Eine Welt ohne Masken

Von Natascha Pflaumbaum · 21.03.2009
"Angels in America" erzählt Geschichten aus verschiedenen Lebenswelten homosexueller Männer aus dem Amerika der Reagan-Ära. Die drei Hauptfiguren haben Aids und werden durch ihre Krankheit gezwungen, ihre Masken abzulegen. Regisseur Johannes Erath stellt sie auf eine graue Rampe mit direktem Zugang zum Jenseits.
"Tony Kushners 'Angels in America' gehörte zu den populärsten Theaterstücken der 90er- Jahre. Die daraus entstandene TV-Miniserie mit Al Pacino, Meryl Streep und Emma Thompson war umstritten, aber gilt unzweifelhaft als große (seltene) Fernsehkunst. Ob das Thema als Opernstoff taugt, hat der ungarische Komponist Peter Eötvös ausprobiert. Seine Oper 'Angels in America' wurde 2004 in Paris uraufgeführt. Nun war sie in Frankfurt im Bockenheimer Depot zu sehen."

"Hello and good morning" – so begrüßt der Rabbi gleich zu Beginn die Zuschauer und das dramatische Personal im Bockenheimer Depot zur ersten Szene von "Angels in America". Der Rabbi ist die schwarze Sängerin Christin-Marie Hill, die wie ein Superstar durch das Publikum auf die Bühne wandelt. Und prompt sind wir auf einer Beerdigung, auf der Walter seinem Freund Louis so nebenbei sein neues Ekzem am Arm zeigt: Karposi-Syndrom.

"Angels in America" von Tony Kushner erzählt Geschichten aus verschiedenen Lebenswelten homosexueller Männer aus dem Amerika der Reagan-Ära. Kushner hat sich dafür exemplarische Charaktere gesucht, wie den 30-jährigen, eigentlich ziemlich coolen Prior Walter. Er hat Aids, sein Freund Louis verlässt ihn, weil er mit der Sache nicht fertig wird.

Daneben gibt es den jungen Anwalt Joe Pitt, vermeintlicher heterosexueller Mormone, der mit Harper verheiratet ist, was ihn allerdings nicht davon abhält, nebenbei und heimlich seine schwulen Bekanntschaften zu pflegen. Harper ist Valium-abhängig, weil sie merkt, dass "irgendwas nicht stimmt mit Joe". Und dann gibt es da diesen überarroganten Topanwalt Roy Cohn, der das korrupte Rechtssystem der USA repräsentiert und dem in seiner wenig differenzierten Weltsicht ("fuck off", "piss off") die eigene HIV-Infektion nur als semantisches Problem erscheint. Er versucht seinen Arzt davon zu überzeugen, dass dieser ihm die Diagnose "Leberkrebs" stellt: klingt irgendwie sozial verträglicher.

Diese drei Tragischen und ihre nicht weniger tragischen Verwandten stellt der Regisseur Johannes Erath im Bockenheimer Depot Frankfurt auf eine graue schlichte Rampe, die himmelaufsteigende Ladebühne mit direktem Zugang zum Jenseits und schiefe Ebene inklusiver sämtlicher Ab- und Ausrutschmöglichkeiten im Diesseits gleichermaßen ist. Der Eisblock, auf dem die Bühnenbildnerin Stefanie Pasterkamp das Ekelpaket Roy Cohn auf einem rot-samtenen Empirestuhl platziert hat, und das weiße Krankenhausstahlbett möblieren das Grau nicht eben wohnlicher. So ist die Welt also, wenn man stirbt.

Diese Rampe ist zerschnitten durch einen weißen Catwalk, der sich in die Publikumsarena fortsetzt, sich auf der Bühne zu einer Showtreppe gen Himmel auswächst.

In 17 Szenen spielen sich nun die Dramen dieser Leute ab, denen allen eines gemeinsam ist: die Menschen werden durch ihre Krankheit gezwungen, ihre Masken abzulegen. Diese Wandler zwischen Leben und Tod sind umgeben von einer kosmischen Einsamkeit, pendelnd zwischen Träumen, Sehnsüchten und Halluzinationen, bevölkern die Menschen dieser Aids-Welt gegenseitig die Fantasien der anderen. Seltsame Illusionen werden da entwickelt, wenn Walter in einer Halluzination von Harper auftritt. In dieser Transzendenz liegt ihre einzige Nähe zueinander.

Die Musik von Peter Eötvös kostet gerade solche Momente aus. Nicht eben auf konventionell Sinfonisches ist das Klangbild ausgerichtet. Das Orchester – durch zwei Keyboards, Gitarren, Schlagzeug und Saxophon verstärkt, sucht vor allem einen Klang, der die Transformation in das Jenseits darstellt, nicht illustriert, sondern als Klang materialisiert. Harpers Drogenwahn, Walters Halluzinationen, seine Engelserscheinungen: Eötvös baut mal flirrende, mal choralartige, mal fies klirrende Klangschwaden, die Witterung mit dem Jenseits aufnehmen, dann wieder als leicht verändertes Echo im Jetzt widerhallen.

In den dramatischen kammerspielartigen Singszenen fühlt er klanglich den Sprechmelodien des Amerikanischen nach und entwickelt so Gesänge, die mal Secco-Rezitative mit Gitarren-Accompagnato, dann wieder große Arie sind. Der Dirigent Niels Erikson ist gewandt genug, die Musik in den Fluss zu bringen, der dem Erzählen der Geschichte einen Boden bereitet. Sein Dirigat, die Darbietung der Musiker, die exzentrische Gesangsleistung der acht Solisten: Man spürt, dass diese Klangsprache hier absolut verinnerlicht wurde. Nur deshalb berührt diese Inszenierung so sehr.