Eine Spritztour machen ...

Von Rolf-Bernhard Essig · 29.02.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Eine Spritztour machen, Ein Brett vor dem Kopf haben, Nur Bahnhof, Das kannste halten wie ein Dachdecker verstehen, Jemand ist ein schräger Vogel, Jemanden ins Bockshorn jagen, Mutterseelenallein sein u.a.
Eine Spritztour machen

Die beliebte Wendung scheint aus den Zeiten schlechter Straßen und schneller Fahrräder oder Autos zu kommen, ist aber viel älter. Das Wort "spritzen" hatte nämlich viel mehr Bedeutungen, als uns heute geläufig ist. So sprach man im militärischen Bereich, aber auch sonst, wenn eine große Menge Menschen rasch auseinander floh, von "spritzen". Wir kennen vielleicht noch, dass eine Masse auseinanderspritzt oder das man sie auseinandersprengt.

Diese Bezeichnung einer plötzlichen Auflösung der Menge durch Flucht mit dem Wort "spritzen" gibt es lange vor dem Dichter Jean Paul, der es u.a. verwendet. Studenten übernahmen im 18. Jahrhundert den Ausdruck "spritzen" dann als Bezeichnung dafür, einen Ausflug zu machen. Die "Spritztour" ist also eigentlich doppeltgemoppelt wie ein weißer Schimmel, schlicht eine Ausflugtour. Heutige Radrennprofis lassen freilich an Doping denken.

Jemanden über den Löffel balbieren / barbieren

Früher ging man zum Barbier, um sich die Wangen schaben zu lassen. Das war billig, gab dem Arbeit und für alle Gelegenheit zu einem Schwätzchen. So gingen erst recht alte Leute gern zum Barbier, zumal sie bei der Selbstrasur Probleme mit ihren Falten hatten. Ein Meister fuhr gekonnt die Konturen nach und schabte selbst in tiefen Hautvertiefungen die Härchen heraus, ein Lehrling dagegen machte es sich einfacher. Er schob dem Alten einen Löffel in den Mund, dreht die Rundung der Laffe nach außen, drückte von innen damit gegen die nun wieder jugendlich glatte Wange. Zunftgemäß oder höflich war so etwas nicht. So bedeutete der Ausdruck "jemanden über den Löffel balbieren / barbieren" zu Anfang "mit jemandem keine Umstände machen", "sich jemandem gegenüber rücksichtslos verhalten." Wohl im Zusammenhang mit Wendungen des 17. Jahrhunderts, in denen den Kavalieren auf Verführungstour empfohlen wurde, sich scharf, also besonders glatt zu rasieren, um eine Schöne nicht durch Pieksen zu vertreiben, ergab sich langsam die Bedeutungsverschiebung hin zum "betrügen, übervorteilen".

Ein Brett vor dem Kopf haben
Jutta M fragt: "Stimmt es, dass die Mayas sich ein Brett vor den Kopf gebunden haben, damit sie frühzeitig das Schielen lernen, was damals modern war. Außerdem galten die Nachfahren der frühen Mayas durch Inzucht als sehr dumm. Daher der Spruch: Der hat ein Brett vor dem Kopf. Stimmt das?"

Nein, das stimmt nicht, liebe Frau M., aber es gibt den schönen italienischen Spruch "se non è vero è ben trovato". Das heißt: "Ist es auch nicht wahr, so ist es gut erfunden." Ihre Geschichte hat viel für sich, aber die Wendung erklärt sich aus der heimischen Landwirtschaft, denn man legte Ochsen nicht nur ein Joch über den Nacken, um sie als Zugtiere zu verwenden, sondern brachte auch noch hölzerne Blendklappen an, um die Tiere handzahm zu halten. Wie bei den Scheuklappen der Pferde konnten die Ochsen dann auch nicht durch etwas vor ihnen erschreckt werden. Das Brett vor dem Kopf beleidigt deshalb doppelt. Man hält jemanden für blind, geblendet, kurzsichtig - bis zum Brett eben - und für einen Ochsen.

