"Eine unglaublich geradlinige Person"

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Gabi Wuttke · 25.02.2010
Katrin Göring-Eckardt, Präses der EKD-Synode und Grünen-Politikerin, bedauert den Rücktritt der Ratsvorsitzenden Margot Käßmann. Jetzt gehe es darum, "Aufbruch zu organisieren", sagte die Bundestagsvizepräsidentin.
Gabi Wuttke: Margot Käßmann hat alle Ämter fahren lassen. Sie ist als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zurückgetreten und als Bischöfin von Hannover. Fragen von Journalisten ließ sie nach dieser Entscheidung nicht zu, sondern verlas eine Erklärung.

Margot Käßmann: Am vergangenen Samstag habe ich einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue, auch wenn ich ihn bereue aber, kann und will ich nicht darüber hinwegsehen, dass das Amt und meine Autorität als Landesbischöfin sowie als Ratsvorsitzende beschädigt sind. Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so, wie ich sie hatte.

Wuttke: Margot Käßmann hat Verantwortung übernommen. Katrin Göring-Eckardt ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und damit auch Mitglied im Rat der EKD und jetzt ist sie am Telefon. Guten Morgen!

Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: War der Rücktritt aus Ihrer Sicht notwendig?

Göring-Eckardt: Wir haben Margot Käßmann ja als Rat, ich auch persönlich, darum gebeten, sich diesen Schritt zu überlegen, wir haben sie gebeten, als Ratsvorsitzende weiter mit uns zusammenzuarbeiten. Ich hätte mir das sehr gewünscht auf der einen Seite, auf der anderen Seite ist sie einfach auch eine unglaublich geradlinige Person, die für sich entschieden hat, dass es für sie nicht anders geht. Das respektiere ich, auch wenn es mich sehr traurig macht.

Wuttke: Mit welchem Argument hätten Sie sich denn gewünscht, sie halten zu können nach diesem Delikt, von dem man ja sagen muss, es ist ein großer Fehler gewesen?

Göring-Eckardt: Es ist ein großer Fehler gewesen, es ist auch nicht irgendwas, und ich habe auch deutlich gemacht, dass es nicht geht, dass man mit 1,5 Promille Auto fährt. Das sieht Margot Käßmann zuallererst, am allermeisten natürlich auch selbst so, und man hat ja auch gemeinsam überlegen müssen, wie man damit umgeht.

Die Frage ist, ob das trotzdem möglich gewesen wäre, das Amt der Ratsvorsitzenden weiter zu bekleiden, was anderes konnten wir ja nicht entscheiden. Über das Bischofsamt entscheidet ja die Hannoversche Landeskirche. Ich hätte mir da Wege vorstellen können, aber ich sage noch mal: Auch wenn es mich traurig macht – es macht sehr, sehr viele übrigens traurig, ich habe gestern ganz viele Reaktionen bekommen, besonders von Frauen, die das sehr bedauern, weil sie in Margot Käßmann auch eine Vorbildfrau, eine Frau, die bereit ist, auch zu kämpfen, auch für ihre Sache zu kämpfen, sehen –, auch wenn mich das unheimlich traurig macht, ich respektiere das und kann diesen Schritt auch verstehen, wenn sie sagt: Ich kann nicht mehr so klar und so geradlinig über bestimmte Fragen reden, wie ich mir das nur vorstellen kann, wie ich das wollen würde in diesem Amt.

Wuttke: Welchen Weg hätten Sie sich denn vorstellen können, ihr zu eröffnen, wenn sie ihn denn hätte gehen wollen?

Göring-Eckardt: Das war ein Gesprächsgang, und wir haben darüber geredet, wie das gehen könnte. Wir haben dafür keine Lösung gehabt am ersten Tag sozusagen, wir haben nur den Willen gehabt, eine zu finden. Und alle Ratsmitglieder, die mit ihr gemeinsam telefoniert haben, haben das auch deutlich gemacht, dass so ein Weg aus unserer Sicht möglich gewesen wäre.

Aber ich sage noch mal: Ich glaube auch, dass es auch ein deutliches Zeichen ist für meine Kirche, was Margot Käßmann gemacht hat. Margot Käßmann hat auch gesagt: Ich möchte gerne, dass meine Kirche auch nach außen zeigt: Man muss nicht nur einen Fehler eingestehen und bereuen, sondern gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Sie hat eine extrem harte Konsequenz gezogen, für uns alle, aber das zeigt eben auch, wie sie auch als Person, auch als glaubwürdige Person dann mit so was umgeht.

Wuttke: Wir haben es von Margot Käßmann selbst gehört, Sie haben es eben angesprochen: Sie hat als Grund für Ihren Rücktritt angeführt, als Würdenträgerin nicht angreifbar sein zu wollen. Andererseits ist ihr Motto ja: Jeder Mensch macht Fehler. Ist sie, Frau Göring-Eckardt, Ihrer Ansicht nach eigentlich doch eine Perfektionistin?

Göring-Eckardt: Na, Margot Käßmann ist schon jemand, der immer versucht hat, das Beste zu geben und immer versucht hat, in allem, was sie tut, richtig, richtig gut zu sein. Ob man da jetzt Perfektionistin dazu sagen muss, weiß ich nicht, weil sie natürlich auch immer jemand gewesen ist, der sagt: Auch mir passieren Fehler, und sie ist auch immer jemand, der gesagt hat: Ich möchte gern im Team spielen. Und ich glaube, dass Menschen unterschiedliche Begabungen haben, und die müssen auch zum Einsatz kommen.

