Einfach sicher sein

Von Axel Schröder · 23.08.2013
Wie unfreundlich und hasserfüllt manche Flüchtlinge in Deutschland empfangen werden, das zeigt sich gerade in Berlin-Hellersdorf. Aber es geht auch anders. Der Hamburger Verein "Brot und Rosen" bietet von Abschiebung bedrohten Menschen eine Zuflucht. Die wenigen Plätze sind begehrt.
Auf dem Computerbildschirm laufen die Bilder aus Berlin-Hellersdorf, ein Ausschnitt aus der Tagesschau. Pöbelnde Bürger, einer zeigt den Hitlergruß, ein anderer lässt seinem Hass freien Lauf:

Dietrich Gerstner, Mitglied des Wohnprojekts "Brot und Rosen" übersetzt ins Englische. Gerstner und seine Mitstreiter leben am Stadtrand Hamburgs mit Flüchtlingen zusammen. Mit Menschen wie Amini aus Libyen. Ein junger sportlicher Mann, geflohen vor dem Bürgerkrieg. Erst nach Italien, später nach Deutschland. Amini schaut abwechselnd auf den Bildschirm und zu Dietrich Gerstner.

Amini: "Das ist so unfair. Ja, unfair! Niemand von uns kennt die Zukunft. Aber die Geschichte kennen wir. Und wir wissen, dass viele Deutsche in Gefahr waren und dass sie deshalb überlebt haben, weil es Staaten gab, die ihnen aus humanitären Gründen geholfen, sie beschützt haben! Diese Menschen sollten sich das mal klar machen!"

Gerstner nickt. Und stoppt die Bilder vom Hellersdorfer Mob. Amini zieht die Brauen hoch, schaut ungläubig auf die eingefrorene Szene.

Amini: "Na klar überraschen mich solche Bilder. Aber es ist ja auch so: Wir wollen alle in Freiheit leben. Und in Europa leiden sehr viele Flüchtlinge, besonders hier in Deutschland. Viele leben in Lagern. 15, 20 Jahre lang. Junge Männer, die arbeiten wollen. Aber das dürfen sie nicht! Diese jungen Männer sollten arbeiten dürfen, sie können Steuern zahlen. Überall, nicht nur in Deutschland ist das so."
Gerstner: "Einerseits lesen wir in der Zeitung von Millionen Menschen auf der Flucht in Syrien. Dramatische Geschichten über Tote ohne Ende. Und dann kommen diese Menschen hierher nach Berlin, nach Deutschland und denken: "Hier kriege ich endlich Recht, hier kriege ich Sicherheit, hier kann ich durchatmen. Hier fängt ein neues Leben an! Und dann kommen sie in so einen Wohnblock. Und drumherum brüllen Menschen auf sie ein. – Es ist beschämend für mich, für uns. Und ich frage mich: was geht in denen vor? Das muss doch echt eine Re-Traumatisierung sein! Und ich glaube auch: da sind die null drauf vorbereitet, dass so etwas passieren könnte!"

Gerstner und Amini gehen in die Küche, bereiten das Abendessen vor, schneiden Gemüse, setzen Nudeln auf. Seit 15 Jahren gibt es die so genannte "Basisgemeinschaft Brot und Rosen". Katholische Wurzeln hat das Projekt, geht zurück auf das "Catholic Worker Movement" aus den USA. In den 1930er-Jahren entsteht die Bewegung und zieht seitdem immer neue Generationen an.

Viele Flüchtlinge, das zeigen die Fähnchen auf einer großen Weltkarte an der Wand, kommen aus Benin, Togo und Burkina Faso nach Deutschland. Für acht Flüchtlinge ist Platz im Haus. Finanziert wird die Hilfe durch Spenden und durch die Teilzeitjobs der deutschen Bewohnerinnen und Bewohner. Alle müssen mit anpacken. Denn "Brot und Rosen", sagt Gerstner, bietet keinen Hotelbetrieb, sondern intensives Zusammenleben. – Der Tisch ist gedeckt. Die jüngste Mitbewohnerin, Benita aus Honduras, darf die Glocke läuten, die die Wohngemeinschaft zum Abendessen ruft.

Fünf Minuten später sind alle versammelt. Zehn Erwachsene und drei Kinder sitzen am Tisch, zwei dampfende Kochtöpfe stehen in der Mitte, alle nehmen sich an die Hand:

"Guten Appetit, alle essen mit! Les Grands et les Petits! – Also, in den Töpfen ist eine Gemüsesuppe. Und auf den Blechen, das sind Rosmarinkartoffeln."

Dietrich Gerstner, einer der Gründer von "Brot und Rosen" lehnt sich nach dem Essen auf dem breiten Sofa zurück. Gerstner trägt die Haare kurz, Dreitagebart. Wache Augen. Vor zwei Jahren hat die Gemeinschaft zum ersten Mal eine Auszeit genommen, erzählt er. Denn das Leben mit den Flüchtlingen zehrt an den Kräften: Die Ängste der Menschen vor der Abschiebung, zähe Verhandlungen mit der Ausländerbehörde und manchmal eben auch die Ausweisung der Flüchtlinge – das alles erleben die Bewohner hautnah mit, so Gerstner. Und fährt sich mit Hand durch die krausen Haare.

Gerstner: "Das sind die beiden Kehrseiten das Erfüllende, das Belohnende, das Wertvolle in der Begegnung. Und auch der Frust! Ich bin jetzt eher nicht der Typ, der jetzt losgeht und Steine schmeißen würde. Aber manchmal fühlt es sich schon so an, dass man einfach schreien möchte. Wenn Entscheidungen gegenüber einzelnen Personen nicht nachvollziehbar sind. Im Grunde geht mir das auch so, dass ich die ganze Entwicklung unserer gesetzlichen Lage auch frustrierend empfinde."

So lange die Asylverfahren laufen, dürfen die Flüchtlinge in der Lebensgemeinschaft wohnen. Aber wenn die Anträge abgelehnt werden und kein Widerspruch mehr möglich ist, endet auch das Zusammenleben am Hamburger Stadtrand. Die Situation in Berlin-Hellersdorf erinnert Gerstner an die Stimmung Anfang der Neunziger Jahre, an Rostock und Solingen, an tatenlose, überforderte Polizisten und markige Politikersprüche:

Gerstner: "1992 lief es genauso: die Politik sagte immer: "Wir sind getrieben von den Ereignissen auf der Straße. Und sie haben permanent Öl ins Feuer gegossen. Und so erlebe ich es momentan in Ansätzen auch. Innenminister Friedrich klagt über hohe Zahlen und wir haben wir haben solche Probleme, Unterkünfte zu finden."

Gerstner wünscht sich mutige Politiker. Solche, die die Ängste der Menschen ernst nehmen. Die der Flüchtlinge und – ja, natürlich – auch die der Bewohner von Hellersdorf.
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