Die Poleposition einnehmen
Der Pferderennsport wurde in England nicht erfunden, schließlich ritten die alten Griechen schon so manche Mähre zuschanden, aber er wurde dort regelrecht zur Massenbelustigung. Eine Pferderennbahn sah früher meist so aus, dass auf einem weiten und ebenen Rasenplatz ein hölzernes Geländer ein Oval markierte. Um das herum führte die Rennstrecke. Am Anfang loste man um den besten Startplatz, die "poleposition", die Position beim Pfosten (englisch "pole"), das hieß eben "am Geländer" (mit seinen Pfosten) und also "auf der Innenbahn", die ja kürzer ist als die Außenbahnen und also von Vorteil.

Von daher ergab sich zwanglos die Übertragung auf den Motorsport, zumal die ersten Bahnen ebenfalls ein Holzgeländer innen hatten.

Keine Puse Ratze habe
Die Formel bedeutet "kein Geld haben", manchmal auch "einfältige, untaugliche weibliche Person", ist aber sonst geheimnisvoll und trotz mancher Spekulationen bislang in den Fachlexika als unerklärbar gekennzeichnet. Ich wage hier dennoch einen Erklärungsversuch: "Puse" gibt es als Hauptwort und umgangssprachlichen Ausdruck für die Vulva / Vagina, dann auch für Beutel, und im Jiddischen heißt "pußt" "leer, öde, nutzlos". So könnte es "Beutel leer" heißen oder auch "Vulva / Vagina nutzlos", wobei das Geschlechtsteil stellvertretend für die Frau stehen könnte. Doch das ist nur eine Vermutung.

Nur Bahnhof verstehen
Der Erste Weltkrieg: mit Hurra begonnen, schnell im Matsch der Gräben, im Stellungskrieg, in der Materialschlacht und im Elend versunken. Kein Wunder, das sich hier unter den Soldaten an der Front die Redensart herausbildete "nur Bahnhof verstehen", denn man wollte nur zurück in die Heimat. Was immer jemand quatschte, man wollte nur "Bahnhof" und damit die Reisemöglichkeit fort von hier verstehen. Daher kommt dann die Bedeutung "nichts verstehen".

Das kannste halten wie ein Dachdecker
Die Dachdeckerinnung beschwert sich über die übliche und recht wahrscheinliche, gar nicht mal bös gemeinte Deutung, die davon ausgeht, dass die dort oben auf den Dächern arbeiten können, wie sie wollen, weil man sie in ihren luftigen Gefilden nur schlecht oder gar nicht beobachten kann. Das heißt nicht unbedingt, sie als faules Gesindel abzustempeln. Nun meint die Dachdeckerinnung, es komme die Redensart aus mittelalterlichen Zeiten, als es in den meisten Stätten keine eigenen Dachdeckerzünfte gab, weil es einfach zu wenige waren. Sie hätten deswegen frei wählen können, in welcher Zunft, also Handwerksvereinigung, sie Mitglied werden wollten. Daher komme die Bedeutung der Redensart "etwas ganz nach Belieben tun".

Ich halte es da eher mit dem Volksmund, zumal die Redensart fast immer in leichter Dialektfärbung verwendet wird. Dachdecker bleiben aber in jedem Fall ehrenwerte, schätzbare Leute, deren Tätigkeit oft sinnbildlich und sogar mit der des Lieben Gottes verglichen wurde. Der decke nämlich die Fehler und Sünden mit seiner Barmherzigkeit zu, so solle man auch handeln und fleißig die schwachen Seiten der Mitmenschen decken.

Jemand ist ein schräger Vogel
Sehr beliebt ist es seit Jahrhunderten, Menschen mit Vögeln zu vergleichen, man denke nur an "jemand ist ein loser Vogel" oder "ein seltener Vogel" oder "ein Galgenvogel".

Vielleicht lag es daran, dass der Mensch dem Vogel darin glich, dass seine Seele ihm in Beweglichkeit und der Flüchtigkeit gleiche. In der Antike gab es auch die Vorstellung, die Seele sei eine Art kleiner Vogel. "Schräg" ist grundsätzlich ein Wort negativer Bedeutung im Gegensatz zu gerade, es bezeichnet die Abweichung vom Richtigen und Üblichen. So konnte ein humorvoller, seltsamer, kurioser Mensch als "schräger Vogel" bezeichnet werden.

