Eine Zauberwelt als Sado-Maso-Club

Von Bernhard Doppler · 05.04.2009
Die Angst des Mannes vor der ihn bezwingenden Frau steht als seelischer Konflikt im Mittelpunkt von Glucks Oper um die Zauberin "Armida". Der skandalberüchtigte Regisseur Calixto Bieito hat diese Vorlage an der Komischen Oper überdeutlich sexualisiert. Man mag es zur Grundsatzfrage stilisieren, ob man eine Oper als Softporno zeigen darf.
Torquato Tassos Erzählung von der Zauberin Armida, die zunächst den Kreuzritter Rinaldo mit ihrem Liebeszauber besiegte und kampfunfähig machte, war im 18. Jahrhundert ein überaus beliebter Opernstoff, und Christoph Willibald Glucks Version ist dabei wohl eine der ambitioniertesten. Gluck suchte nämlich mit seiner "Armida" in Paris die direkte Konfrontation mit Jean Baptiste Lullys gleichnamiger Oper, indem er wortwörtlich das gleiche von Jacques Rousseau hochgelobte Libretto von Philippe Quinot vertonte.

Im direkten Vergleich mit Lully wollte Gluck die alte Barockoper entthronen: Nicht eine an Bühneneffekten reiche Zauber- und Märchengeschichte steht bei Gluck im Mittelpunkt, sondern ein innerseelischer Konflikt: Die Angst des Mannes vor der ihn bezwingenden Frau, wobei Gluck die Zauberin gegenüber den früheren Armida-Opern menschlich aufwertet. Wenn ich in die Hölle kommen sollte, erklärte Gluck, dann wegen des fünften Aktes von "Armida". Gluck fürchtete sich, dass er – unter christlichen Aspekten – in der Sympathie mit dieser Zauberin vielleicht zu weit gegangen sei.

Wenn Calixto Bieito "Armida" in seiner Inszenierung überdeutlich die Oper sexualisiert, unterstreicht er somit den tiefenpsychologischen Aspekt, den auch Gluck auslotet. Zwar ist Bieitos "Armida" keine Hardcore-Fassung, wie seine skandalberüchtigte, im Bordell spielende "Entführung aus dem Serail", die vor fünf Jahren in der Komischen Oper Berlin herauskam, sondern nur ein Softporno. Die Zauberwelt Armidas ist in eine Art Sado-Maso-Club verlegt. Auch agieren nicht professionelle Berliner Prostituierte wie in der "Entführung", sondern 14 splitternackte Statisten der Komischen Oper, die auf allen Vieren als Hunde von den Dominas traktiert werden. Wenn sich Armida kurzfristig mit dem Hass (Maria Gortsevakaya) einlässt, dann geht man lesbisch zur Sache. Mittelalterliche Ritter als Sklaven der Frauen, und Kreuzfahrer, die sich durch Sexualität in ihrer Mission geschwächt fürchten, sind zwei Seiten einer Medaille.

Man mag es zur Grundsatzfrage hochstilisieren, ob man eine Oper als Softporno zeigen darf oder nicht – es gab die erwarteten Buhs für den Regisseur –, und ob man eine fast unbekannte Oper so gewaltsam aktualisieren darf. Bieitos Inszenierung unterstützt jedoch die leidenschaftliche, aber auch klug kalkulierte musikalische Interpretation durch Konrad Junghänel durchaus. Heftige Racheparolen des Chors wechseln mit innigen Stellen – ein oft tief berührendes Innehalten. Wie in Glucks berühmter "Orpheus und Eurydice", ja noch viel intensiver und in oft unerwarteten Weiterführungen, stürzt sich das Orchester in den Hades, in die "Unterwelt der Gefühle". Und vor allem: mit Maria Bengtsson bezaubert – auch in ihrer Sehnsucht – musikalische und darstellerisch in der Titelrolle.

Soll man den Schluss verraten, als der Kreuzritter sich wieder davonmacht? Also: Im Gegensatz zu Quinot - Gluck erhebt sich die Zauberin nicht Dämonen beschwörend und Medea-gleich in die Lüfte, sondern erschießt ihren Ritter. Die Frau – ein nicht zu lösendes, gefährlich bleibendes Rätsel.