Eine unbekannte Ära der Frauengeschichte

Rezensiert von Kim Kindermann · 18.05.2006
Frauen und Erfindungen, das passt in den Köpfen vieler Menschen immer noch nicht recht zusammen. Denn Erfindungen haben etwas mit Technik zu tun und sind daher - so das Klischee - eine Männer-Domäne. Dass das nicht stimmt, zeigt Deborah Jaffé in ihrem Buch "Geniale Frauen". Vom Kaffeefilter bis zum Scheibenwischer - Jaffé listet über 500 Erfindungen von Frauen auf.
Sie wollte sich nicht länger über den bitteren Geschmack des Bodensatzes im Kaffee ärgern und begann zu experimentieren: Sie rollte Löschpapier zu einer Tüte zusammen, steckte diese in einem Messingtopf, in dessen Boden sie zuvor Löcher gebohrt hatte und erfand so: den Melitta-Filter. Ganz unbescheiden trägt dieser seither den Namen seiner Erfinderin: Melitta Bentz. 1908 legte sie damit den Grundstein eines bis heute erfolgreichen internationalen Unternehmens.

Dabei ist Melitta Bentz kein Einzelfall: Die New Yorkerin Mary Anderson erfand kurzerhand den Scheibenwischer, nachdem ihr Fahrer bei Schneeregen mehrfach aussteigen musste, um die Frontscheibe zu säubern. Die englische Lehrerin Mary Brown präsentierte 1893 auf der Chicagoer Weltausstellung ihren patentierten Waschkessel, einen Vorläufer der heute gängigen Waschmaschine. Der Apparat, in dessen Mitte ein elektronisch-betriebener Propeller die Wäschestücke samt Wasser durcheinander wirbelte, wurde ein Verkaufsschlager.

Ebenso wie die weltweit erste Geschirrspülmaschine, die Josephine Cochran erfand. Ihre "Garis-Cochran Dish Washing Maschine" war innerhalb weniger Monate nicht mehr aus den Großküchen dieser Welt wegzudenken.

Deborah Jaffé räumt mit ihrem Buch "Geniale Frauen" auf mit dem Klischee, Erfindungen seien eine reine Männer-Domäne. Sie zeigt: Frauen haben - wann immer es ihnen möglich war - mächtig mitgemischt bei der Lösung von Problemen: Miederwaren, Büstenhalter, Schönheitspflege, sanitäre Anlagen, Küchengeräte, Spielzeuge, Architektur, Pädagogik und Medizin - kein Bereich, in dem Frauen nicht als Erfinderinnen tätig waren.

So war es Marie Curie, die die zerstörende Wirkung von Radiumbestrahlung auf Krebszellen erkannte und 1911 dafür den Physik-Nobelpreis erhielt. Fanny Smith und die Ärztin Astley Carrington bauten den ersten leichten und dazu noch formschönen Rollstuhl. Marion Donovan erfand die Wegwerfwindel. Stephanie Kwolek konzipierte Kevlar, eine stahlähnliche Faser, die seither für Autoreifen, Sturzhelme und kugelsichere Westen verwendet wird. Margarete Steiff erschuf mit ihren Teddybären einen Massenartikel, der bis heute der Inbegriff eines Stofftieres schlechthin ist. Wie auch die von Käthe Kruse entworfenen Puppen seit 1906 nicht mehr aus Kinderspielzeugläden wegzudenken sind. Helena Rubinstein eröffnete 1908 ihren ersten Schönheitssalon und legte damit den Grundstein für den großen international tätigen Beauty-Konzern. Und Maria Montessori revolutionierte mit ihren Ideen die Kindergartenerziehung.

Mehr als 500 Erfindungen von Frauen stellt die englische Sachbuchautorin und Malerin Deborah Jaffé in ihrem 240-seitigen Nachschlagewerk, in dem man gerne schmökert, vor. Und zwar deshalb, weil man eintaucht in eine relativ unbekannte Ära der Frauengeschichte. Eine Ära, die mit dem ersten einer Frau zugesprochenen Patent aus dem Jahr 1637 beginnt und 1914 endet und die beweist: Frauen haben schon immer die Welt verändert und verbessert – und zwar nicht nur in ihrer Rolle als Mutter, Ehe- und Hausfrau. "Ich wollte", so sagt die Autorin in einem Interview, "diese Frauen und ihre Erfindungen raus holen aus der Vergessenheit. Ich wollte ihnen ein Denkmal setzten." Und das ist ihr gelungen.

Akribisch hat sich Deborah Jaffé mehr als ein Jahr lang durch das Archiv des englischen Patentamtes gearbeitet, hat Akten durchwühlt und Sekundärliteratur zum Thema gelesen und musste dabei feststellen: Lange haben Frauen ihre Erfindungen unter dem Namen ihres Ehemannes angemeldet, denn erst mit dem Inkrafttreten des "Married Women Property Act's" von 1882 stand ihnen - unabhängig von ihren Ehemännern - eine eigene Entlohnung zu, wenn die Erfindung in Produktion ging. Zuvor haben nicht selten die Männer das Lob und den Lohn kassiert. Nicht alle waren so ehrenhaft wie Thomas Masters. Der Kaufmann aus Pennsylvania nannte, als er 1715 in London das Patent auf eine Getreidemühle anmeldete, unmissverständlich seine Ehefrau Sybillas Masters als Urheberin der Erfindung.

Was einen besonders freut an Deborah Jaffés gut geschriebenen und lehrreichen Buch, sind die äußerst skurrilen Erfindungen, die sie aus der Vergangenheit ausgegraben hat und die oft auch in Originalzeichnungen gezeigt werden: So etwa das pompöse Himmelbett, das Sarah Guppy patentieren ließ und das nicht nur zum Schlafen, sondern auch zum Sportmachen geeignet war. An dem stabilen Metallrahmen war - hoch über der Matratze - eine Turnstange befestigt und der Sockel des Bettes bestand aus ausziehbaren Treppe, die einem heutigen "Stepper" gleich, ebenfalls der körperlichen Ertüchtigung dienen sollten. Originell ist auch, dass Sarah Guppy bei der Patentanmeldung bereits 66 Jahre alt war. Und irgendwie macht gerade ihr Beispiel Mut, auch heute als Frau erfinderisch zu sein und technische Probleme zu lösen. Deborah Jaffé und ihr längst überfälliges Buch zeigen, dass es geht.

Deborah Jaffé: Geniale Frauen. Berühmte Erfinderinnen von Melitta Bentz bis Marie Curie
Übersetzt von Angelika Beck
Patmos Verlag, Düsseldorf 2006
239 Seiten, 29,90 Euro