Ente oder Trente
Wenn es um "alles oder nichts" geht, dann hört man gelegentlich "Ente oder Trente. Sogar ein Film erschien 1983 mit diesem Titel, in dem ein zurückgekehrter Fremdenlegionär erfolglos versucht, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Was die Erklärung anbelangt, so muss ich erst einmal raten, denn mit meinen Büchern komme ich erst einmal nicht zu einer Antwort. Die Ente, soviel ist klar, ist das Positive, die "Trente" das Negative. Im Französischen, aus dem ja sehr viele Wörter ins Deutsche einwanderten und nicht selten auch in der Lautung angeglichen wurden, heißt "trente" aber "dreißig". In vielen Kartenspielen bedeuten dreißig Punkte "im Schneider sein", also verloren haben und das richtig. Vielleicht erklärt das die Wendung. Ich forsche weiter.

Jemanden ins Bockshorn jagen
Diese häufig verwendete Wendung gehört zu den umstrittensten, was die Erklärung angeht. Ehrliche Forscher geben zu, dass man sie wohl nicht mehr wirklich sicher aus einem Brauch oder einem Werkzeug herleiten kann. Unter anderem erklärte man sie aus dem Bezug zum Teufel, der mit dem Bockshorn verhüllend angesprochen werde.

Aber warum jagt man jemanden dort hinein? Dann gab es Strafwinkel in Schulen, die "Bockstall" genannt wurden. Jagte man jemanden dorthin, dann bestrafte man ihn. Warum also hätte man das als Drohung so formulieren sollen? Und woher kommt das "-horn"?

Es gibt im Verlauf der Geschichte und in verschiedenen Gegenden übrigens die Varianten "ins Bockshorn zwingen / treiben / stoßen / kriechen / blasen", wobei sie mindestens schon fünfhundert Jahre alt sind. Angeblich habe es einen Gelehrten namens Boxhorn gegeben, der junge Neunmalkluge durch scharfes Befragen in die Enge getrieben und lächerlich gemacht habe, doch das klingt sehr nach einer Geschichte, die nur erfunden wurde, um die Redensart zu erklären. Dann gab es angeblich ein Gestell zum Böckekastrieren, das dann zum Folterinstrument umgeformt wurde mit Namen "Bockshorn". Schade, dass es keinen einzigen historischen Nachweis dafür gibt.

So gehen die Erklärungsversuche weiter und weiter, ohne doch tatsächlich überzeugen zu können. Das gibt es in der Sprichwörterforschung, der Parömiologie, gar nicht so selten, denn viele Sprichwörter und Redensarten bilden sich spontan und noch mehr sind sehr, sehr alt.

Mutterseelenallein sein
Wenn jemand sehr einsam ist, dann ist er "mutterseelenallein", was tatsächlich eine Steigerung von "ganz allein" ist. Schon um 1500 begegnet man der Formulierung "mutterallein", was bedeutet "ohne die Mutter sein", also "verlassen", "wie eine Waise". Im 19. Jahrhundert gab es den Ausdruck "seelenallein", ebenfalls eine Verstärkung von "allein", also "keine Seele außer mir ist da", schließlich stand die Seele stellvertretend für den Menschen. Im Mutterkult, der im 19. Jahrhundert besonders prächtige Blüten trieb, kam es zu dem Wort "Mutterseele", was dazu ermunterte, "seelenallein" und "mutterallein" zu "mutterseelenallein" zusammenzufügen.

Die Deutung, die einige Hörer in Wörterbüchern Berliner Ausdrücke fanden, ist dagegen zumindest umstritten, da sie etwas kompliziert klingt und nicht erklärt, warum sich der Ausdruck auch außerhalb Berlins in früher Zeit finden lässt. Es heißt, in Berlin sei aus " moi tout seul", also "ich ganz allein", durch umgangssprachliches Verschleifen "mutterseel" geworden und dann noch verdoppelt, indem ein "allein" angehängt wurde. Hm. Nach dem Ockham’schen Gesetz, man solle etwas nicht komplizierter machen, als es nötig ist, halte ich die erste Erklärung für überzeugender.