Eine Suchmaschine für Twitter

Von Christine Kewitz |
Twitter ist das zur Zeit am schnellsten wachsende soziale Netzwerk. Stars, Sportler und sogar die deutschen Politiker haben mittlerweile das Potenzial der News-Plattform erkannt. Ein Berliner Start-Up-Unternehmen will von diesem Erfolg profitieren.
Torsten Müller ist Mitgründer des Berliner Start-Up-Unternehmens Tame, das sich mit einer eigentlich ganz einfachen Idee an den Twitter-Erfolg dran gehängt hat. Tame sortiert die Flut von Twitter-Nachrichten, kurz Tweets, die zu mehreren Tausenden pro Sekunde von den Twitter-Accounts der Welt abgeschickt werden. Es ist quasi eine Suchmaschine für Twitter.

Torsten Müller: "Wenn man eingeloggt ist, dann bekommt man erst mal eine Übersicht über das, was in den letzten 24 Stunden in seinem eigenen Twitter Netzwerk passiert ist. In meinem Fall habe ich jetzt hier die Top-Ten-Themen aus meiner Timeline, die Top-Ten-Nutzer aus meiner Timeline und die Top-Ten-Links, also sprich die Inhalte. Bei den Nutzern oder bei People ist es so, dass wir schauen, über wen wird gesprochen oder wer ist im Dialog. Das heißt also nicht, wer redet am meisten, sondern über wen reden die meisten."

Der große Unterschied zu anderen sozialen Netzwerken wie Facebook besteht darin, dass man mit Twitter relativ leicht an unglaublich viele Informationen kommt, meint der Medientheoretiker Stefan Heidenreich. Für ihn hat Twitter genau das Bewusstsein von öffentlichem Wissen, das unsere gegenwärtige Entwicklung kennzeichnet:

"Das ist, glaube ich, der einzige Unterschied und das ist eigentlich ein ganz spannender Unterschied, weil er wieder weg zeigt von der Privatheit, die sonst überall herrscht. Aber an einem bestimmten Punkt will ich einfach wissen, was die anderen wissen. Ich will gar nicht nur mein Zeug wissen, ich will wissen, was gewusst wird."

An dieser Stelle setzen Dienste wie Tame, Topsy oder Twimpact an. Der ungebremste Wissensstrahl, der ungefiltert durch einen Account rauscht, bekommt eine Ordnung. Die grundsätzliche Idee der Anbieter ist ähnlich, doch die Schwerpunkte unterscheiden sich. Tame ordnet die Ergebnisse zum Beispiel nicht chronologisch, sondern nach Relevanz. Je öfter eine Information weitergegeben wird, desto relevanter wird sie.

Ob man selbst der Meinung ist, dass Neuigkeiten zum Beispiel über Borussia Dortmund oder die Fernsehsendung Circus Halligalli relevant sind, spielt keine Rolle. Allein die Masse der weitergegebenen Tweets ist entscheidend.

Jeden Sonntag steigt zum Beispiel das Hashtag Tatort in die Twitter Top Ten. Grünen-Politiker weisen mit ihrem Account tatortwatch auf Bürgerrechtsverletzungen in der Sendung hin, andere Zuschauer suchen Logikfehler oder diskutieren über das unkonventionelle Vorgehen der Ermittler.

Torsten Müller: "Mit Twitter lässt sich halt für jedermann ein Kommunikationskanal mit theoretisch der kompletten globalen Öffentlichkeit aufbauen. Und davon profitieren natürlich sehr viele Künstler, Sportler, Stars und so weiter. Dann natürlich im zweiten Blick die Schnelligkeit. Also in punkto Medien, in punkto Journalismus ist es so, wenn man recherchiert, dass man dort am schnellsten Informationen findet. Wie jetzt beim Boston Marathon, dass da sehr sehr schnell irgendwelche Bilder kursieren, Augenzeugen lassen sich da schnell bekommen. Diese Zahl von Echtzeitinformationen gibt es sonst nicht."

Der Bedarf für eine Kontextsuchmaschine à la Tame ist scheinbar groß. Denn als die Gründer eine Crowdfunding-Kampagne für das Startkapital ins Leben riefen, erreichten sie bereits in den ersten 24 Stunden einen Betrag von 35.000 Euro. Außerdem gewannen sie einen dreimonatigen Aufenthalt im Silicon Valley, um ihren Markteintritt in die USA zu planen.

Wen diese Summen für einen damals noch nicht mal gestarteten Twitter-Zweitverwerter wundern, der muss nur ins Frühjahr 2011 zurückschauen, um sich die Relevanz des Kurznachrichtendienstes vor Augen zu führen.

Stefan Heidenreich: "Wozu es dann genommen wurde, war, um die politischen Bewegungen in Ägypten zu diskutieren, wo der springende Punkt dann nicht der war, dass sich irgendjemand in der Wüste verbrannt hat. Das ist zwar schlimm, aber das ist nicht der springende Punkt. Der springende Punkt war der, dass die Nachricht von dessen Verbrennung sich verbreiten konnte, dass die Regierung es nicht geschafft hat, in den neuen Kanälen die Verbreitung von dieser Nachricht zu unterbinden. Daraufhin war es klar, die Nachrichtenlage ist offen. Das heißt die Front ist gefallen, wir können auf einmal reden über, was wir wollen. Und die Tatsache war, dass das die Leute aufgeweckt hat. Das heißt, die Verbreitung der Nachricht war wichtiger als die Nachricht selber."

Wie es auch bei dem Anschlag in Boston noch einmal deutlich wurde. Auf einen falschen Verdächtigen wurde eine regelrechte Hetzjagd angezettelt und sogar CNN lieferte ungesicherte Twitter-Meldungen, die sich als falsch herausstellten.

Doch im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA, Brasilien oder der Türkei ist Deutschland noch ein Twitter-Entwicklungsland. Mit einem Wachstum von über 50 Prozent im letzten Jahr scheint sich das jedoch rasant zu ändern. Die nutzergenerierten Inhalte, also Inhalte, die nicht von den Anbietern eines Webangebots sondern von den Nutzern erstellt werden, sind gefragt.

Torsten Müller: "Da gab’s einen Zeitpunkt, wo auf Facebook zum Beispiel mehr user generated content, also nutzergenerierte Inhalte hochgeladen wurden, als auf Google Suchanfragen eingegeben wurden. Das war so der Zeitpunkt, wo man gesagt hat, jetzt ist das Web 2.0 quasi wichtiger. Was bei Google auch wichtig ist, dass die zum Beispiel kein Twitter indizieren, das heißt Informationen auf Twitter werden über Google nicht gefunden. Das heißt, wenn man diese Lücke, dieses Echtzeitnetz, diese hochaktuellen Informationen finden möchte, dann muss man auf Twitter gehen."

Man sagt, ein neues Medium braucht circa 20 Jahre, um sein eigenes Potenzial zu erkennen. Wenn man den Beginn des kommerziellen Internets auf Mitte der 90er-Jahre setzt, wäre das ungefähr jetzt. Twitter zeigt eine ungefähre Richtung, was World Wide Web wirklich bedeuten könnte. Welche eklatanten Veränderungen es für Meinungsfreiheit, Mitspracherechte und Informationsbeschaffung hat. Und durch Dienste wie Tame wird es auch noch benutzerfreundlich.