"einfach.Gottesdienst.feiern"

Von Ita Niehaus · 05.06.2010
Oft können Gottesdienste nicht mehr in allen Kirchen regelmäßig gefeiert werden, weil es am Geld fehlt oder weil die Gemeinden sehr klein sind. Wöchentlich ein gottesdienstähnliches Angebot in jeder der rund 700 Kirchen und Kapellen im Sprengel Hildesheim-Göttingen mit Hilfe von ehrenamtlichen Gemeindemitgliedern - das ist das Ziel der Initiative "einfach.Gottesdienst.feiern."
Die St. Johanniskirche in Göttingen. Rund 50 hauptamtliche und ehrenamtliche Mitglieder des evangelisch-lutherischen Sprengels Hildesheim-Göttingen stehen im Halbkreis vor dem Altar und feiern Gottesdienst. Das Besondere: Es ist ein sogenannter "kleiner Gottesdienst," ein Gottesdienst, der von Laien gestaltet wird. Landessuperintendent Eckard Gorka.

"Dass Laien, die normalen getauften Gemeindemitglieder, an einem öffentlichen Ort Gottesdienste halten, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Und so sensationell ist es ja gar nicht. Wenn eine Familie sich zu einer Hausandacht versammelt, passiert in der Familie nichts anderes als in der Kirche bei der Andacht in einem größeren Raum."

Eckard Gorka ist in Göttingen, um bei einem Workshop in der St. Johannis-Kirchengemeinde ehrenamtliche Gemeindemitglieder für seine Initiative "einfach.Gottesdienst.feiern" zu gewinnen. Sein Ziel: In jeder der rund 700 Kapellen und Kirchen im Sprengel Hildesheim-Göttingen soll einmal in der Woche Gottesdienst gefeiert werden.

"Das ist auch aus der Not geboren. Und Gottlob ist auch der Verheißungsaspekt dazu gekommen. Warum sollen wir aus der Not nicht eine Tugend machen? Warum sollen wir uns nicht auf die Kompetenz der Getauften neu besinnen?"

Teilnehmerin: "Ich bin hier, weil ich gesehen habe, in unserer Gemeinde geht der Gottesdienstbesuch zurück. Und ich möchte einfach so eine andere Form, die einen anspricht, wo wir Spaß haben und auch in die Tiefe finden. Und deshalb bin ich hier, um das als Laiin zu erfahren, wie ich einfach Gottesdienst feiern kann."

"Der Liturg liest, alle antworten und dann bitte ich, dass Sie die Kerze hier vorne hinstellen. Lassen Sie sich Zeit dabei, es geht darum, dass wir das auch wahrnehmen, wie hier vorne Schritt für Schritt ein Altar entsteht."

Auf einem Tisch im Gemeinderaum der St. Johanniskirche liegt ein weißes Tuch mit einer leuchtenden Kerze, aufgeschlagener Bibel und einem Kreuz. Projektleiter Pastor Rolf Sturm und Landessuperintendent Eckard Gorka stellen verschiedene Möglichkeiten vor, wie man "einfach.Gottesdienst.feiern." kann. Es wird nicht nur darüber geredet, es wird auch gleich ausprobiert.

"Am Anfang sprach Gott, es werde Licht... Und es wart Licht..."

Rolf Sturm: "Dann nimmt man einen anderen Eindruck mit. Das ist nicht nur Kopf, das ist Erleben, das ist die Erfahrung, wir können das, wir können das aus dem Stand, wir müssen das nicht vorbereiten, wir können gemeinsam Gottesdienst feiern. Ich glaube, da bleibt mehr hängen, als wenn ich hier viele gute Worte mache."

Ein Gottesdienst muss nicht das Hochamt am Sonntag sein mit Pastor und Predigt. Biblische Lesungen, Lieder und Gebete können schon ausreichen.

Eckard Gorka: "Der Charme liegt auch auf einfach. Ich kann mit meiner Sprache, mit meinem Glauben, meinen Erfahrungen, mit den Menschen, die ich kenne, weil ich hier lebe, gemeinsam Gottesdienst feiern. Das hat eine eigene Würde."

