aus dem Garten, das Fleisch aus der Hauschlachtung. Die Autorin Julia Seidel ist begeistert von diesem echten Bauernleben, das sie gemeinsam mit dem Fotograf Stefan Rosenboom dokumentiert hat.
Die beiden sind Mitte 70, wohnen in dem Bauernhaus, in dem Alois Sigl schon geboren wurde, und das sich seither kaum verändert hat: ein paar Zimmer, darunter ein Raum, der mit einem Holzofen beheizt wird, kein Bad.

Sie leben von 550 Euro Rente, ansonsten weitgehend von Selbstversorgung. Das Holz zum Heizen und Kochen stammt aus dem eigenen Wald, das Gemüse aus dem Garten, das Fleisch aus der Hauschlachtung, das Obst von den eigenen Bäumen und Sträuchern. Wichtig sind die drei großen Kühltruhen und genügend Lagerraum für die Äpfel.

Julia Seidel, die auch schon drei Filme über das Ehepaar gedreht hat, dokumentiert sehr eindringlich, begleitet vom Fotografen Stefan Rosenboom, das Leben der beiden anhand eines Jahresablaufs: Aufs Eingeschneitsein im Winter folgen die Frühjahrsarbeiten – Anni Sigl ist Meisterin im Veredeln von Obstbäumen und gefragte Spezialistin bei Pomologen aus ganz Nieder- und Oberbayern. Im Sommer werden die Fürchte geerntet und eingekocht und im Herbst die Tiere geschlachtet - Hühner, Enten und Gänse.

Seidl berichtet von Alois’ Scherenschleifkunst und seinen sich selbst angeeigneten technischen Fertigkeiten. Zeigt ihn beim Holzschlagen im Wald oder rauchend in seiner geliebten Sofaecke, aber auch die Frühaufsteherin Anni bei der Morgentoilette: In der spätherbstlichen Dämmerung vor dem Haus in einem Granitbecken, in dem sich das Quellwasser sammelt, während schon die ersten Schneeflocken fallen. In die eigenen Beobachten flicht sie geschickt die Erzählungen der beiden ein: von der Kindheit auf dem Dorf und einer Jugend voller Arbeit. Gefühle werden selten bis nie gezeigt – auch nicht den eigenen Kindern gegenüber.

Die Autorin will nichts romantisieren, aber sie ist so nah an dem Bauernpaar, oft so begeistert von Annis Lebhaftigkeit und Alois’ stiller Bauernschläue, dass sie das schlichte Leben der beiden dann doch zu sehr preist. Aber ist das einfache auch das gute Leben? Für das Ehepaar Sigl schon. "Uns langt das, was wir haben. Arm sind wir nicht", sagt Alois. Zweifellos führen die beiden ein Leben ohne Hektik und Konsumzwang, aber eben auch eines der Bedürfnislosigkeit aus Unkenntnis. Ihre Teilnahme an Kultur etwa beschränkt sich darauf, seit 1997 nahezu keine Folge der ARD-Vorabendserie "Verbotene Liebe" verpasst zu haben. Und so gerät dieses - über weite Teile gute - Buch ein wenig zum Abgesang auf die gute alte Zeit. Was auch schon die Art der Beschreibung zeigt: Sehr simplifizierend im bayerisch gemütlichen Tonfall gehalten, verbirgt sich dahinter eben nichts anderes als die Sehnsucht nach einer Welt, die im Zuge der Globalisierung verloren geht.

Von Günther Wessel

Julia Seidel, Stefan Rosenboom: Anni und Alois. Arm sind wir nicht. Ein Bauernleben
Ludwig Verlag, München 2012
200 Seiten, zahlreiche Fotos, 18,99 Euro