Wuttke: Viele lobende Worte von Ihnen für Margot Käßmann, auch vonseiten des Rats der EKD nach dem Rücktritt hat es großes Lob für sie gegeben, für ihre Entscheidung, für den Menschen Margot Käßmann mit all ihren guten Eigenschaften. Aber trotzdem stellt sich für einige Beobachter die Frage, warum dieses Lob, dieser Rückhalt in den Stunden fehlte, bevor sie ihren Rücktritt verkündet hat, Klammer auf also: War der Rückhalt des Rats der EKD genug?

Göring-Eckardt: Der Rückhalt war sehr, sehr eindeutig und er war trotzdem so, dass wir gesagt haben: Wir wollen ihr die Freiheit der Entscheidung auch überlassen. Und das ist in unserem Kreis sehr deutlich gewesen, und ich hatte den Eindruck, dass Margot Käßmann das auch sehr gut verstanden hat.

Es haben sie sehr, sehr viele gebeten, nicht nur in dem Kreis des Rates, sondern eben auch noch mal persönlich, individuell, es haben sie ganz viele Menschen ja auch von außen gestützt und unterstützt und insofern – ich glaube, das hat nicht mit dem angeblich fehlenden Rückhalt zu tun, sondern es hat mit ihrer Person zu tun, dass sie als Person sagt: Für mich ist Geradlinigkeit gerade in einem solchen Amt so wichtig, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass ich anders handle, als ich handle.

Und das war für sie dann nach wenigen Stunden, nach wenigen Tagen einfach sehr, sehr klar, und das hat sie deutlich gemacht und da haben auch alle Überredungsversuche, Weg suchen und so was nichts mehr geholfen. Und das ist die Stärke ihrer Person, und mit dieser Stärke ihrer Person hat sie das entschieden.

Wuttke: Das heißt, so erklärt sich auch, warum sie gestern in ihrer Erklärung den Rat überhaupt mit keiner Silbe erwähnt hat?

Göring-Eckardt: Das stimmt nicht, den hat sie erwähnt, aber das ist jetzt auch nicht die Frage, um die es geht.

Wuttke: Margot Käßmann hat an sehr verantwortlicher Position der evangelischen Kirche ein neues Gesicht gegeben, das so bis dato unbekannt war. Wie also jetzt weiter in schwierigen Zeiten ohne – und das meine ich jetzt gar nicht so salopp –, ohne dieses Zugpferd?

Göring-Eckardt: Wir haben eine große Aufgabe mit unserer Kirche, und einmal muss noch gesagt werden: Margot Käßmann ist Pfarrerin der Hannoverschen Landeskirche, sie wird an anderer Stelle für das arbeiten, wofür wir alle arbeiten, nämlich dafür, dass das Evangelium in die Welt kommt, dass Menschen getröstet werden und merken, dass das Christsein sie erleichtert und nicht beschwert. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt.

Wuttke: Aber eben nicht mehr in der ersten Reihe.

Göring-Eckardt: Nicht mehr in der ersten Reihe, das ist für uns, das muss man auch unumwunden sagen, keine leichte Situation, und wir haben eine große Aufgabe, die heißt, Aufbruch zu organisieren. Wir haben eine lange, wunderbare Tradition als evangelische Kirche, die gilt es zu bewahren, aber es gilt natürlich auch, an vielen Stellen sich auf neue Situationen einzustellen.

Es gilt, vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass wir wirklich Kirche sein können, dass wir Kirche sein können, die natürlich Zeitansagen macht, die natürlich ein gesellschaftliches Wächteramt hat – das ist auch Margot Käßmanns Stärke ja, deutlich zu machen, an welcher Stelle auch zu politischen, gesellschaftlichen Fragen eine klare Stimme der Kirche gebraucht wird. Das werden wir weiterhin tun, aber wir werden natürlich auch in einer Zeit, wo der demografische Wandel sich entwickelt, in einer Zeit, wo wir in Ostdeutschland in vielen ländlichen Regionen, auch in ländlichen Regionen in Westdeutschland, eine neue Situation haben, werden wir deutlich machen müssen: Wie wollen wir Kirche sein?

Wie wollen wir nicht eine Institution, sondern eine Gemeinschaft sein, zu der man kommt, wenn man sich besonders freut, wenn man heiratet oder ein Kind tauft, oder auch, wenn man eben in besonders dramatischen Krisensituationen des Lebens ist, oder eben auch, weil es einfach zum eigenen Leben dazugehört, jede Woche und auch jeden Sonntag?

Und da müssen wir hart für arbeiten, aber ich glaube, das, was uns Margot Käßmann aufgegeben hat und was auch nicht zurückzuholen ist, dass wir fröhliche Christenmenschen sind, die auch Kraft haben, auch aus unserem Glauben heraus Kraft haben, das zu schaffen, das werden wir nicht verlieren können.

Wuttke: Im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur: Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und Mitglied im Rat der EKD. Frau Göring-Eckardt, danke für dieses Gespräch und einen guten Tag!

Göring-Eckardt: Ich danke Ihnen auch, einen guten Tag!