Rolf Sturm: "Die Frage muss heißen, was ist das jeweils für den Ort Stimmige? Was stimmt für die Leute, für den Ort, die Kirche? Ist sie groß, ist sie klein, kann man im Kreis sitzen? Deshalb scheue ich auch davor zurück, es gibt jetzt ein Modell 'einfach.Gottesdienst.feiern.' Es gibt viele Modelle."

Die Idee zieht Kreise. 17 Gemeinden machen bereits mit, zehn weitere kommen in diesem Jahr hinzu.

In der Kreuzkirchengemeinde in Lindau im Eichsfeld etwa bereitet seit zwei Jahren eine Gruppe von sieben Ehrenamtlichen in Eigenregie alle 14 Tage sonntags einen Gottesdienst vor: die sogenannte "Morgenandacht". Auch in Lindau entstand die Idee aus der Not: Der Pastor wurde schwer krank. Ein Sonntag ohne Gottesdienst - in Lindau unvorstellbar. Der Kirchenvorstand ergriff die Initiative. Zunächst mussten erst einmal Bedenken überwunden werden, erinnern sich Kirchenvorsteherin und Lektorin Monika Güll und Kirchenvorstandsmitglied Frank Ilse.

Monika Güll: "Kommen da überhaupt Leute, wenn der Pastor nicht da ist? Können wir das? Wie stehen wir da? Da war schon ne gehörige Portion Respekt bei dem einem oder anderen dabei."

Frank Ilse: "Wir hatten zwar vorher schon Lesungen mitgemacht, aber das war ja für uns alles Neuland. Wir mussten Begrüßungen machen, Vater Unser vor dem Altar war vorher nicht. Und da wir alle Laien sind, bis auf Frau Güll, waren wir etwas nervös."

Die meisten Mitglieder der Kreuzkirchengemeinde sind schon etwas älter. Das Konzept der Morgenandacht setzt daher vor allem auf klassische Elemente der Liturgie und traditionelle Kirchenlieder. Wichtig vor allem: Kontinuität. Die Gewissheit, dass die Morgenandacht regelmäßig alle 14 Tage stattfindet.

Monika Güll: "Das ist ein Gottesdienst, der aus der Gemeinde heraus entsteht. Es ist nicht ein Vorbeter vorne, ein Pastor, der alles auf die Gemeinde herabrieselt, sondern wir stehen zwar vorne als die, die den Gottesdienst vorbereiten, aber wir feiern mit der Gemeinde. Wir beziehen die Gemeinde auch mit ein mit den Fürbitten, insbesondere auch mit dem Singen der Lieder."

Zwei Gemeindemitglieder bereiten die Andachten jeweils zusammen mit der Lektorin vor. Das Gottesdienstbuch und Informationsmaterialien der Kirche geben dabei wichtige Inspirationen. Im Laufe der Monate sind die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe sicherer geworden.

Monika Güll: "Wir haben durchaus schon mal den Mut, neue, andere Elemente einzubringen, mal 'ne andere Einspielung zum Schluss, ein Lied vom Kirchentag. Gerade diese einfache Form des Gottesdienstes, die von Laien veranstaltet wird, lässt auch alles zu. Der normale Hauptgottesdienst ist streng strukturiert, hat wenig Möglichkeiten für Variationen. Und das sehen wir als unsere Chance, immer im Blick aber auch auf unsere Gemeinde, damit wir sie auch nicht überfordern."

Die Resonanz ist positiv. Es kommen genauso viele Besucher wie zum Hauptgottesdienst. Und auch der Pastor ist zufrieden.

Monika Güll: "Dass hier etwas gewachsen ist, dass er weiß, in der Gemeinde wird auch ohne ihn Gottesdienst gefeiert. Dass sich alle Kirchenvorsteher auch dazu bereitgefunden haben, das mitzutragen und daran auch gewachsen sind, das erfüllt ihn wirklich mit Freude."

Andere Gemeinden experimentieren mit neuen Formen. In der Marienkapelle in Schnedinghausen im Kreis Leine-Solling erklingen seit anderthalb Jahren jeden Freitagabend Taizeegesänge.

Alexandra Diekgerdes: "Taizee – das sind Gesänge, die sich immer wiederholen und die auch einen meditativen Touch haben, sodass man im Dunkeln singen kann, denn unsere Kapelle ist nur mit Kerzen erleuchtet. Und wir brauchen die Texte nicht, die können wir, die sind einfach."

Kapellenvorsteherin Alexandra Diekgerdes hat vor allem eine Erfahrung gemacht: Weniger ist mehr.

"Je weniger Worte man benutzt, umso mehr Raum lässt man für das Gespräch mit Gott, für Visionen, die entstehen, das Zwischenmenschliche, das man plötzlich fühlt. Wenn man gemeinsam ein Gebet spricht, da vibriert die Kirche sozusagen. Das ist das, was wir nicht mit Worten ausdrücken können, was dann entsteht."

Die Erfahrung zeigt: Die Initiative "einfach.Gottesdienst.feiern" ist keine Konkurrenz zum Hauptgottesdienst, sondern ein ergänzendes Angebot. Es fühlen sich oft ganz andere Menschen davon angesprochen. Viele von ihnen können mit der traditionellen Liturgie nur wenig anfangen, manchen ist der "normale" Gottesdienst zu lang oder die Uhrzeit am Sonntagmorgen passt nicht. Für Alexandra Diekgerdes ist die Andacht in Eigenregie eine Bereicherung.

"Es ist eine Art Beziehungspflege zu Gott eines Gläubigen. Wir pflegen unsere Beziehungen, weil uns das zu wenig ist, alle vier oder sechs Wochen Gottesdienst zu haben. Wir üben uns eigentlich eher im Glauben."

Doch es gibt auch Kritik. Von "Hilfspastoren" ist die Rede. Landessuperintendent Eckard Gorka und Projektleiter Pastor Rolf Sturm wollen das so nicht stehen lassen.

Eckard Gorka: "Hilfspastoren muss irgendwo so ein polemischer Kampfbegriff sein, den muss ich stark zurückweisen. Wir bauen auf die Kompetenz der Getauften, und Hilfspastoren ist ein Kampfbegriff, der sich bei jenen anlagert, die sagen, Lektoren und Prädikanten nehmen akademisch ausgebildeten Theologen ihre Kompetenz und ihr Arbeitsfeld weg. Das ist nicht so, wir werden auch in Zukunft Theologen und Theologinnen dringend brauchen."

Rolf Sturm: "Ich war in einer Gemeinde Pastor, da gab es acht Kirchen. Und es hat mich schon unter normalen Bedingungen mehr als einmal zerrissen, weil ich schlicht und ergreifend nicht überall sein kann. Wir waren auch damals schon darauf angewiesen, dass es an besonderen Feiertagen Lektoren und Prädikanten gab, die Gottesdienste gehalten haben. Ich hätte mich gefreut, wenn ich damals schon diese Idee gehabt hätte. Und ich hab jetzt festgestellt mit Freude, in der Gemeinde, wo ich vor 30 Jahren war, da passiert das jetzt."

Erfahrungen auszutauschen, Anregungen zu geben und Mut zu machen, dass die Initiative "einfach.Gottesdienst.feiern" Gemeinden eine Perspektive bieten kann, das war das Ziel des Workshops in Göttingen.

Alexandra Diekgerdes: "Es ist wichtig, dass man es nicht zu voll lädt, sich ein Grundmuster schafft, nach diesem Grundmuster den Ablauf bestimmt, aber viel Raum dazwischen lässt, dass jeder aus der Gemeinde auch was sagen und vorlesen kann. Ich denke, dann ist es auch keine Überforderung der Teilnehmenden."

Eckard Gorka: "Meine Hoffnung ist, dass wir in zehn Jahren soweit sind, dass viele Gemeinden diesen Verheißungscharakter erkannt haben, wir müssen nicht immer weniger werden, und von diesem Angebot reichlich Gebrauch machen. Und wenn es langsam wächst, sollen wir uns auch nicht über die Wachstumsgeschwindigkeit beklagen, wenn es denn dazu führt, dass wir verlässlich Gottesdienste in unseren vielen Sakralgebäuden anbieten können."

Wie schnell oder wie langsam die Initiative wächst, lässt sich nicht vorhersagen. Aber sie wächst.

Teilnehmerin: "Ich gehe jetzt mit dem Gefühl, richtig Lust bekommen zu haben, was zu machen. Gehe jetzt mit dem Gefühl, selbst wenn nicht viele Leute kommen, warum machen wir es nicht für uns?"